Bald kostet ein Euro weniger als 90 Rappen – was das für die Schweiz bedeutet
«Als traditionelle Hartwährung steht der Schweizerfranken inzwischen allein auf weiter Flur», sagt Alexander Koch, der für Raiffeisen auch die Devisenmärkte beobachtet. Bis 2027 könnte der Wert eines Euro auf weniger als 90 Rappen gefallen sein, glaubt er. Seine Prognose ist mehr als blosse Spekulation.
«Die Frage ist nicht ob, sondern nur wann genau der Euro-Frankenkurs unter die 90-Rappen-Marke fällt», sagt auch Investmentchef Thomas Stucki von der St.Galler Kantonalbank.
Die Ökonomen stützten sich in ihren Voraussagen auf ein bekanntes und empirisch längst nachgewiesenes Phänomen: Wenn die Preise von identischen Gütern zwischen zwei Ländern unterschiedlich hoch sind, obwohl die Güter über die Grenzen hinweg gehandelt werden können, dann wird der Wechselkurs für den Ausgleich sorgen.
Inflation bestimmt Wechselkurs
Das Konzept nennt sich in der Ökonomensprache «Kaufkraftparität» und es besagt, dass in einer Welt mit flexiblen Wechselkursen die Inflationsunterschieden zwischen den Ländern den Wechselkurs bestimmen. In der Schweiz belief sich die Inflationsrate im September auf 0,2 Prozent, während sie Euroraum 2,2 Prozent betrug. Angenommen, die Differenz von zwei Prozentpunkten zu Gunsten der Schweiz bliebe ab sofort bestehen, müsste ein Euro gemäss Theorie bereits im kommenden Herbst weniger als 90 Rappen kosten.
Stucki und Koch glauben, dass es noch etwas länger dauern könnte. Thomas Stucki verweist auf den Dollar, der bei internationalen Investoren seit Donald Trumps Einzug ins Weisse Haus viel Vertrauen verloren hat. Davon profitiere auch der Euro, der im Sommer des laufenden Jahres einen kleinen Höhenflug erlebte. «Ohne diesen Dollar-Effekt hätte ich schon im laufenden Jahr den Abstieg des Euro unter die 90-Rappen-Marke erwartet», sagt Stucki. Nun kann es vielleicht noch zwei Jahre länger dauern.
Alexander Koch hat weitere Argumente: Die Inflationsdifferenz zwischen Euro und Franken liege derzeit deutlich über dem historischen Mittelwert von etwa 1,5 Prozentpunkten. «Ich gehe davon aus, dass wir uns diesem historischen Mittelwert sehr bald wieder annähern werden, und zwar über leicht steigende Inflationsraten in der Schweiz und tendenziell sinkenden oder gleichbleibende Raten im Euroraum.»
Eine kontinuierliche Aufwertung des Frankens, die mit der Kaufkraftparität einhergeht, ist für die Industrie und für die Konsumenten ein neutraler Vorgang, es ergeben sich weder Vorteile noch Nachteile daraus. Markant ist die Entwicklung aber allemal, umso mehr als der Euro bei seiner Einführung vor über 25 Jahren mehr als 1.6 Franken gekostet hatte.
Aber ist die Inflationsdifferenz zu Gunsten der Schweiz in Stein gemeisselt? Vielleicht, aber nur wenn der starke Frankenkurs auch fortan hilft Importwaren zu verbilligen. Was spricht dafür, dass das so bleibt? Der Franken feiert heuer seinen 175. Geburtstag.
Stärke ist ein Grund zum Feiern
Der bekannte Schweizer Geldtheoretiker Ernst Baltensperger hat die lange Geschichte des Frankens schon vor einigen Jahren in einem Buch nachgezeichnet und dort festgestellt:
Wenn es einen Grund geben sollte, die ständige Aufwertung des Frankens zu feiern statt zu fürchten, dann hat ihn Baltensperger präzis formuliert. (aargauerzeitung.ch)