Es ist ein Paukenschlag: Die Abgeordneten des Europaparlaments haben am Donnerstag die französische Kandidatin für die neue EU-Kommission durchfallen lassen. Mit 82 zu 29 Stimmen fiel das Resultat äusserst deutlich gegen die Liberale Sylvie Goulard aus. Zum Verhängnis wurde ihr eine hängende Affäre wegen Scheinbeschäftigungen aus ihrer Zeit im EU-Parlament.
Zudem soll sie zwischen 2013 und 2015 ohne nennenswerte Gegenleistung monatlich rund 10'000 Euro von einer amerikanischer Denkfabrik erhalten haben. Goulard nahm den Entscheid zur Kenntnis und bedankte sich bei der neuen EU-Chefin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für ihre Unterstützung.
Ihre Nähe zu letzterem dürfte schlussendlich auch der entscheidende Grund sein, weshalb das EU-Parlament die 54-jährige abgesägt hat. Es ist als Retourkutsche an Macron zu verstehen, der im Sommer das sogenannte «Spitzenkandidatensystem» im Alleingang beerdigt hat. Macron hatte keine Lust, sich vom EU-Parlament diktieren zu lassen, wer die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker antreten soll und sabotierte den Prozess von Anfang an.
Vor allem einer dürfte sich nun besonders freuen: Manfred Weber, ehemaliger Spitzenkandidat der europäischen Christdemokraten. Der deutsche CSU-Europaabgeordnete trat zu den EU-Wahlen mit dem Plan an, der Nachfolger von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu werden. Nach dem Wahlsieg der Christdemokraten hätte Weber gemäss den ungeschriebenen Regeln auch Anspruch auf die Juncker-Nachfolge gehabt.
Macron betrachtete den Niederbayer jedoch stets als politisches Leichtgewicht und gab ihm keine Chance. Stattdessen zauberte er auf dem EU-Gipfel im vergangenen Juli Ursula von der Leyen aus dem Hut. Dass die Staats- und Regierungschefs unter Macrons Leitung ausgerechnet seiner Parteifreundin von der Leyen den Vorzug gaben, war eine Demütigung, die Weber nur schwer verdauen konnte. Nun hat er sich mit Macrons Vertraute Sylvie Goulard seinen Skalp.
Die Ablehnung der französischen Kandidatin ist in ihrer Konsequenz ein nicht zu unterschätzendes Manöver. Die als fachlich kompetent geltende Goulard sollte als Binnenmarktkommissarin mit einem um Verteidigungsfragen erweitertem Portfolio eine zentrale Rolle in der neuen Kommission übernehmen. Die Aufgabe wurde ihr quasi auf den Leib geschneidert.
Einen angemessenen Ersatz zu finden, wird Macron nicht leichtfallen. Am Rande einer Pressekonferenz reagierte er einigermassen pikiert. Für den Absturz seiner Kandidatin sieht er auch von der Leyen in der Verantwortung. Diese habe ihm nach Konsultationen mit den Parteien im EU-Parlament zugesagt, dass Goulard die Wahl schaffen werde. Macron: «Ich verstehe nicht was passiert ist und werde nachfragen».
Die Gefahr besteht nun, dass sich die Einsetzung der neuen EU-Kommission am 1. November verzögert. Paris kann auf die Ernennung einer neuen Kommissarin verzichten und von der Leyen das Problem mit dem EU-Parlament überlassen. Was er genau zu tun gedenke, liess Macron gestern offen. Aber selbst, wenn er einen Ersatz suchen würde, bräuchte die Nachnominierung ihre Zeit.
Zudem müssen auch Ungarn und Rumänien neue Kandidaten schicken, nachdem ihre Vorschläge letzte Woche vom Parlament zurückgewiesen wurden. Während Budapest bereits einen Namen gefunden hat, dürfte es in Rumänien dauern: Am Donnerstag scheiterte Premierministerin Viorica Dancila in Bukarest an einem Misstrauensvotum.
Die Nominierung eines neuen EU-Kommissars dürfte erst von der neu zu bildeten Regierung kommen. Die Konsequenz einer Verzögerung über den 1. November hinaus wäre, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch ein paar Wochen weiter im Amt bliebe. (bzbasel.ch)