Das Börsen-Drama der «glorreichen Sieben» nähert sich dem Höhepunkt
Die glorreichen Sieben – so respektvoll nennen Anleger jene sieben US-Technologiefirmen, deren Aktien zusammen einen Börsenwert von aktuell 20’000 Milliarden Dollar oder etwa gleich wie die jährliche Wirtschaftsleistung der gesamten EU auf die Waage bringen.
Das Septett verdankt seine Bezeichnung dem gleichnamigen Western von 1960, in dem sieben Revolverhelden ein mexikanisches Dorf gegen ein zahlenmässig weit übermächtiges Banditenheer verteidigen. Der Film hat ein bittersüsses Ende. Die Räuber werden besiegt, aber vier der sieben Helden sterben.
Wall-Street-Drama mit offenem Ausgang
Welches Ende das Drama der glorreichen Sieben an der Wall Street nehmen wird, vermag im Moment noch niemand vorauszusagen. Getragen von der Fantasie der Anleger, dass die künstliche Intelligenz die Wirtschaft bald viel produktiver machen wird, haben diese Unternehmen ihre astronomischen Bewertungen zwischen 1100 Milliarden (Tesla) und 4400 Milliarden (Nvidia) erreicht.
Auf welchen Projektionen das derzeitige Börsen-Eldorado fusst, zeigt beispielhaft eine kleine Hochrechnung, welche UBS-Analysten diese Woche im Vorfeld der Veröffentlichung der Nvidia-Halbjahreszahlen angestellt haben: Wenn sich ein Drittel aller Arbeiten in der Weltwirtschaft zur Hälfte automatisieren liesse und die KI-Industrie 10 Prozent dieses Produktivitätsgewinns für sich einheimsen könnte, dann hätte das zu bedeuten, dass der KI-Industrie Einnahmen von 1500 Milliarden Dollar pro Jahr zufliessen würden.
Das sei doppelt so viel wie der Gesamtwert aller Investitionen der KI-Industrie in den vergangenen vier Jahren, schreiben die UBS-Analysten. Was sie nicht explizit sagen, aber mit der Rechnung suggerieren: Für jeden Dollar, der als Investition in KI fliesst, kommen am Ende sieben bis acht Dollar an Ertrag für die KI-Industrie heraus.
Schon seit geraumer Zeit hört man Stimmen, die vor solchen Projektionen warnen. Nicht jede KI-Anwendung wirke produktivitätssteigernd, 95 Prozent der KI-Projekte in Unternehmen würden überhaupt kein zusätzliches Wachstum auslösen, heisst es in einer Studie der renommierten US-Universität MIT.
Aber was ist der Nutzen solcher Studien, wenn die verbleibenden 5 Prozent der KI-Projekte eben doch für die vierte industrielle Revolution sorgen können? Auch Open-AI-Gründer Sam Altman warnte kürzlich, der KI-Boom an der Börse sei mit der Internetblase von vor 25 Jahren vergleichbar. Aber die Anleger wissen eben auch: Wer damals 100 Dollar in Amazon-Aktien investierte, besitzt heute 12’000 Dollar.
Sagenhaftes Potenzial, aber...
Es besteht kein Zweifel: Das Potenzial von KI-Aktien ist sagenhaft, allerdings nur wenn man die richtigen Titel pflückt. In den Jahren 2023 und 2024 sah es ganz danach aus, als könnte man einfach pauschal auf die glorreichen Sieben setzen. Doch seit Anfang Jahr zeigt sich: Die Aktien folgen nicht mehr dem gleichen Pfad (siehe Grafik).
Der Automobilhersteller Tesla zeigt in der jüngeren Zeit miserable Geschäftszahlen. Noch glauben viele Anleger, dass Firmengründer Elon Musk seine langfristigen Pläne doch noch wahrmachen und Tesla zum globalen Vorzeigekonzern für angewandte KI (autonomes Fahren und humanoide Robotik) machen kann. Doch viele Investoren sehen auch, dass dieser Weg noch sehr weit ist. Darum liegen die Tesla-Aktien nun im Abwärtstrend.
Auch die Apple-Aktien liegen hinten, weil der Konzern sein Geld immer noch hauptsächlich mit seinen Geräten und nicht mit KI-Investitionen verdient. Die vergleichsweise schwache Aktienkursentwicklung von Apple und Tesla kommt für David Wong, Aktienstratege beim US-Vermögensverwalter Alliance Bernstein, nicht von ungefähr.
Die beiden Konzerne steigern ihre Investitionen im laufenden Jahr weit weniger als die anderen vier Firmen der Vergleichsgruppe. Im Fall von Tesla sind die Investitionen 2025 sogar rückläufig. David Wong schreibt in einem Marktkommentar: «Die Entwicklung und Implementierung von KI-Technologie erfordert hohe Investitionen. Deshalb belohnen Anleger derzeit Unternehmen, die grosszügig ausgeben, um im Wettlauf um KI die Nase vorn zu behalten.»
Die Anleger erwarten also, dass Unternehmen ihre Infrastruktur ausbauen, Rechenkapazitäten erweitern und sich ihren Platz in der KI-Wertschöpfungskette sichern. «Der Markt signalisiert klar: Mutige Investitionen werden nicht nur akzeptiert – sie werden erwartet», schreibt Wong.
Doch grosse Investitionen allein sind auch kein zuverlässiges Indiz dafür, welche Firmen im KI-Wettlauf vorne bleiben werden. Erfolgen die Investitionen am falschen Ort, sind sie den Risiken von Donald Trumps Zollpolitik ausgesetzt. Apple hat zwar angekündigt, einen Grossteil der iPhone-Produktion von China nach Indien zu verlagern, jetzt aber ist auch Indien voll ins Visier von Trumps Handelspolitik geraten. Mit Importzöllen von bis zu 50 Prozent will Trump die Inder zwingen, ihre Erdölkäufe in Russland abzustellen.
Wie speziell ist Nvidia?
Demgegenüber scheint Branchenprimus Nvidia eine Art Sonderbehandlung von Trump zu geniessen. Obschon der Chip-Hersteller fast vollständig von Halbleiterlieferungen aus Taiwan abhängig ist und in Festlandchina viel verkauft, scheinen sich die Anleger bislang wenig Sorgen zu machen. Trump hat ein ursprüngliches Exportverbot nach China unlängst rückgängig gemacht und Ausfuhren von den speziell für den China-Markt entwickelten H20-Chips gegen eine Exportsteuer von 15 Prozent und ein Investitionsversprechen in den USA im Umfang von 500 Milliarden Dollar wieder zugelassen. Damit ist Nvidia aber nicht endgültig auf der sicheren Seite.
Es gibt wichtige sicherheitspolitische Bedenken auf beiden Seiten, die den Technologieaustausch zwischen China und Amerika weiter behindern und das Geschäft von Nvidia empfindlich stören könnten. Zudem ist Nvidia schon jetzt sehr einseitig von den KI-Investitionen von Meta (früher Facebook) und Microsoft abhängig. Die beiden Konzerne verantworten rund 40 Prozent aller Nvidia-Verkäufe, die Kunden in China machen rund 13 Prozent aus.
Investmentstratege David Wong prophezeit «eine zunehmende Spreizung» der Geschäftsergebnisse der glorreichen Sieben. Wer weiterhin von den Chancen dieser Unternehmen profitieren wolle, müsse nun «genau hinschauen» und die Unterschiede verstehen lernen, sagt Wong. Um ins Bild des Films von 1960 zurückzukehren: Das ist vielleicht ein Zeichen, dass der finale Kampf nun beginnt. Wir erinnern uns: Die Helden haben gesiegt, aber vier mussten ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen.
