Wie desolat die Finanzlage Frankreichs ist, zeigt die Budgetfrage: Die zweitgrösste Wirtschaft der EU hatte es wegen der wackligen Mehrheitsverhältnisse im Parlament seit dem Herbst nicht geschafft, einen Haushalt für 2025 zu verabschieden. Am Montag setzte Premier François Bayrou das Budget kurzerhand in Kraft. Möglich machte dies Artikel 49.3 der französischen Verfassung. Diese institutionelle Brechstange erlaubt es der Regierung, ein Vorhaben ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchzubringen. Voraussetzung ist, dass die Nationalversammlung dem Premier danach das Vertrauen ausspricht.
Wenn nicht, käme die Regierung Bayrou zu Fall, wie es dem vormaligen Premier Michel Barnier im Dezember passiert war. Bayrou hat diese Gefahr fürs Erste abgewendet. Mit Hilfe sozialpolitischer Budgetkonzessionen – etwa der Neueinstellung von 4000 Lehrern – schaffte er es, die Linksfront aufzubrechen und gemässigte Sozialdemokraten auf seine Seite zu ziehen. Am Montag beschloss die Parti socialiste, der Bayrou-Regierung das Vertrauen nicht zu entziehen. Kommunisten, Grüne, die linkspopulistischen «Unbeugsamen» und das rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen haben damit zusammen zu wenig Stimmen, um Bayrou zu stürzen.
Der zentrumsdemokratische Premier weiss für einmal auch die Bevölkerung hinter sich: Die Franzosen haben genug von dem unsäglichen Machtkampf, der im vergangenen Sommer durch die Ansetzung von Neuwahlen durch Präsident Emmanuel Macron ausgelöst worden war. Ein Regierungssturz würde bedeuten, dass wohl bis im Frühling kein Budget mehr zustande käme. Dies würde zum einen die Sozialleistungen schmälern und zum anderen das Wirtschaftsleben lähmen; denn in Frankreich machen die öffentlichen Ausgaben die fast schon realsozialistische Höhe von 57 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus.
Das am Montag per Artikel 49.3 durchgedrückte Budget ist allerdings bei weitem nicht das Heilmittel, das die kranke Wirtschaft Frankreichs bräuchte. Die Staatsfinanzen machen laut dem Ökonomen Marc Touati eine «katastrophale Entwicklung» durch. Die Staatsschuld ist unter Macron coronabedingt – aber nicht nur deshalb – um 800 auf 3200 Milliarden Euro hochgeklettert. Auch das ist Rekord in Europa. Frankreich, das seit fünfzig Jahren kein ausgeglichenes Budget mehr schaffte, verzeichnete im vergangenen Jahr mit 6,1 Prozent das höchste Defizit der Eurozone.
2025 soll der Fehlbetrag noch 5,4 Prozent betragen – mehr als in allen Nachbarländern. Die zahlreichen Konzessionen, mit denen Bayrou einen Regierungssturz zu vermeiden hofft, kosten zusätzliche Milliarden. Bayrous Vorgänger, Michel Barnier, hatte noch 60 Milliarden Euro an Einsparungen geplant; in dem nun genehmigten Budget sinken sie auf 32 Milliarden, also auf fast die Hälfte.
Bayrou erhöht zu diesem Zweck die Steuern für Grossfirmen und Grossverdiener für vorerst ein Jahr; die französische Abgabe auf Flugtickets nach einer europäischen Destination steigert er von 2.63 auf 7.30 Euro. Einsparungen gibt es nur noch in Ministerien, deren Angestellte weniger laut protestieren: Entwicklungshilfe, Kultur oder Forschung.
Zugrunde liegt dem neuen Budget eine Wachstumsrate von 1,1 Prozent. Der Vorsteher der Banque de France, François Villeroy de Galhau, bezeichnete sie indessen am Montag als «zu optimistisch». Viele Experten befürchten, dass Frankreich in eine «technische Rezession» absacken könnte. 66'000 Firmen haben 2024 Konkurs angemeldet, zahllose andere bauen Stellen ab. Die Zahl der Arbeitslosen ist 2024 um 100'000 Personen gestiegen.
Dazu kommt nun die Drohung von US-Präsident Donald Trump mit höheren Zöllen für europäische Produkte. Frankreich wäre weniger hart getroffen als Deutschland, doch einzelne Branchen wie die Luftfahrt, Luxus, Wein, Chemie und Pharma würden stark leiden. Das würde weiter auf das Wachstum Frankreichs drücken und das Budgetdefizit automatisch hochtreiben. Auch wenn sich ein Regierungssturz vorerst vermeiden liesse: Frankreich wird mehr und mehr zum kranken Mann Europas.
Das stellte am Freitag auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter fest. Als abschreckendes Gegenbeispiel zu ihrer von links kritisierten Sparpolitik nannte sie die Franzosen: «Sie geben mehr Geld für den Schuldendienst als für die Armee aus.» Richtig: Für die Verteidigung wandte Frankreich im letzten Jahr 43,9 Milliarden Euro auf; die Zinsen für ihre Staatsschuld kosteten sie 45 Milliarden Euro. Das ist der zweithöchste Posten hinter dem Bildungsetat.