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Alice Weidel und Elon Musk treffen sich auf X

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Wie zwei philosophierende Teenager: Alice Weidel und Elon Musk treffen sich auf X

Wer fürchtet, der Trump-Vertraute könnte die Bundestagswahl entscheidend beeinflussen, sollte womöglich sein Verhältnis zur Realität überdenken. Musks Talk mit AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel war vor allem öde.
09.01.2025, 22:0909.01.2025, 22:11
Hansjörg Friedrich Müller, Berlin / ch media
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In einem sogenannten Space auf X sind sich am Donnerstagabend Alice Weidel, die Chefin der AfD, und Elon Musk, der Besitzer des sozialen Netzwerks, begegnet. Natürlich war die Aufregung in gewissen Berliner und Brüsseler Kreisen im Vorfeld gross, gilt Musk doch als enger Vertrauter des künftigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump; ausserdem hat er mehrfach erklärt, nur Weidels AfD könne Deutschland retten.

Alice Weidel, parliamentary group leader, party chairwoman and candidate for chancellor of the AfD, prepares for a live X interview with U.S. billionaire Elon Musk in her office in the Jakob Kaiser Ho ...
Alice Weidel bereitet sich auf das Gespräch mit Elon Musk vor.Bild: keystone

Das Gespräch, dessen Teilnehmer nur zu hören, nicht aber zu sehen waren, war vor allem eines: öde. Weidel, deren Englisch ein wenig schleppend, aber auch nicht schlechter als das der meisten deutschen Politiker daherkam, dozierte über die Fehler der «so-called traffic light coalition», der zerbrochenen Berliner Ampel-Koalition, wobei sie altbekannte Themen wie Energiewende, Migrationspolitik und Bürokratie abspulte.

Mehr als 200'000 lauschten zu keinem Zeitpunkt

Er sei ein grosser Fan der Solarenergie, aber es brauche auch andere Energiequellen, etwa die Kernkraft, sagte Musk. Da blieb Weidel nur noch, mit einem «absolutely» Zustimmung zu signalisieren. «Absolutely» dürfte das Wort sein, das sie mit am häufigsten in den Mund nahm, denn es war ein Gespräch, in dem man sich gegenseitig die Bälle zuspielte.

Interessanter als die Inhalte war die Entwicklung der Zuhörerzahlen: Rund 190'000 verfolgten den Talk zu Beginn um 19 Uhr; fünf Minuten später waren es nur noch 130'000. Nach etwa einer Viertelstunden fingen die Zahlen mysteriöserweise wieder an zu steigen – an der Qualität der Darbietung konnte dies kaum gelegen haben, sodass man sich fragen musste, ob hier alles mit rechten Dingen zuging.

Doch selbst wenn Musks Leute manipuliert haben sollten: Mehr als 200'000 lauschten auch nach X-Angaben zu keinem Zeitpunkt. Die ARD-«Tagesschau», dies zum Vergleich, hat im Durchschnitt neun Millionen Zuschauer. Wer fürchtet, Musk und sein Netzwerk könnten die Bundestagswahl im Februar entscheidend beeinflussen, sollte womöglich sein Verhältnis zur Realität überdenken.

Kritische Fragen stellte der Tesla-Chef nicht. So durfte sich Weidel freuen, «ein normales Gespräch führen zu können» und konnte die AfD als «libertär-konservativ» darstellen, ohne mit rassistischen, geschichtsrevisionistischen oder antiamerikanischen Äusserungen vieler ihrer Parteikollegen konfrontiert zu werden.

Zu einem Zeitpunkt, als viele Zuhörer bereits am Wegdämmern gewesen sein dürften, erwähnte die AfD-Chefin unvermittelt Adolf Hitler. «Er war ein Kommunist und Antisemit wie alle Linken», behauptete sie. Doch die Ungeheuerlichkeit verpuffte, denn jemand, der sich darüber hätte empören können, war nicht anwesend: Anders als bei anderen X-Spaces konnten die Zuhörer keine Fragen stellen.

Als suchten sie verzweifelt nach Gesprächsthemen

Einmal schien es für Weidel noch heikel zu werden: Was sie über Israel denke, fragte Musk. «Sehr kompliziert», antwortete sie. Für den Nahostkonflikt sehe sie keine Lösung. Ob er eine habe? Musk setzte nach: Er habe etwas anderes gemeint. Ob sie das Existenzrecht des jüdischen Staates befürworte? Aber natürlich, entgegnete Weidel sinngemäss. Damit hatte sie die letzte Klippe umschifft; dass sie deutsche Waffenlieferungen an Israel kritisch sieht, wusste ihr Gesprächspartner womöglich nicht.

Je länger das Gespräch dauerte, desto mehr wirkten Weidel und Musk wie zwei, die sich bei einem Blind-Date begegnet waren, nun Konversation machen mussten und verzweifelt nach Gesprächsthemen suchten. Immer wieder kicherten beide etwas unmotiviert. Gegen Ende nahm Weidel das Heft in die Hand und begann, Musk zu befragen, sodass dieser ausführlich seine Pläne zur Kolonisation des Mars erläuterte.

Zum Abschluss redeten die beiden dann wie zwei philosophierende Teenager im Ethik-Grundkurs: Ob er an Gott glaube, fragte Weidel. Er sei offen für die Idee, begann Musk zu dilettieren: Die Frage, woher das Universum komme, ob da etwas Höheres sei. Nach etwa einer Stunde war das Gespräch vorüber, und auch diejenigen, die den Talk aus beruflichen Gründen bis zum Ende verfolgen mussten, waren erlöst. (aargauerzeitung.ch)

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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Philipp L
09.01.2025 22:23registriert Juli 2018
Ihr macht genau das sie will: ihr schreibt über sie. Ignoriert es doch einfach und morgen haben das Gespräch alle vergessen, weil auch kaum jemand zugeschaut hat (ausser Reporter)
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Manjak
09.01.2025 22:57registriert Januar 2021
Ich empfehlen allen, die Alice Weidel unterschätzten, sich einmal intensiver mit ihr zu befassen. Ich habe einige ihrer letzten Reden aus dem Bundestag angehört und muss zugeben: Die Frau ist rhetorisch sackstark. Die AfD macht es genau richtig mit ihr als Gesicht der Partei und jetzt auch noch Bundeskanzlerkandidatin. Mit Frau Weidel können sie von den Neo-Nazis und Rechtsextremisten in den eigenen Reihen ablenken. Ich glaube da kommt noch ein blaues Wunder auf Deutschland zu.
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tychi
09.01.2025 22:26registriert Juli 2016
Es ist schon so, Twitter/X hat in Europa und im Speziellen in Deutschland eine deutlich geringere Bedeutung und Reichweite als in den USA.
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