Als Hillary Clinton in einem Vortrag die Trump-Fans als «einen Korb voll bemitleidenswerter Menschen» bezeichnete, wurde ihr das von den Republikanern und den konservativen Medien bis zum Erbrechen vorgehalten, gelegentlich angereichert mit einer Aussage von Barack Obama, der einst davon sprach, die ländliche Bevölkerung würde sich an «die Bibel und ihre Gewehre klammern», oder einem Zitat eines hohen FBI-Agenten, der seiner Geliebten von «übel riechenden Walmart-Shoppern» getextet hatte.
Die gleichen Kreise müssten heute in Aufruhr sein. Kein Geringerer als Donald Trump hat nämlich alle seine Anhänger, die immer noch die Veröffentlichung der Epstein-Liste fordern, als «dumm» bezeichnet. «Meine VERGANGENEN Anhänger haben diesen Quatsch (die angeblich von Obama, Biden und James Comey, dem ehemaligen FBI-Direktor, zusammengestellte Liste, Anm. d. Verf.) mit Haut und Haar geschluckt», postete Trump am Mittwoch auf seiner Plattform Truth Social, und fügte gar hinzu: «Ich will deren Unterstützung gar nicht mehr.»
«Grosse Worte gelassen ausgesprochen beziehungsweise gepostet», ist man da versucht zu sagen. Zu denen, auf deren Unterstützung Trump künftig verzichten will, gehören viele Abgeordnete der Grand Old Party und Vertreter des Spitzenpersonals der MAGA-Meute wie Tucker Carlson und Marjorie Taylor Greene. Diese postete ebenfalls am Mittwoch auf X: «Ich werde niemals Pädophile oder die Elite und ihren inneren Kreis beschützen.»
Selbst Mike Johnson, der sonst Trump so hündisch ergebene Speaker des Abgeordnetenhauses, erklärte in einem Anflug von Mut: «Wir sprechen hier von einer sehr delikaten Angelegenheit, aber wir sollten alles veröffentlichen und die Menschen entscheiden lassen.» Wenig später ruderte Johnson allerdings bereits wieder zurück.
Anyway, was die Epstein-Liste betrifft, sieht es für Trump derzeit gar nicht gut aus. Für einmal scheint sein sonst so untrüglicher Instinkt für die Stimmung seiner Anhänger zu versagen. Ein Blick auf die jüngsten Meinungsumfragen würde helfen: 79 Prozent der Befragten einer Economist/YouGov-Umfrage befürworten die Herausgabe aller Dokumente. Zwei Drittel sind überzeugt, die Regierung wolle etwas verheimlichen. Eine separate Umfrage von YouGov hat derweil ergeben, dass bloss 20 Prozent der Befragten glauben, dass Jeffrey Epstein Suizid begangen habe.
Diese Werte erstaunen nicht, und zwar aus zwei Gründen: Erstens trifft es zu, dass Epstein sehr viele sehr mächtige Menschen gekannt hat. «Und während wir immer noch nicht wissen, was diese Leute dazu bewegt hat und was sie wissen, wissen wir, dass es sie gibt», stellt David Wallace-Wells in der «New York Times» fest. «Wir sprechen hier von einem verdächtigen Netzwerk, das geradezu nach einer Verschwörungstheorie schreit.»
Zweitens trifft diese Verschwörungstheorie «die amerikanische Psyche wie keine seit der Ermordung von John F. Kennedy», wie Charlie Warzel im «Atlantic» feststellt. «Die vermutete Liste ist ein perfektes Instrument in den Händen von Verschwörungstheoretikern: Solange der Inhalt nicht bekannt ist, kann jeder vermuten, wer sich im Umkreis von Epstein aufgehalten hat.»
Trumps Pech ist, dass man bei ihm mit Sicherheit weiss, dass er zu diesem Bekanntenkreis gehört hat. Es gibt dazu einschlägige Fotos und Videos, Epstein bezeichnet ihn auf einer Tonbandaufnahme als seinen besten Freund in den letzten zehn Jahren und Trump selbst hat den Sex-Verbrecher in einem Interview einst als «tollen Typen» gelobt, der wie er eine Schwäche für schöne Frauen habe, «vor allem der jüngeren Sorte».
Am besten würde es Trump machen wie Fox News: Kein Sterbenswörtchen mehr über die Epstein-Liste verlieren. Dazu ist der pathologische Narzisst jedoch nicht in der Lage. Anstatt den Mund zu halten, jammert er: «Ich habe in den vergangenen sechs Monaten mehr Erfolg gehabt als jeder andere Präsident in der amerikanischen Geschichte. Trotzdem wollen alle – angestachelt von den Fake News und den Demokraten – nur über diesen Epstein-Witz sprechen.»
Für die Demokraten ist der Streit innerhalb von MAGA ein Geschenk des Himmels. Zwar können sie nicht unmittelbar davon profitieren, und Trump kann bekanntlich nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Doch der Skandal kann den Republikanern bei den nächsten Zwischenwahlen schaden, denn er wirft auch Fragen auf wie: Wenn uns die Trump-Regierung in dieser Frage belügt, führt sie uns dann vielleicht auch anderswo hinters Licht? Beispielsweise mit der «Big and beautiful bill», dem Monstergesetz, das der Präsident soeben feierlich unterzeichnet hat und von dem Kritiker behaupten, es schliesse Millionen von Amerikanern aus der Krankenkasse aus und blähe das Staatsdefizit um weitere Billionen Dollar auf.
Wie üblich versucht Trump, eine neue Sau durchs Dorf zu treiben und so für Ablenkung zu sorgen. So hat er gestern in einer bizarren Rede den Unabomber Theodore Kaczynski ins Spiel gebracht. Dieser habe bei seinem Onkel am MIT studiert und sei ein sehr guter Schüler gewesen, so Trump in seiner Rede an einer Veranstaltung über künstliche Intelligenz. Dumm bloss, dass Kaczynski nie am MIT, sondern an der Harvard University immatrikuliert und Trumps Onkel zu diesem Zeitpunkt bereits emeritiert war.
Bisher ist es Trump nicht gelungen, die Epstein-Liste zu versenken. Das setzt ihm offensichtlich zu: «Ich weiss nicht, weshalb das die Menschen so interessiert», erklärte er gegenüber Reportern am vergangenen Dienstag schon fast verzweifelt. «Er ist doch schon lange tot. Zu Lebenszeiten war er nie ein wichtiger Faktor. Ich verstehe nicht, woher die Faszination mit ihm kommt. Ich verstehe es wirklich nicht.»
mach weiter so, dann frisst die Revolution ihre Kinder