Gepflegte Rhetorik war noch nie seine Stärke: Der neue philippinische Präsident Rodrigo Duterte zielt mit seinen derben Sprüchen gern unter die Gürtellinie. Nachdem er schon – damals noch nicht als Staatschef – den Papst als Hurensohn bezeichnet hatte, beschimpfte er nun US-Präsident Obama mit demselben unflätigen Ausdruck. Prompt sagte Obama ein geplantes Treffen mit Duterte ab.
Die gelinde gesagt undiplomatische Sprache des philippinischen Präsidenten erstaunt umso mehr, als die Philippinen derzeit amerikanische Rückendeckung suchen: Seit China im sogenannten Inselstreit im Südchinesischen Meer immer unverhohlener seine Muskeln spielen lässt, ist man in Manila wieder froh über die militärische Präsenz der USA im westlichen Pazifik.
Warum also beschimpft Duterte den US-Präsidenten in aller Öffentlichkeit aufs Übelste? Zum einen verdankt der Mann seine politische Karriere wohl nicht zum geringsten Teil seinem provokativen Machismo. Beim gemeinen Volk dürfte er damit punkten, dass er dem mächtigsten Mann der Welt ans Bein pinkelt.
Zum andern aber ist sein verbaler Ausrutscher, der sich ja präventiv gegen amerikanische Kritik an der Menschenrechtslage in den Philippinen richtete, auch Ausdruck einer spezifischen Empfindlichkeit: Die Philippinen waren bis 1946 eine amerikanische Kolonie. Nicht von ungefähr sagt Duterte in seiner Attacke: «Ich bin der Präsident eines souveränen Staates, und wir sind schon lange keine Kolonie mehr.»
Tatsächlich hat der Archipel eine lange koloniale Vergangenheit. Nachdem der unter spanischer Flagge segelnde portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan die Inseln 1521 erreicht hatte, dauerte es nur knapp 50 Jahre, bis die Spanier sie offiziell in Besitz nahmen. Schon während der spanischen Kolonialherrschaft kam es mehrfach zu Aufständen der Filipinos, die jedoch niedergeschlagen wurden.
Die letzte Rebellion gegen die morsche Herrschaft der Spanier begann 1896. Sie war zunächst ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt, doch dies änderte sich mit dem Ausbruch des Spanisch-Amerikanischen Kriegs im April 1898. Die USA vernichteten die spanische Flotte in der Bucht von Manila und entrissen den Spaniern fast alle verbliebenen Kolonien in der Karibik und im Pazifik, darunter die Philippinen.
Während des Krieges gegen Spanien betrachteten die aufständischen Nationalisten die Amerikaner als Verbündete, zumal diese eine antikolonialistische Rhetorik pflegten. Die Filipinos übersahen dabei die wirtschaftlichen und strategischen Interessen Washingtons, das die Inselgruppe als Stützpunkt im westlichen Pazifik und als Sprungbrett für die asiatischen Märkte nutzen wollte. Der US-Senator Albert Jeremiah Beveridge machte dies zwei Jahre später in einer Rede vor dem Kongress deutlich:
Nachdem die USA die Philippinen nach der Niederlage der Spanier unter ihre Kontrolle gebracht und sich damit selbst als Kolonialmacht etabliert hatten, wandten sich die philippinischen Rebellen gegen die neuen Kolonialherren: 1899 brach der Philippinisch-Amerikanische Krieg aus, der viel länger dauerte und viel blutiger war als jener gegen die Spanier.
Schnell gingen die militärisch unterlegenen Filipinos zu einem Guerillakrieg gegen die US-Truppen über. Etwa 100'000 Aufständische bekämpften in den nächsten drei Jahren rund 12'500 amerikanische Soldaten. Es kam zu zahlreichen Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung; bis zur Kapitulation 1902 kamen neben 4300 US-Soldaten rund 20'000 Rebellen und schätzungsweise 250'000 bis eine Million Zivilisten ums Leben. Einzelne Guerillaverbände gaben den Widerstand erst zehn Jahre später endgültig auf.
Die amerikanische Kolonialherrschaft war nicht auf Ewigkeit hin angelegt: Schon in den Dreissigerjahren verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das die Unabhängigkeit der Kolonie nach einer zehnjährigen Übergangsfrist vorsah und den Philippinen einen halbautonomen Status verlieh – während die USA ihre Stützpunkte behielten.
Noch während der Übergangsphase eroberten die kaiserlichen japanischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg den Archipel. Der gemeinsame Kampf gegen die Japaner führte zu einer Annäherung zwischen Amerikanern und Filipinos. Nach der japanischen Kapitulation erlangten die Philippinen 1946 die volle Unabhängigkeit; die USA liessen sich aber ihre Hoheitsrechte über 23 Militärstützpunkte garantieren und nahmen zudem wirtschaftliche Sonderrechte in Anspruch.
Die Philippinen mit ihren bedeutenden US-Stützpunkten spielten während des Kalten Krieges – besonders während des Korea- und Vietnamkriegs – eine wichtige Rolle in der amerikanischen Aussenpolitik. Die antikoloniale Stimmung unter den Filipinos verschwand jedoch nicht völlig. Dies zeigte sich 1991, als Manila die Verlängerung des Stützpunktvertrags verweigerte. Die US-Truppen zogen daraufhin aus den Basen ab.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kam es wieder zu einer Annäherung; die USA unterstützten danach die philippinische Armee bei der Bekämpfung der islamistischen Rebellen im Süden des Archipels. Und in den letzten Jahren sorgten dann die chinesischen Territorial-Ansprüche im Südchinesischen Meer zu einer verstärkten Kooperation zwischen Manila und Washington.
Vermutlich sind alte antikoloniale Empfindlichkeiten in der Bevölkerung aber immer noch stark genug, dass ein populistischer Präsident sie zur Not erfolgreich bedienen kann.
Zudem habe ich bei meinen Begegnungen mit Filipinos eher Bewunderung für die USA festgestellt (US-Marken, Traum in den USA zu arbeiten, etc.). Das war bei ehemaligen frz. Kolonien weniger der Fall.