Die französische Justiz hatte in letzter Zeit mehrere spektakuläre Prozesse zu meistern – mit Starschauspieler Gérard Depardieu etwa, mit Ex-Präsident Nicolas Sarkozy oder mit dem Missbrauchsopfer Gisèle Pelicot. Kein Gerichtsfall dürfte aber so massive Folgen haben wie eine Veruntreuungsaffäre gegen die rechtsextreme Partei Front National.
Politische Folgen, wohlgemerkt: Das für Montag angesagte Urteil könnte darüber befinden, wer in zwei Jahren das mit Abstand wichtigste Mandat in Frankreich ausüben wird. Konkret, ob die Rechtspopulistin und Putin-Versteherin Marine Le Pen in den Elysée-Palast einziehen wird.
Kern der Affäre ist eine Unsitte der französischen Politik, die schon einigen Parteien happige Strafen eingebrockt hat. Der Trick besteht darin, vom gut bestallten Europaparlament in Strassburg Saläre für fiktive «Parlamentsassistenten» zu beziehen, die in Wahrheit für die Pariser Parteizentralen tätig sind. Die Mittepartei MoDem des heutigen Premierministers François Bayrou wurde dafür 2024 verurteilt. Bayrou selbst ging aus Mangel an Beweisen straflos aus.
Beim Front National fand die Pariser Staatsanwaltschaft klare Belege für die Veruntreuung durch ein «organisiertes und zentralisiertes» System. Zentralisiert hiess aber, dass die Fäden bei Parteichefin Marine Le Pen zusammenliefen. Ihr droht deshalb eine mehrjährige, wahrscheinlich bedingte Haftstrafe.
Gravierender: Ein neueres Gesetz gegen die politische Korruption sieht bei einer solchen Sanktion automatisch Unwählbarkeit von normalerweise fünf Jahren vor. Und selbst wenn Le Pen gegen das Urteil in Berufung gehen würde, hätte dies keine aufschiebende Wirkung. Mit der Folge, dass Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2027 nicht antreten könnte.
Die Favoritin fiele damit aus. Le Pen hat sich in den drei letzten Präsidentschaftswahlen 2012, 2017 und 2022 von weniger als 20 Prozent auf 41,5 Prozent verbessert. Und da der aktuelle Amtsinhaber Emmanuel Macron nach Absolvierung von zwei Mandaten nicht mehr antreten kann, hat Le Pen in den Monatsumfragen die Nase vorn. Im März lag Le Pen (58) laut dem Institut BVA erstmals vor allen potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten.
Die Parteigründerin des Rassemblement National (RN) – wie der Front National seit 2018 heisst – präsentiert sich angesichts der erwarteten Verurteilung seit Monaten als Opfer des «Establishments». Das «System» zensuriere das Volk, behauptet sie in einer Petition, die binnen weniger Tage über 100'000 Unterschriften erhielt.
Hilfe könnte sie allerdings ausgerechnet von der Justiz erhalten. So jedenfalls wird ein Vorgängerurteil von Freitag gedeutet: Im Fall eines Lokalpolitikers des Überseegebietes Mayotte an der ostafrikanischen Küste hat das französische Verfassungsgericht zwar seine Strafe bestätigt; es befand aber zugleich, dass die angeordnete Unwählbarkeit «verhältnismässig» sein und «die Wahlfreiheit der Bürger schützen» müsse.
Die Lepenisten sehen darin einen Wink mit dem Zaunpfahl, dass ihre Kandidatin nicht für unwählbar erklärt werden dürfe. Ihre 13 Millionen Wähler würden sich verraten fühlen, wenn ihre Kandidatin nicht zur Wahl zugelassen würde.
Wie das Pariser Strafgericht am Montag entscheiden wird, ist schwer zu sagen. Der Druck ist jedenfalls gewaltig: Vom Entscheid der drei Richter hängt die politische Zukunft Frankreichs, ja Europas ab. Eine zur Wahl zugelassene und gewählte Präsidentin Le Pen würde Macrons pro-europäischen und pro-ukrainischen Kurs radikal ändern.
Sie will zwar nicht mehr aus der EU oder dem Euro aussteigen, aber das nationale über europäisches Recht stellen. Die EU sähe sich nicht mehr nur von aussen durch Nationalisten wie Donald Trump oder Wladimir Putin bedroht, sondern auch von innen durch einen ihrer dominantesten Mitgliedstaaten.
Und falls Le Pen für unwählbar erklärt wird? Die Rechte würde vehement die «Demokratieverweigerung» anprangern und sich zu rächen suchen – zum Beispiel, indem sie im Parlament mit der Linken die Regierung Bayrou stürzt. Neuwahlen würden nötig. Dann könnte Le Pen ihren aufstrebenden Sekundanten Jordan Bardella (29) in die Arena schicken. Wie auch immer dürfte im wirtschaftlich angeschlagenen Frankreich auch politisch nicht so schnell Ruhe einkehren. (aargauerzeitung.ch)
In einem Rennen um die Präsidentschaft ist sie selbst trotz allem ein ganz anderes Kaliber als ihr jugendlicher Protegé!
Die westliche Welt kann sich zur Zeit wahrlich keinen RN-Staatspräsidenten in Frankreich leisten und schon gar nicht Le Pen!
Ein paar Präzisierungen:
1. Le Pen dominiert in Umfragen, auch weil bei den anderen Parteien noch nicht klar ist, wer in 2 Jahren (!) kandidieren wird. Umfragen sind daher nur bedingt aussagekräftig.
2. Rückschlüsse von Le Pen auf Bardella sind abenteuerlich. Le Pens Wählerschaft ist eng mit ihr als Person verknüpft. Ob die einfach wechseln ist mehr als fraglich.
3. Frankreich hat eine sehr wechselhafte Politik. Wie es in 2 Jahren aussieht, ist noch sehr offen. Auch Macron tauchte sehr kurzfristig am Kandidatenhimmel auf.