Ist Friedrich Merz ein Rassist? Deutschland verliert sich in absurden Debatten
Als Exegese bezeichnet man die Auslegung eines Textes, meist eines solchen der Bibel. Nicht das Wort Gottes, sondern jenes ihres Kanzlers versuchten deutsche Kommentatoren dieser Tage zu interpretieren. Friedrich Merz hatte von «Problemen im Stadtbild» gesprochen, die in Deutschland bestünden, um auf Nachfrage zu erklären, wer nicht verstehe, was er gemeint habe, solle seine Töchter fragen.
Schliesslich, nach Tagen medial bewirtschafteter Erregung, «präzisierte» der Kanzler seine Aussage: Deutschland brauche Einwanderer, doch gebe es Probleme mit Personen, die keine Aufenthaltserlaubnis hätten, nicht arbeiteten und sich nicht an Regeln hielten, sodass viele Menschen Angst hätten, «sich im öffentlichen Raum zu bewegen».
Die «Vieldeutigkeitsphase» («FAZ»), die Merz zwischen seiner ursprünglichen Aussage und seiner Selbst-Exegese entstehen liess, gab Anlass zu Interpretationen: Während die einen dem Kanzler vorwarfen, er wolle ein «weisses Deutschland», erklärten andere, Merz habe ein reales Problem angesprochen und werde absichtlich missverstanden.
So nahm die Debatte von Anfang an absurde Züge an: Dass der Kanzler ein Rassist ist, kann keiner, der ihn über längere Zeit beobachtet hat, ernsthaft behaupten. Die Frage wiederum, ob Merz gelegentlich schneller redet, als er denkt oder ob er bewusst mehrdeutig formuliert, um Ressentiments zu bedienen, könnte nur er selbst beantworten. 63 Prozent der Deutschen, so liess das ZDF ermitteln, stimmten Merz zu.
Eines muss man ihm zugutehalten: Seine bildhafte Sprache wirkt in der Technokraten-Welt des Berliner Politikbetriebs ab und an erfrischend. Wie der Bibel-Übersetzer Martin Luther scheint Merz dem Volk aufs Maul zu schauen. So prägt er Formulierungen, die im Gedächtnis bleiben: Vor Jahren nannte er männliche, muslimische Jugendliche «kleine Paschas».
Solche Verallgemeinerungen sind oft ungerecht und nie ganz richtig, oft aber auch nicht völlig falsch. Ein Politiker, der derartige rhetorische Stilmittel noch nie angewandt hat, dürfte kaum zu finden sein. Merz’ Kritikern möchte man raten, im Zweifelsfall die besseren Absichten zu unterstellen. Das gilt auch und gerade im Umgang mit politischen Gegnern. (aargauerzeitung.ch)
