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Peru im Ausnahmezustand – wie die Situation dermassen eskalierte

Peru im Ausnahmezustand – wie die Situation dermassen eskalierte

In Peru brodelt es so gewaltig, dass die Regierung den landesweiten Ausnahmezustand ausgerufen hat. Eine Übersicht.
15.12.2022, 13:2515.12.2022, 16:19
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Es sind zwei Tropfen, die am 7. Dezember 2022 das Fass im ohnehin politisch tief gespaltenen Peru zum Überlaufen gebracht haben – ein gescheiterter Putschversuch sowie ein historischer Machtwechsel.

Die Hintergründe – und die Geschehnisse in 7 Punkten:

Die Absetzung Castillos

Perus ehemaliger Präsident Pedro Castillo ist am 7. Dezember 2022 des Amtes enthoben worden, nachdem er verkündet hatte, den Kongress aufzulösen und per Dekret zu regieren.

«Der Kongress hat den Rechtsstaat, die Demokratie und das Gleichgewicht zwischen den Staatsgewalten zerstört», sagte Castillo.
Ein Auszug aus Pedro Castillos Ankündigung.
FILE - Peruvian President Pedro Castillo gives a press conference at the presidential palace in Lima, Peru, Oct. 11, 2022. On Wednesday, Dec. 7, 2022, Castillo faces a third impeachment attempt by Con ...
Der ehemalige Präsident Perus: Pedro Castillo.Bild: keystone

Politiker aus Regierungslager und Opposition hatten die Ankündigung als Staatsstreich gewertet. Zahlreiche Kabinettsmitglieder gingen ihm vor die Fahne, allen voran die bisherige Vizepräsidentin Dina Boluarte. Auf Twitter schrieb sie: «Das ist ein Putschversuch, der die politische und institutionelle Krise verschärft, die die peruanische Gesellschaft unter strikter Einhaltung der Gesetze überwinden muss.»

Noch am selben Tag wurde Pedro Castillo vom peruanischen Kongress abgesetzt und festgenommen. Der Vorwurf gegen ihn lautet: Rebellion.

Amtsübernahme durch Dina Boluarte

Nach dem Sturz von Pedro Castillo ist Dina Boluarte als neue Präsidentin vereidigt worden, so wie es die Verfassung vorsieht. Davor war sie die Vizepräsidentin des abgesetzten Präsidenten Pedro Castillo sowie Ministerin für Entwicklung und soziale Inklusion. Die 60-jährige Juristin ist die erste Staatschefin in der Geschichte Perus.

epa10361981 Handout photo made available by the Presidency of Peru of Peruvian President Dina Boluarte, proposing bringing general elections forward by two years to April 2024 amid ongoing political t ...
Die erste Staatschefin Perus: Dina Boluarte. Bild: keystone

Der Machtwechsel, der das Fass zum Überlaufen brachte

Der turbulente Machtwechsel fällt in eine sonst schon politisch unruhige Zeit. Dina Boluarte ist die sechste Präsidentin in nur fünf Jahren. Die peruanische Politik steckt im Korruptionssumpf. Die Präsidenten wechseln sich seit 1990 mit Korruptionsskandalen ab. Noch weniger Vertrauen hat die Bevölkerung in den Kongress, der auch als korrupt gilt. Dazu kommt die tiefe Spaltung des Landes: Die Kluft zwischen Arm und Reich ist gross.

Landesweite Proteste

In den ersten Tagen nach der Amtsenthebung kam es im ganzen südamerikanischen Land zu Protesten. Tausende Menschen fordern die Freilassung des inhaftierten Ex-Präsidenten sowie den Rücktritt von Dina Boluarte.

«Wir haben Pedro Castillo gewählt und wollen, dass unsere Stimmen respektiert werden.»
Dies sagt ein peruanischer Demonstrant gegenüber DW.
Supporters of former President Pedro Castillo gather outside the police base where he is being held following his arrest and faces charges of rebellion on the outskirts of Lima, Peru, Wednesday, Dec.  ...
Anhänger des ehemaligen Präsidenten Pedro Castillo versammeln sich vor dem Polizeistützpunkt in Lima, Peru, in dem er nach seiner Verhaftung wegen Rebellion festgehalten wird, 14. Dezember 2022.Bild: keystone

Einige Demonstranten erhoffen sich gar eine Auflösung des Parlaments, von dem sie sich ungerecht behandelt fühlen:

«Wir wollen eine Regierung frei von Korruption, welche es uns ermöglicht, aus dieser Unterentwicklung, aus diesem Kolonialismus, in dem wir immer noch leben, herauszukommen.»
Ein weiterer Stimmenfang der «Deutschen Welle».
Supporters of ousted President Pedro Castillo burn a poster of newly-named President Dina Boluarte during a protest march in Lima, Peru, Friday, Dec. 9, 2022. Peru's Congress voted to remove Pres ...
Anhänger des gestürzten Präsidenten Pedro Castillo verbrennen ein Plakat der neuen Präsidentin Dina Boluarte während eines Protestmarsches in Lima, Peru, 9. Dezember 2022.Bild: keystone
Police arrive where supporters of ousted Peruvian President Pedro Castillo protest his detention in Arequipa, Peru, Wednesday, Dec. 14, 2022. Castillo was detained on Dec. 7 after he was ousted by law ...
Die Polizei greift ein, als Anhänger des gestürzten peruanischen Präsidenten Pedro Castillo die Strasse blockiert haben, um gegen seine Inhaftierung zu demonstrieren, Bild: keystone
A man walks along the Pan-American North Highway where supporters of ousted Peruvian President Pedro Castillo have blocked the road, in Chao, Peru, Wednesday, Dec. 14, 2022. Peru's new government ...
Anhänger des gestürzten peruanischen Präsidenten Pedro Castillo blockieren die Autobahn in Lima, 14. Dezember 2022.Bild: keystone

Castillos Anhänger

Im Juni 2021 gewann der Linkspolitiker Pedro Castillo die Stichwahl gegen den Rechtspopulistin Keiko Fujimori. Die Wahl fand inmitten der Corona-Pandemie statt, welche das Land noch stärker polarisierte. Peru verzeichnete einen drastischen Anstieg der Armut sowie eine der höchsten Sterblichkeitsraten weltweit.

epa10364608 Hundreds of people demand the release of former President Pedro Castillo, outside the Police station where he is being held in Lima, Peru, 13 December 2022. The Permanent Criminal Chamber  ...
Hunderte von Menschen fordern die Freilassung des ehemaligen Präsidenten Pedro Castillo vor der Polizeistation, in der er in Lima, Peru, festgehalten wird, 13. Dezember 2022.Bild: keystone

Castillo wuchs in einer verarmten und analphabetischen Bauernfamilie auf und vertrat vor allem das ländliche Peru, welches meist in bitterer Armut lebt. Anthony Medina Rivas Plata, Politikwissenschaftler an der Katholischen Universität Santa María, erklärte seine Wahl damals so:

«Castillos gewann nicht, weil er links ist, sondern weil er von unten kommt.»

Landesweiter Ausnahmezustand

In den vergangenen Tagen sind die Proteste derart eskaliert, dass es zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei kam. Dabei seien laut Eliana Revollar, Ombudsfrau für Menschenrechte, mehrere Menschen getötet worden, darunter zwei Minderjährige.

Als Antwort auf die zunehmend gewaltsamen Proteste verordnete die Regierung in Peru am 15. Dezember 2022 einen 30-tägigen Ausnahmezustand über das ganze Land. «Aufgrund von Vandalismus und Gewalt, der Beschlagnahme von Autobahnen und Strassen» habe die Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen, erklärt der Verteidigungsminister Alberto Otárola.

Mit dem Ausnahmezustand übernimmt das Militär die öffentliche Sicherheit und einige Grundrechte wie etwa die Versammlungsfreiheit werden ausser Kraft gesetzt.

epa10366586 Soldiers guard the streets in the center of Arequipa, Peru, 14 December 2022. The Government of the Peruvian president Dina Boluarte decreed a State of Emergency at the national level for  ...
Soldaten bewachen die Strassen im Zentrum von Arequipa, Peru, 14. Dezember 2022.Bild: keystone

800 gestrandete Touristen

Um weitere Proteste zu verhindern, steht nun auch die einzige Zugverbindung, mit dem man die weltbekannten Inka-Stätte Machu Picchu erreicht, still. Rund 800 Touristen unterschiedlicher Nationalitäten stecken in der Tourismus-Region fest. Dies teilten die örtlichen Behörden mit. Man wolle nun versuchen, eine Luftbrücke einzurichten, um die Menschen zu evakuieren.

(mit Material der Nachrichtenagentur SDA)

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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Cirrum
15.12.2022 14:10registriert August 2019
In einem Land in dem alles im Überfluss wächst, weil es geographisch perfekt liegt, das Land von Nord bis Süd aus Küste, Berge und Jungel besteht, müssen Menschen in Armut sterben:-(
Es ist verrückt, wie die Menschen ohnmächtig das alles wissen und trotzdem machtlos sind. Ohne Militär, welches ja eigentlich "das Volk verteidigen müsste", wären solch Staatsoberhäupter machtlos.
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LURCH
15.12.2022 15:34registriert November 2019
Vielleicht sollte man bei diesem Geschehen auch die jüngere Geschichte von Peru beachten, unter dem die politische Situation immer wieder durch das rechtspopulistiche Fujimori-Geschwür destabilisiert und eine Entwicklung verunmöglicht wurde.
Angefangen hat alles unter dem imperialistischen Diktator mit japanischen Wurzeln, der mit seinen unsäglichen Verbrechen gegen die Indigene Bevölkerung (350'000 Zwanssterilisierungen von Frauen und 25'000 Männern zwecks "Armutsbekämpfung") in den 90ern bis heute noch nicht verurteilt wurde, und nun seine Brut alles daran setzt dies weiterzuführen.
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Heinz666
15.12.2022 14:51registriert Dezember 2020
Sehr traurig, das aus der Ferne zu sehen. Ich war vor kurzem dort und das Land und die Leute sind unglaublich toll.
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