Diplomatische Empfänge sind meistens eher formelle Angelegenheiten. Der Dresscode streng, die Atmosphäre steif, die Konversationen angestrengt.
Das ist auch in der US-Hauptstadt nicht anders. Das diplomatische Establishment in Washington - Mitarbeitende des US-Aussenministeriums und des Pentagons, Angehörige von Think-Tanks, Diplomatinnen, Medienschaffende, Politiker - trifft sich wöchentlich an Anlässen von Botschaften. Es gibt dort Champagner und Canapés, oberflächlichen Small Talk - und viel Langeweile.
Mit diesem Muster zu brechen weiss die finnische Botschaft in Washington. Statt oberflächlicher Small Talk im Frack oder Cocktailkleid gibt es bei den Skandinaviern ungezwungene Gespräche in ungewohnter Atmosphäre: nämlich nackt in der botschaftseigenen Sauna.
Wie die «New York Times» berichtet, gehört die Veranstaltungsreihe unter dem Titel «Diplomatic Sauna Society» zu den begehrtesten Einladungen in den aussenpolitischen Zirkeln der US-Hauptstadt. Der finnische Botschafter in Washington, Mikko Hautala, erhält pro Woche mehrere Anfragen für eine Einladung. Selbst Mitglieder des Repräsentantenhauses haben schon darum gebeten.
Ein wichtiger Faktor für die Beliebtheit der Saunatreffen sei die Vertraulichkeit. Es gelte die goldene Regel: «Whatever happens in the sauna, stays in the sauna», sagt Botschafter Hautala zur «New York Times»: «Was in der Sauna geschieht, bleibt in der Sauna.» Dazu trage die Nacktheit bei; diese führe zu offeneren, ehrlicheren und vertiefteren Gesprächen, die sich oftmals über Stunden hinziehen.
Zu den monatlich stattfindenden Treffen der «Diplomatic Sauna Society» werden etwa 15 bis 20 Gäste eingeladen. Sie beginnen mit einem Willkommensdrink an der eigens dafür eingerichteten Bar im Untergeschoss der finnischen Botschaft. Danach beginnt das eigentliche Saunaritual - nach Geschlechtern getrennt.
Den Teilnehmenden ist es überlassen, ob sie sich vollständig nackt oder in Badekleidung zum Schwitzen begeben. Die finnischen Gastgeber tun dies traditionellerweise unbekleidet - und die meisten Eingeladenen folgen ihrem Beispiel. In den bezüglich Nacktheit deutlich prüderen USA sei der Saunabesuch für viele Gäste ein aufregendes Erlebnis, berichtet das Magazin «Foreign Policy».
Nach einigen Saunagängen gibt es für die unterdessen wieder bekleideten Gäste traditionelle finnische Speisen und Drinks - sowie ein Zertifikat, mit dem sie hochoffiziell in den Kreis der «Diplomatic Sauna Society» aufgenommen werden.
Dieses Veranstaltungsformat gibt es auch in einigen anderen Hauptstädten. So etwa in den finnischen Botschaften in Berlin, London oder Tokio. Die Vertretung Finnlands in Bern, eingemietet im Gebäude des Weltpostvereins, verfügt hingegen über keine eigene Sauna, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Diejenige in der Residenz des Botschafters wurde «nur privat und gelegentlich bei offiziellem Besuch aus Finnland» genutzt.
Statt mit Saunieren werden die schweizerisch-finnischen Beziehungen mit Fussball gepflegt: Eine wichtige Rolle spielen die regelmässigen Partien zwischen dem FC Nationalrat und des finnischen Parlamentsteams. Dank des ehemaligen Profi-Torhüters Timo Furuholm, heute Abgeordneter im Parlament, gewinnen die Finnen diese Partien regelmässig.
Die Sauna als Mittel der Diplomatie hat in Finnland eine lange Tradition. So rang Präsident Urho Kekkonen im Jahr 1960 in der Sauna Nikita Chruschschow, dem Machthaber des übermächtigen Nachbarstaats Sowjetunion, die Zustimmung zu Finnlands Mitgliedschaft in der Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) ab.
1983 soll der damalige US-Vizepräsident George H. W. Bush bei einem Aufenthalt in Helsinki zur Abkühlung nackt in die Ostsee gesprungen sein. Seine finnischen Gastgeber, hervorragend informiert über die Vorgänge in Moskau, haben Bush angeblich zuvor in der Sauna auf einen aufsteigenden Hoffnungsträger innerhalb der sowjetischen Führung hingewiesen: Michail Gorbatschow.
Bush senior, 1988 zum Präsidenten gewählt, gelang es gemeinsam mit Gorbatschow, ab 1985 sowjetischer Machthaber, den Kalten Krieg nach Jahrzehnten zu einem grossmehrheitlich friedlichen Ende zu bringen. Der Sauna sei dank! (aargauerzeitung.ch/lyn)