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SBB sprechen bald nicht mehr von «Personenunfall»

SBB sprechen bald nicht mehr von «Personenunfall» – diese neue Durchsage hörst du künftig

Suizide auf Schienen sind für das Personal und die Reisenden traumatisch. Deshalb werden sie kaum mehr als Ursache genannt. Die SBB wollten das ändern und offensiver kommunizieren. Experten empfahlen allerdings eine andere Lösung, die nun umgesetzt wird.
14.05.2024, 18:2914.05.2024, 19:00
Stefan Ehrbar / ch media
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Wenn Menschen einen Suizid auf Schienen begehen, ist das nicht nur tragisch, sondern auch ein traumatisches Ereignis - für die Angehörigen, unfreiwillige Zuschauende, Mitarbeitende der SBB oder Angehörige der Blaulicht-Organisationen. Um die Zahl der Suizide so tief wie möglich zu halten, wollen Betriebe des öffentlichen Verkehrs Nachahmungstaten mit zurückhaltender Kommunikation verhindern.

epa04758515 A passenger boards a train of Swiss railway operator SBB from Hamburg to Zurich at the central railway station of Hamburg, Germany, 20 May 2015. The German train drivers' union GDL ha ...
Ein Mann betritt einen Zug am Zürcher Hauptbahnhof.Bild: EPA/DPA

Denn je mehr über Suizide berichtet wird, desto mehr weitere Suizide werden begangen. Dieser sogenannte Werther-Effekt ist wissenschaftlich gut belegt. Er ist benannt nach einer angeblichen Suizidwelle kurz nach der Veröffentlichung von Goethes Roman «Die Leiden des jungen Werthers» im Jahr 1774.

Dass ein Zug wegen eines «Personenunfalls» - der ÖV-Begriff für einen Suizid - verspätet wird oder nicht mehr fährt, wird seit 2015 deshalb nur noch im Bahnhof, in dem der Suizid stattgefunden hat, und im direkt betroffenen Zug sowie weiteren tangierten Zügen kommuniziert. Darüber hinaus werden Passagiere heute zwar über Störungen durch Suizide informiert, aber meistens ohne Angabe von Gründen.

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Kunden sollen nicht Bahn die Schuld geben

Ausgerechnet die SBB als hauptbetroffene Bahn wollten das allerdings ändern. Das geht aus Protokollen der «Nationalen Kommission Kundeninformation» hervor. In dieser beschliessen Vertreter der ÖV-Branche Standards zur Kundeninformation.

Wie dem kürzlich veröffentlichten Protokoll der Sitzung vom 28. Februar dieses Jahres zu entnehmen ist, beantragten die SBB, dass der Grund «Personenunfall» wieder öfter kommuniziert wird. «Mit dieser Änderung soll der Kundschaft transparent aufgezeigt werden, dass die Auswirkungen eines Personenunfalls auf den Bahnbetrieb nicht das Verschulden der Eisenbahnverkehrsunternehmen sind», heisst es im Protokoll. Mit anderen Worten: Damit die Bahnkundinnen und -kunden nicht den SBB die Schuld geben für verspätete Züge, wäre die Bahn auch Kompromisse eingegangen bei der Gefahr des Nachahmereffekts.

Allerdings wurde der Vorschlag in einer Arbeitsgruppe noch einmal diskutiert. In dieser sassen unter anderem Expertinnen und Experten im Bereich der Suizidprävention. Diese schlugen eine neue Formulierung vor, die einen neutralen Effekt auf Nachahmungstaten hat und die «bei der Kundschaft keine zusätzlichen Unsicherheiten auslöst». Neu soll bei Störungen wegen Suiziden nun der Grund «Fremdereignis» genannt werden. Der Grund «Personenunfall» soll nur noch im direkt betroffenen Zug kommuniziert werden.

Testphase für zwei Jahre

Die neue Formulierung wird nicht nur bei Suiziden zum Einsatz kommen, sondern auch bei heute separat kommunizierten Störungsgründen wie Personen und Tiere in Gleisnähe, Kollisionen mit Tieren, Hindernisse auf Gleisen oder Polizeieinsätze aller Art. Damit soll verhindert werden, dass Reisende bei einem «Fremdereignis» automatisch von einem Suizid ausgehen. Personenunfälle machen dann nämlich nur eine Minderheit der Fälle mit diesem Grund aus. Ausserhalb der Bahnwelt - also etwa in Bussen oder Trams - soll der Begriff «externes Ereignis» für alle Störungen genannt werden, die ausserhalb des Einflussbereichs der Verkehrsbetriebe liegen.

Mit der neuen Regelung könnten Nachahmungstaten weiterhin möglichst vermieden werden, sagt SBB-Sprecher Bas Vogler. «Gleichzeitig soll die Kundschaft möglichst transparent über die Auswirkungen auf den Bahnverkehr informiert werden.» Mit den neuen Standards werde der Grund «Personenunfall» seltener genannt als zuvor. Auf Anzeigetafeln erscheine er etwa gar nicht mehr.

Die neue Regel soll per Juli dieses Jahres umgesetzt werden. Nach zwei bis drei Jahren will die Branche überprüfen, ob sich die Änderung gelohnt hat. Dafür wurde ein Monitoring aufgebaut. Damit soll herausgefunden werden, «ob mit der neuen Regelung tatsächlich eine Verwässerung der Information gegen aussen stattfindet». Sollte das nicht der Fall sein, «das heisst sich herausstellen, dass in der Öffentlichkeit die Information ‹Fremdereignis› generell zu einem Personenunfall uminterpretiert wird, würde man in zwei bis drei Jahren auf diesen Antrag wieder zurückkommen», heisst es im Protokoll. (aargauerzeitung.ch)

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