Trump: Wann ist genug?
Bennett Gersham ist Ethik-Professor an der Pace University. Befragt zur jüngsten Enthüllung über die Gier von Donald Trump reagierte er fassungslos: «Was für ein Schmierentheater», erklärte er gegenüber der «New York Times». «Der ethische Konflikt ist in diesem Fall so fundamental, dass man keinen Ethik-Professor braucht, um dies zu erklären.»
Worum geht es? Trump ist der Meinung, er sei im Fall der Russland-Affäre und der Untersuchungen von Sonderermittler Jack Smith zu Unrecht verfolgt worden und habe deswegen grossen Schaden erlitten. Dafür will er jetzt entschädigt werden, und zwar in der Höhe von 230 Millionen Dollar. Den Scheck dafür müssen die Justizministerin Pam Bondi und ihr Vize Todd Blanche ausstellen, und er selbst muss ihn in seiner Funktion als Präsident absegnen.
Bondi tut alles, was Trump ihr befiehlt, und Blanche war sein Verteidiger in den Strafprozessen. Die Interessenskonflikte und die Korruption sind in diesem Fall so offensichtlich, dass selbst Trump sich Gedanken macht. «Es sieht schon ein bisschen merkwürdig aus, nicht wahr?», führte er im Oval Office aus. «Ich richte über mich selbst. Deshalb bin ich unsicher. Aber die Verfahren gegen mich waren schon heftig.»
Trump wird seine 230 Millionen Dollar erhalten, wetten? Dass es sich dabei um Steuergelder handelt, lässt ihn kalt. Um die Kritik ein bisschen zu entschärfen, will er das Geld für wohltätige Zwecke spenden. Nur musste er seine Wohltätigkeits-Organisation schliessen, weil er die Gelder für private Zwecke missbraucht hat.
Die 230-Millionen-Dollar-Entschädigung ist nur das jüngste Beispiel von Trumps Korruptions-Tsunami. Mit seinen Krypto-Währungen sollen er und seine Kinder bereits Milliarden eingesackt haben. Von den Katarern lässt er sich einen 400-Millionen-Dollar-Jet schenken, und trotzdem fordert er seine Anhänger regelmässig dazu auf, ihm zu weit überrissenen Preisen seine Uhren, Turnschuhe und selbst Bibeln abzukaufen.
Dazu kommt Trumps offener Sadismus. Den Shutdown benützt er, um die Schwächsten zu bestrafen. «Food stamps», die Subventionen für Nahrungsmittel, werden bald nicht mehr fliessen. Derweil streicht der «Darth Vader» im Weissen Haus, Budgetdirektor Russ Vought, alles zusammen, was irgendwie nach Sozialhilfe oder Umweltschutz riecht.
Die fast unglaubliche Vulgarität des Präsidenten erreicht ebenfalls neue Tiefstwerte. So hat er am vergangenen Wochenende ein KI-generiertes Video veröffentlicht, in dem er mit einer Krone in einem Kampfjet zu sehen ist, wie er die Teilnehmer der «No Kings»-Demonstrationen mit Fäkalien überschüttet.
Die Frage ist daher nicht, wie tief Trump noch sinken kann. Sie lautet vielmehr: Wie lange lassen sich die Amerikaner das noch gefallen? Um die Antwort zu finden, müssen wir uns mit dem Begriff «own the libs» befassen.
Der Neoliberalismus hat in den USA tiefe Spuren hinterlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es dem amerikanischen Mittelstand und den Arbeitern so gut wie noch nie. Die Deregulationen und die Steuergeschenke des Neoliberalismus haben ihnen einen grossen Teil davon wieder zunichtegemacht. Gleichzeitig öffnete sich die Reichtums-Schere in einem bisher unbekannten Masse. Das Vermögen von Elon Musk beispielsweise ist grösser als die gesammelten Sparguthaben der unteren Hälfte der amerikanischen Bevölkerung.
Die Folge davon ist ein riesiger Hass des Mittelstandes auf die Reichen. Dieser Hass richtet sich jedoch nicht gegen die neuen Oligarchen, sondern gegen eine «woke», urbane Elite und einen vermeintlichen Deep State. Beide werden mit den linksliberalen Demokraten in Verbindung gebracht. «Own the libs» bedeutet deshalb, etwas zu unternehmen, was diese Menschen zur Weissglut treibt.
«Own the libs» ist die Treibfeder einer Politik des Hasses, und diese beherrscht Trump meisterhaft. Als die Witwe von Charlie Kirk bei der Abdankungsfeier ihres Mannes dem Mörder vergeben wollte, erwiderte der Präsident, da könne er nicht mithalten. Er hasse seine Gegner und wünsche ihnen nur alles Schlechte an den Hals.
Inhalte spielen keine Rolle mehr
Politische Inhalte spielen keine Rolle, wenn es um «own the libs» geht. «Hass ist kein Grund mehr, einen Deal zu verhindern», wie Katie Rogers in der «New York Times» feststellt. Nichts ist mehr zu vulgär oder zu rassistisch, um Folgen zu haben. Ja, mittlerweile wird gar offener Faschismus akzeptiert.
So hat das Online-Magazin Politico kürzlich einen Chat von jungen Anführern der Republikaner veröffentlicht, in dem sich diese über die Vergasung der Juden lustig machen und Hitler loben. Nur im allerletzten Moment hat Trump die Nominierung eines gewissen Paul Ingrassia für einen Posten im Kabinett zurückgezogen. Dieser hatte geprahlt, er habe eine «Neigung zu den Nazis».
Vulgarität, Rassismus und offener Faschismus werden von den Republikanern entweder geleugnet oder verharmlost. «Eine gängige Praktik der Trump-Regierung besteht darin, verwerfliches Handeln und Hass zu verteidigen oder zu verzwergen», so Rogers. «Sie bezeichnen es als Ironie – und daher als nicht bedeutend.»
Zwischenbemerkung: Bevor wir uns über die Amis empören, sollten wir vor der eigenen Türe kehren. Auch wir kennen eine Form von «own the libs»: Wer heute den Eindruck erweckt, wir würden von «woken» Erben beherrscht, die in unseren Städten wie die Maden im Speck hausen, nur halbtags arbeiten, Kunstgeschichte oder Ethnologie studiert haben, Autos und Kernkraftwerke verbieten wollen und den hart arbeitenden Menschen, die jeden Morgen mit dem Wecker aufstehen und trotzdem nicht über die Runden kommen, weil die Steuergelder für Asylanten und unsinnige Ökoprojekte verschleudert werden, vorschreiben wollen, was sie zu essen haben und wohin sie in die Ferien fahren dürfen, der kann ebenfalls auf Applaus hoffen.
Zurück in die USA – die Frage drängt sich auf: Wie lange lassen sich die Amerikaner das noch gefallen? Wann ist genug der Lügen, der Korruption und der Inkompetenz?
Eine klare Antwort darauf gibt es nicht. Doch die Indizien, dass der «verrückte König» an seine Grenzen stossen könnte, mehren sich. Trumps Beliebtheitswerte in den Umfragen sind unterirdisch, teilweise gar unter 40 Prozent. Dass er jetzt das Weisse Haus teilweise abbrechen lässt, um einen pompösen Ballsaal zu errichten, sorgt selbst bei Republikanern für gehobene Augenbrauen.
Dazu kommt, dass seine Politik selbst bei seinen Wählern erste schmerzhafte Symptome hervorruft. Die Streichung der Subventionen der Krankenkassenbeiträge und die Schliessung von Spitälern auf dem Land betreffen mehrheitlich republikanische Wähler.
Oder wie lässt es sich mit der Maga-Doktrin vereinbaren, dass Trump dem argentinischen Präsidenten Javier Milei mit insgesamt 40 Milliarden Dollar aus der Patsche helfen will? Zumal es gerade die argentinischen Farmer sind, welche den amerikanischen Farmern in den «roten» Bundesstaaten das Leben schwer machen, weil sie ihre Sojabohnen an China liefern.
Mehr noch, um sein Versprechen einzulösen, die Lebensmittelpreise zu senken, will Trump neuerdings gar billiges Rindfleisch aus Argentinien importieren. Und inzwischen ist auch bekannt, dass Finanzminister Scott Bessent mit diesen Krediten verhindern will, dass seine Hedgefund-Kumpels grosse Verluste erleiden.
Gleichzeitig öffnet sich die Reichtums-Schere immer weiter. Die Börse boomt, und davon profitieren primär die Wohlhabenden, die zudem mit der «Big Beautiful Bill» ein fettes Steuergeschenk erhalten haben. Derweil schwächt sich die reale Wirtschaft deutlich ab. Genaues weiss man nicht, da wegen des Shutdowns die Fakten fehlen.
Und ja, auch die Epstein Files sind noch lange nicht ausgestanden. Selbst dann nicht, wenn Speaker Mike Johnson, ein Trump-Speichellecker, seit Wochen die Abgeordneten in die Ferien schickt, um so zu verhindern, dass eine neu gewählte Repräsentantin aus Arizona vereidigt wird. Sie ist das Zünglein an der Waage, um eine Petition durch das Abgeordnetenhaus zu schleusen. Diese fordert die Offenlegung dieser für Trump wahrscheinlich verheerender Files.
Mit seiner Politik des Hasses, mit «own the libs» um jeden Preis, ist es Trump gelungen, grosse Teile der amerikanischen Bevölkerung so zu verwirren, dass sie nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. «Er hat so eine Ära von Misstrauen und Verwirrung eingeläutet, in der er seine eigenen Interessen durchsetzen kann», wie Franklin Foer im «Atlantic» feststellt.
Sollte er scheitern, und sollten die Amerikaner tatsächlich eines Tages die Schnauze voll davon haben, dann vor allem deshalb, weil sich Kräfte durchsetzen, die Bill Clinton seinerzeit zur legendären Maxime erhoben hat: «It’s the economy, stupid.»