In Deutschland verenden hunderte Kraniche an der Vogelgrippe
Während derzeit Zehntausende Kraniche auf ihrem Herbstzug Richtung Süden unterwegs sind, sorgt ein massiver Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschland für Besorgnis. Über hundert tote Kraniche wurden bereits geborgen. Besonders betroffen ist das Rastgebiet rund um den Stausee Kelbra in Sachsen-Anhalt, eines der wichtigsten Rastgebiete für Zugvögel in Mitteldeutschland. Die Untersuchungen des Friedrich-Loeffler-Instituts bestätigten den hochansteckenden Erreger H5N1.
Die Behörden vor Ort haben rasch reagiert: Das betroffene Gebiet wurde für die Öffentlichkeit gesperrt, Drohnen helfen bei der Lokalisierung verendeter Tiere, und eine Stallpflicht für Geflügel ist in Vorbereitung. Die angrenzenden Landkreise sind alarmiert und verstärken ihre Kontrollen. Ziel ist es, eine Ausbreitung des Virus auf Nutz- und andere Tiere zu verhindern.
Bisher gibt es keine Fälle in der Schweiz
In der Schweiz wird die Situation in Deutschland aufmerksam verfolgt. Laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sind derzeit keine Fälle von Vogelgrippe bekannt. Die aktuelle Risikoeinschätzung zeigt kein erhöhtes Risiko für die Schweiz, weshalb zurzeit laut BLV keine zusätzlichen Schutzmassnahmen nötig sind. Sollte es dennoch zu einem Ausbruch kommen, greifen strenge Bekämpfungsmassnahmen, denn die Vogelgrippe ist eine hochansteckende Tierseuche. Bei Verdacht oder bestätigten Fällen wird das betroffene Geflügel getötet und es werden Schutz- sowie Überwachungszonen eingerichtet.
Die Schweiz liegt nicht direkt auf der Hauptzugroute der Kraniche. Der westlichste Hauptzugweg verläuft in einem schmalen Korridor von Skandinavien und Nordosteuropa über Norddeutschland und Frankreich bis in die Überwinterungsgebiete in Spanien. Eine zweite bedeutende Route führt von Finnland über das Baltikum, Polen, Ungarn und Italien weiter nach Nordafrika.
In den letzten Jahren zeichnet sich jedoch eine Veränderung ab: Eine neue Zugroute scheint sich über Süddeutschland zu etablieren. Insbesondere im Süden Deutschlands wurden vermehrt Kraniche gesichtet, die im nördlichen Alpenvorland nach Westen in Richtung Frankreich ziehen. Dabei machen einzelne Tiere auch in der Schweiz Rast, etwa am Bodensee oder im Seeland.
Die Vogelgrippe kennt keine Grenzen mehr
Der letzte bestätigte Fall von Vogelgrippe in der Schweiz war im Februar 2025. Doch die globale Entwicklung gibt Anlass zur Sorge. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat sich die Vogelgrippe seit 2020 über alle Kontinente ausgebreitet. Sie dezimiert Geflügelbestände, gefährdet die biologische Vielfalt, beeinträchtigt den internationalen Handel und stellt ein Risiko für die Ernährungssicherheit dar.
Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass das Virus inzwischen nicht nur bei rund 400 Vogelarten nachgewiesen wurde, sondern auch bei über 80 Säugetierarten – darunter auch bei Kühen und Wildtieren. Die FAO warnt vor einer möglichen Pandemie beim Menschen. Das Virus gehört zur Familie der Influenza-A-Viren, die für ihre hohe Mutationsrate bekannt sind. Diese Eigenschaft erhöht die Zoonosegefahr, also die Möglichkeit, dass das Virus auf den Menschen überspringt.
Gegenüber der Journalismus-Plattform RiffReporter spricht Ursula Höfle, Professorin am spanischen nationalen Wildforschungsinstitut an der Universität von Castilla-La Mancha, über die Vogelgrippe als Pandemie, die weltweit ganze Vogelpopulationen bedrohe. Ihrer Einschätzung nach hat die Vogelgrippe wahrscheinlich noch gravierendere Auswirkungen als das Pestizid DDT, das in den 1970er-Jahren verboten wurde, nachdem es zahlreiche Vogelarten an den Rand des Aussterbens gebracht hatte.
Das Virus bleibt aktiv – auch im Sommer
Besonders beunruhigend ist, dass die Vogelgrippe inzwischen nicht mehr saisonal auftritt. Früher war das Virus vor allem in den Wintermonaten aktiv, doch seit 2022 wurden erstmals auch Ausbrüche im Sommer registriert. Die Krankheit scheint sich dauerhaft in Wildtierpopulationen etabliert zu haben – ein Novum in der Geschichte der Tierseuchen.
Die fehlende saisonale Begrenzung bedeutet, dass Jungtiere besonders gefährdet sind, da sie in ihrer empfindlichsten Entwicklungsphase mit dem Virus in Kontakt kommen. Das Virus ist da – und es bleibt. Die Vogelgrippe ist längst nicht mehr nur ein Problem für die Geflügel-Produktion – sie entwickelt sich zu einer Bedrohung für die Biodiversität und möglicherweise auch für die öffentliche Gesundheit. (aargauerzeitung.ch)