Elon Musk schockiert. Er beleidigt, verunglimpft und schimpft auf X in einem fort, öfters auch im Minutentakt.
Natürlich muss man das bis zu einem gewissen Grad aushalten – egal, ob man seine politischen Ansichten teilt oder nicht. Auch für Elon Musk gilt die Meinungsfreiheit. Es verhält sich aber ganz sicher anders, wenn jemand Fake-News verbreitet oder anti-demokratische Bewegungen fördert.
Über die Gründe, weshalb ein mehrfacher (hundertfacher!) Milliardär dies tut, kann nur spekuliert werden. Aber um Meinungsfreiheit, wie oft kolportiert wird, kann es ihm nicht gehen. Fake-News sind keine Meinung, ebenso wenig sind es Beleidigungen oder Hass auf andere.
Und würde Elon Musk tatsächlich für die Meinungsfreiheit einstehen, würde er nicht nur sehr ausgewählten Menschen eine Plattform bieten – wie zum Beispiel jüngst AfD-Chefin Alice Weidel. Er würde nicht nur die X-Beiträge von einigen wenigen (und insbesondere von sich selbst!) pushen, sondern auch die Sichtbarkeit jener erhöhen, die in den Medien weniger in Erscheinung treten. Er hätte kein Interesse daran, Wikipedia beschneiden zu wollen. Und Musk würde nicht gegen Andersdenkende hetzen, sondern sich auch für deren Meinungsfreiheit einsetzen.
Mit anderen Worten: Niemand, der nicht so naiv wie ein frischgeborenes Baby ist, kann aufrichtig glauben, dass es dem Mann um Meinungsfreiheit geht. Umso ratloser ist man nach der Lektüre gewisser Beiträge in etablierten Medien zu diesem Thema.
Die deutsche «Welt am Sonntag» druckte im Dezember einen Meinungsbeitrag – angeblich von Elon Musk «selbst» verfasst. (Mittlerweile weiss man, dass eine KI wesentlich mitgeschrieben hat.) Über diesen «Meinungsbeitrag» ist in Deutschland – und seit Musks neuster Einmischung in Grossbritannien auch in anderen europäischen Ländern – eine hitzige Diskussion entbrannt.
Die NZZ kommentiert, Politiker und Journalisten seien in dieser Sache am Hyperventilieren. Schliesslich gelte die Meinungsfreiheit nicht nur für die «bequemen Meinungen». Und weiter: «Dass der reichste Mann der Welt sich nun in einem Meinungsbeitrag erklärt, ist aus publizistischer Sicht nichts anderes als ein Achtungsgewinn für eine wichtige Debatte.»
Nun ist völlig klar: Wenn jemand die AfD verteidigen will, soll das in den Medien Platz haben. Meinungsvielfalt, auch in den etablierten Medien, ist für eine Demokratie essenziell.
Die Frage, was gerade Elon Musk als Kommentator der deutschen Politik qualifiziert, beantwortet die NZZ jedoch nicht. Die Diskussion um Musk zeige aber, wie es um Meinungsfreiheit in Deutschland bestellt sei: «Sie ist nur dann akzeptabel, wenn sie mit den Ansichten eines sich progressiv wähnenden Justemilieu übereinstimmt.»
Ähnlich tönte es gar in einer SRF-Analyse: Die Aufregung sei so gross, «dass vergessen geht: Es gilt die Meinungsfreiheit. Man darf sagen, was man denkt. Sogar Musk.»
Schriftsteller und Ex-«Blick»-Kolumnenautor Claude Cueni geht in einem Gastbeitrag im «Blick» mit dem Titel «Elon Musk Superstar» noch weiter: Der Milliardär werde «zu Unrecht als Demokratiefeind verunglimpft». Seine «Verteidigung der Meinungsfreiheit» wolle er fortsetzen. Und: «Er hat mit X nicht der Demokratie den Kampf angesagt, sondern der Zensur. Dafür wird er vom deutschen Politestablishment angefeindet.»
Sagt mal – geht's eigentlich noch?
Der Kernauftrag von uns Medienschaffenden ist es noch immer, zu berichten, was ist, also über die Wahrheit. Von uns wird auch erwartet, dass wir Machtstrukturen aufdecken und Monopole kritisch beleuchten. Zu unserem Leitbild gehören – oder besser gesagt, sollten gehören: Aufklärung, Ehrlichkeit, Transparenz und der Kampf gegen Fake-News und unwissenschaftliche Tendenzen.
Elon Musk tritt diese Werte mit Füssen. Und nein, das ist keine Ansichtssache – das ist Fakt. Es schockiert, dass etablierte Medien wie die Welt, NZZ oder der «Blick» einen der mächtigsten Menschen der Welt in Teilen in Schutz nehmen, seine antidemokratische Haltung unkommentiert lassen und sich stattdessen über die Empörung empören.
Dies umso mehr, als es sich hier um den reichsten Menschen der Welt handelt. Er, dem nicht nur durch seinen Reichtum, sondern mittlerweile auch durch seine politischen Verbindungen und den Besitz eines der grössten Social-Media-Unternehmen der Welt ja jede Aufmerksamkeit und jede Sprachrohr-Verstärkung sicher sind.
Es spielt dabei keine Rolle, ob der Chefredaktor «als Ausgleich» noch eine andere Meinung veröffentlicht. Es ist vielmehr so, wie es die deutsche «taz» sagt:
Musk braucht keine Unterstützer, keine Stiefellecker oder Medien, die ihm eine Plattform für seine «Anliegen» bieten. Wir hingegen brauchen eine starke, informierte Öffentlichkeit und Medien, die sich seinen Fake-News und seinen anti-demokratischen Vorhaben entgegensetzen – unabhängig davon, wie sie politisch ausgerichtet sind.
Die Argumentation zu Musks Verteidigung hat dabei mit den üblichen «anti-woken» Standpunkten verdächtig viel gemein: Man darf ja nichts mehr sagen! Respektive: Das darf man ja wohl noch sagen!
Ein Schelm, wer denkt, es gehe den Autorinnen und Absendern in beiden Fällen nur um eines: sich vom «woken, empörten Mainstream» abzuheben – um sein Ego von den Empörten auf der anderen Seite, den vermeintlich weniger Zimperlichen, streicheln zu lassen.
Es wird impliziert, dass, wer sich empört – über rassistische Äusserungen, über sexistische Strukturen oder eben über Elon Musks Meinungsbeitrag –, betreibe Zensur, wolle anderen den Mund verbieten oder stelle sich gegen die Meinungsfreiheit.
Das stimmt nicht. Liebe NZZ, lieber «Blick», liebe «Welt»: Ihr dürft Elon Musk, den neuen Feudalherrn, gut finden, ihn zu Wort kommen lassen, verteidigen oder ihm huldigen, so oft es euch gefällt. Wir haben schliesslich, entgegen diversen Untergangsszenarien, noch immer Meinungsfreiheit.
Aber wollt ihr wirklich?
Und wenn ja: Was sagt das dann über euch selber aus?
Ach übrigens: Ihr gehört, wie alle traditionellen Medien, auf den Müllhaufen der Geschichte.
Das ist nicht meine Meinung. Sondern diejenige von Elon Musk.