
Vergeblicher Einsatz: Bruce Springsteen singt für Hillary Clinton.Bild: Matt Slocum/AP/KEYSTONE
Warum hat Donald
Trump in abgewrackten Industrieregionen wie Michigan die Wahl
gewonnen? Den Schlüssel zu einer möglichen Erklärung liefert ein Superstar: Bruce Springsteen.
11.12.2016, 12:5912.12.2016, 05:20

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Ende November
erhielt Bruce Springsteen von US-Präsident Barack Obama die
Freiheitsmedaille, die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten
Staaten. Die Rock-Ikone aus New Jersey wurde mit 20 weiteren
illustren Persönlichkeiten geehrt. Es dürfte kein Zufall sein, dass
sich der «Boss» darunter befand. Seit Jahren engagiert er sich
politisch für die Demokraten. Er unterstützte Obama in beiden Wahlkämpfen, dieses Jahr machte er sich für Hillary
Clinton stark.
Genützt hat es
bekanntlich nichts. Clinton gewann zwar deutlich mehr Stimmen als der
Republikaner Donald Trump, doch der schaffte die entscheidende Hürde:
Er liegt bei den Wahlmännern klar vorne, und dies dank seinen
Erfolgen im so genannten «Rust Belt». Er holte die Bundesstaaten
Michigan, Ohio, Pennsylvania und Wisconsin, die zweimal Obama gewählt
hatten. Daran dürften auch die geforderten Nachzählungen nichts
ändern.

Springsteen erhält von Barack Obama die Freiheitsmedaille.Bild: CARLOS BARRIA/REUTERS
Seither herrscht bei
Amerikas Linken Katzenjammer. Man ringt sich mühsam zur Erkenntnis
durch, dass man die Stimmungslage in diesen ausgepowerten
Industriestaaten völlig verkannt hat. Die Demokraten finden keinen
Draht mehr zu Angehörigen des Mittelstands, die sich im echten oder
gefühlten Niedergang befinden, weil gut bezahlte Jobs ins Ausland verschwunden sind. Und die sich von Trumps
protektionistischer Botschaft ansprechen liessen.
Elitäre Fans
Michael Luongo, ein
Dozent an der Universität Michigan in Ann Arbor, war über Trumps
Sieg nicht schockiert, wie er in einem stark beachteten Gastkommentar
auf CNN schreibt. Er sah ihn vielmehr kommen. Schon der «Sozialist» Bernie Sanders war bei den Wählern weit besser angekommen als
Hillary Clinton, er gewann in Michigan die Vorwahl der Demokraten.
Er habe das kommen
sehen, schreibt Luongo, «denn der Boss hat es mir erzählt». Also
Bruce Springsteen. Der Autor nennt es das «Springsteen-Paradox».
Die elitären Fans, die sich die teuren Tickets für seine Konzerte
(sie kosten teilweise mehrere 100 Dollar) leisten können, hätten
keinen Bezug mehr zu den Menschen, über die der «Boss» in seinen
Liedern singt. Den «kleinen Leuten» aus der Arbeiterklasse, die
nun Trump wählen und Springsteen selber nicht mehr zuhören.
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Michael Luongo kennt
die Welt der Springsteen-Songs. Er ist in Freehold im
Bundesstaat New Jersey aufgewachsen, der Heimatstadt des Superstars.
Die geschlossene Teppichfabrik, die dieser auf dem Album «Born in
the USA» im Song «My Hometown» besingt, ist dem Akademiker mehr
als nur ein Begriff. Obwohl er selber aus einer Mittelstandsfamilie
stammte, besuchte er die Schule gemeinsam mit Kindern der Arbeiter
aus der besagten Fabrik.
«Die
Arbeiterklasse war für mich nichts Abstraktes. Die Kinder waren
meine Freunde, ebenso ihre Familien, die harte Zeiten durchmachten,
die nie aufzuhören schienen», schreibt Luongo. Heute lebt er in
Ann Arbor. Obwohl die Universitätsstadt ein Vorort der Metropole
Detroit ist, könnte sie sich genauso gut auf einem anderen Planeten
befinden. Ann Arbor sei «eine der elitärsten Blasen im Mittleren
Westen», ihre Einwohner und Studenten hätten sich vollkommen
abgesondert von Amerikas Arbeitern.
Arbeit für Amerikaner
Als Beispiel nennt
er Wirtschaftsstudenten, deren imaginäre Businesspläne eine
Produktion in China vorsehen, und das praktisch in Sichtweite der
abgewrackten Autostadt Detroit mit ihren Industrieruinen. «Verspüren sie gar keinen Wunsch, ihren amerikanischen Landsleuten
wieder Arbeit zu verschaffen?», fragt sich Luongo. Weil er kein Auto
besitze, komme er noch in Kontakt mit den «einfachen Leuten», die
sich mehr schlecht als recht durchschlagen. Etwa mit Taxifahrern,
deren prekäre Existenz durch Apps wie Uber zusätzlich
gefährdet werde.
«Das
Springsteen-Paradox zeigt einen Empathiegraben auf, der geschlossen
werden muss», meint Luongo. Seine Rezepte wirken jedoch ziemlich hilflos: Im Restaurant essen statt den Lieferdienst nutzen,
an der bedienten Kasse anstehen statt die Einkäufe selber scannen. Mit dem Springsteen-Paradox aber hat er einen wesentlichen Faktor für Donald Trumps
Wahlsieg anschaulich umschrieben: die Selbstgefälligkeit der globalisierten Eliten.
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