In Bolivien versuchte ein Teil des Militärs, unter Führung des erst am Tag zuvor aus seinem Amt entlassenen Generals Juan José Zúñiga, die Macht im Land zu übernehmen.
Der amtierende Präsident Luis Arce forderte als Reaktion auf die Geschehnisse die Öffentlichkeit via X auf, «die Demokratie zu verteidigen». Anhänger des Präsidenten versammelten sich daraufhin auf dem Plaza Murillo, dem Schauplatz des Putsches, wo auch der Präsidentenpalast liegt.
Mit der Festnahme von Aufrührer Zúñiga endete der Putsch letzten Endes erfolglos, weil sich andere führende Politiker und Militärs gegenüber Arce und dem demokratischen System loyal zeigten. Dennoch steht Bolivien eine von Unsicherheit geprägte politische Zukunft bevor. Hintergrund – und Auslöser des aktuellen Putsches – sind die im kommenden Jahr stattfindenden Präsidentschaftswahlen, wo der umstrittene Ex-Präsident Evo Morales erneut kandidieren will.
Bolivianischen Medien wie der Zeitung La Razon zufolge begann der Putsch um circa 14.30 Uhr am Mittwochnachmittag (Ortszeit, 20.30 Uhr Schweizer Zeit).
Gepanzerte Fahrzeuge rammten laut den Berichten die Türen des bolivianischen Regierungspalastes in der Hauptstadt La Paz. Auf dem zentralen Plaza Murillo, an dem sich mehrere Büros der Regierung und der bolivianischen Justiz befinden, versammelten sich bewaffnete Soldaten.
Auf Bildern, die im bolivianischen Fernsehen gezeigt wurden, ist zu sehen, wie sich Ex-General Zúñiga Zugang zum Präsidentenpalast verschaffte. Dort wurde er von Staatsoberhaupt Luis Arce konfrontiert, der ihm sagte:
Tatsächlich war der Rückhalt von Arce in Politik, Volk und Armee gross genug. Er forderte die Bevölkerung und Militär via X auf, die Demokratie zu verteidigen.
Denunciamos movilizaciones irregulares de algunas unidades del Ejército Boliviano. La democracia debe respetarse.
— Luis Alberto Arce Catacora (Lucho Arce) (@LuchoXBolivia) June 26, 2024
Arce tauschte am Abend die Führungsriege des Militärs aus. Er ernannte einen neuen Oberbefehlshaber für die bolivianische Marine und für die Luftwaffe.
Zúñigas Nachfolger als Armeechef, José Sanchez, wies die von Zúñiga mobilisierten Einheiten öffentlich an, vom Plaza Murillo abzuziehen. Seine Aussage auf einem Podium vor dem Präsidentenpalast wurde von den anwesenden Menschen bejubelt und mit Applaus quittiert, wie CNN berichtete.
Die gepanzerten Fahrzeuge verliessen daraufhin den Schauplatz. Ex-General Zúñiga wurde festgenommen. Die Generalstaatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen den Offizier und seine Mitverschwörer ein. Zúñiga werde Terrorismus und bewaffneter Aufstand gegen die Sicherheit und Souveränität des Staates vorgeworfen.
Putschführer Zúñiga sprach, bevor er den Präsidentenpalast betrat, auf dem Murillo-Platz zu Reportern: «Wir sind gekommen, um unseren Unmut zu äussern», sagte er. Er sprach von «Angriffen auf die Demokratie», ohne allerdings näher zu erläutern, was damit genau gemeint war.
Zudem sprach Zúñiga über die schwierige wirtschaftliche Situation für die Menschen im Land.
Der versuchte Staatsstreich richtete sich aber insbesondere auch gegen eine erneute Präsidentschaftskandidatur des früheren Staatschefs Evo Morales (2006-2019).
Der linke Staatschef war 2019 unter dem Druck des Militärs zurückgetreten, nachdem ihm von der Opposition und internationalen Wahlbeobachtern Betrug bei der Präsidentenwahl vorgeworfen worden war. Er bezeichnete den Druck gegen ihn damals ebenfalls als Putsch.
Derzeit kämpfen Morales und der amtierende Staatschef Arce, die einst Verbündete waren, um die Führungsrolle in ihrer Partei MAS vor den Wahlen im Jahr 2025.
Putschist Zúñiga hatte sich vor einigen Tagen gegen Morales' erneute Kandidatur ausgesprochen. Er kündigte an, diesen notfalls mit Gewalt zu blockieren. Auch als Reaktion auf diese Aussagen hin wurde er dann von Präsident Arce entlassen. Der Versuch der Machtübernahme von Zúñiga richtete sich also nicht in erster Linie gegen den Präsidenten Arce.
Ex-Präsident Morales verurteilte den Putschversuch auf X ebenso, wie die derzeit inhaftierte frühere Übergangspräsidentin Jeanine Áñez, die politisch nicht demselben Lager wie Arce und Morales angehört.
Convocamos a una Movilización Nacional para defender la Democracia frente al golpe de Estado que se gesta a la cabeza del Gral. Zuñiga.
— Evo Morales Ayma (@evoespueblo) June 26, 2024
Declaramos paro general indefinido y bloqueo de caminos.
No permitiremos que las Fuerzas Armadas violenten la democracia y amedrenten al…
Dass viele wichtige Figuren der Politik sowie auch entscheidende Teile des Militärs den Putschversuch verurteilen oder zumindest nicht unterstützen, kann einerseits als Beweis für die Stabilität der Demokratie in Bolivien ausgelegt werden. Auf der anderen Seite könnte es sich dabei aber auch um reinen Opportunismus handeln, da schnell klar war, dass die Pläne Zúñigas zu wenig Kredit genossen.
Brisant ist auch eine Äusserung Zúñigas kurz vor seiner Festnahme gegenüber den Medien. Er deutete explizit an, dass der Putschversuch mit Präsident Arce abgesprochen war. Er sagte:
Und weiter:
Klar ist: Mit den aktuellen Verhältnissen, der Präsidentschaftswahl 2025 und der mutmasslichen erneuten Kandidatur des umstrittenen Ex-Präsidenten Evo Morales steht Boliviens Demokratie weiter vor einer herausfordernden Zukunft.
Der Putschversuch wurde unisono von Politikern aus aller Welt verurteilt.
So äusserte sich beispielsweise EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisch: «Ich verurteile entschieden die Versuche, die demokratisch gewählte Regierung Boliviens zu stürzen», schrieb von der Leyen am späten Mittwochabend auf der Plattform X. Die Europäische Union stehe an der Seite der Demokratien.
Auch mehrere lateinamerikanische Präsidenten verurteilten den Vorstoss des Militärs. «Wir verurteilen jede Form des Staatsstreichs in Bolivien und bekräftigen unser Engagement für das Volk und die Demokratie in unserem Bruderland», sagte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.
Chiles Präsident Gabriel Boric schrieb auf der Nachrichtenplattform X: «Wir können keinen Verstoss gegen die rechtmässige verfassungsmässige Ordnung in Bolivien oder anderswo tolerieren.»
Putschversuche des Militärs sind in Lateinamerika keine Seltenheit. Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren wurden viele Staaten der Region von Militärjuntas regiert, welche oft mit Unterstützung von US-Geheimdiensten an die Macht kamen. In Argentinien, Chile und Brasilien fielen der Gewaltherrschaft der Militärs Zehntausende Menschen zum Opfer.
Erst in den letzten zwei Jahren kam es mit Brasilien und Peru in zwei Ländern zu schweren politischen Unruhen und Beinahe-Putschen aufgrund von Regierungswechseln. In Brasilien versuchte der abgewählte Präsident Jair Bolsonaro an der Macht zu bleiben, indem er das Militär instrumentalisieren wollte. Der Plan scheiterte am Widerstand der Mehrheit der Generäle.
In Peru wurde Präsident Pedro Castillo vom Kongress entmachtet, woraufhin er das Parlament aufzulösen versuchte, ebenfalls um an der Macht zu bleiben. Dies gelang nicht, doch seine Absetzung führte zu massiven Protesten der mehrheitlich ländlichen Bevölkerung, die ihn unterstützte.
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA.
Entscheidend wurde also der Putsch nach dem (zumindest teilweise inszenierten) Putschversuch...