Er will nur eines: regelmässige Rauchpausen im Zürcher Hotelgarten. Leider wollen die andern Gäste im Garten auch nur eines: sein Autogramm. Aber Daniel Radcliffe schafft alles, rauchen, Autogramme, Interviews, und ist dabei so unfassbar sympathisch, dass ihn alle heiraten, adoptieren, anfassen oder auffressen wollen. Heute ist er 27, mit 10 spielte er zum ersten Mal «Harry Potter», seither kennen wir ihn.
Der wahrscheinlich netteste Mensch von England hat gerade den ziemlich sicher besten Film des Jahres gemacht. Das findet zum Beispiel auch Zukkihund-Besitzer Rafi Hazera. Der Film heisst «Swiss Army Man» und Radcliffe spielt eine furzende Leiche, die von einem jungen Mann (Paul Dano) gefunden wird, der gerade versucht, sich zu erhängen. Bald merkt der Lebendige, dass der Tote einigermassen pervers gesteuerte Superkräfte besitzt, diese jedoch alleine nicht bedienen kann.
Radcliffe ist quasi ein menschliches Swiss Army Knife. Sein neuer Freund versucht, ihm das Leben beizubringen. Gemeinsam hausen die beiden im Wald, der Lebende bastelt Busfahrten und Kinobesuche für den Toten, dafür kann er die Erektion des Toten als Kompass, seine Fürze als Antrieb und das Gebiss als Rasierer benutzen. Es ist eine seltsame Märchenwelt, die auf polymorph perversen Gesetzen beruht. Und mehrfach kommt alles anders, als wir denken. Ganz besonders am Schluss.
Die beiden Regisseure – sie heissen beide auch Daniel und nennen sich deshalb Daniels – sind übrigens mit folgendem Musikvideo weltberühmt geworden.
Daniel Radcliffe, wenn Sie über Ihren eigenen Tod nachdenken,
was stört Sie daran?
Die Idee, wie ich aufgebahrt in einem offenen Sarg
liege und alle Leute starren mich an! Gut, ich werde es nicht mitkriegen, aber
der Gedanke macht mich fertig.
Und die Verwesung?
Die ist natürlich hässlich, aber auch
tröstlich. Ich verwandle mich langsam in Erde und aus der entsteht was Neues.
Da fühl ich mich direkt nützlich.
Wie haben Sie sich eigentlich darauf
vorbereitet, in «Swiss Army Man» einen Film lang eine Leiche zu spielen. Haben Sie eine Leichenhalle besucht oder
mit Ärzten geredet?
Ich spiele ja einen recht lebendigen Toten.
Deshalb hatte ich kein Bedürfnis, technisch allzu exakt zu werden. Die
Totenstarre spielte natürlich eine grosse Rolle, gerade wenn es darum ging, zu
sprechen, aber sonst habe ich alles mit meiner Fantasie gemacht. Meine
Hauptsorge war, glaubhaft tot zu spielen, ohne wie ein Zombie zu wirken. Aber
dann hab ich mich im Spiegel gesehen mit Perücke und Make-up, ich hab die Augen
verdreht und wusste: Okay, ich seh sehr, sehr tot aus, ich muss da nicht mehr
viel spielen.
Sie konnten ja sicher auch von früheren
Filmerfahrungen profitieren. In «A Young Doctor’s Notebook» und «Victor
Frankenstein» hatte Sie viel mit menschlicher Anatomie zu tun.
Definitiv! Und mit tierischer! Ich werde nie
vergessen, wie mir beim «Frankenstein»-Dreh ein riesiges Ochsenherz zum
Rumspielen gegeben wurde. Ich sagte: Oh, okay, grossartig! Aber was mich am
besten auf «Swiss Army Man» vorbereitet hat, ist «Harry Potter». Die ganzen Stunts,
die ich für «Potter» machen musste, liessen sich sauber auf «Swiss Army Man»
übersetzen. Ich mach irrsinnig gerne Stunts und alles Körperliche, aber wenn
ich einen Film drehe wie «Kill Your Darlings» über die Beatpoeten der
60er-Jahre gibt es da nicht viel Action. Dabei liebe ich den totalen
Körpereinsatz.
Gut, es gab in «Kill Your Darlings» eine
schwule Liebesszene für Sie.
Und ich musste soooo viele Fragen dazu
beantworten! Ich sagte immer: Leute, wir sind Schauspieler! Das ist unser Job
und wir fühlen uns wohl dabei, daran ist überhaupt nichts Seltsames oder Besonderes!
Auch «Swiss Army Man» ist schon mehr als eine
«Bromance», oder?
Obwohl: Ich bin im Film weder hetero- noch
homosexuell. Ich bin einfach tot. Aber es gibt diesen Kuss ... Ich freu mich
riesig: Unser Film soll wohl auch bald in Russland laufen. Die Russen haben offenbar
gar nicht gemerkt, wie schwul man ihn deuten könnte. Ich fühl mich gerade sehr
subversiv.
Ich mein gar nicht den Kuss, es gibt viel
krassere Szenen zwischen Ihnen und Paul Dano. War das nie unangenehm?
Wir haben uns sehr schnell daran gewöhnt, dass
wir sehr intim werden müssen. Schon am ersten Tag musste mich Paul am Kiefer
packen und so tun, als würde er sich mit meinen Zähnen rasieren. Da wussten
wir: Okay, wir werden uns sehr, sehr nahe sein.
Es ist ein Film über eine Art Jenseits. Sie
sind ein Atheist. Wie geht das zusammen?
Eins meiner Lieblingsbücher ist Bulgakows «Der
Meister und Margarita», ein Buch über die Unendlichkeit des Glaubens. Ich bin kein
militanter Atheist. Ich bin sicherer, dass es keinen Gott gibt, als ein
Agnostiker dies ist – aber was ist schon sicher? Das Jenseits in «Swiss Army
Man» betrachte ich auch nicht als Jenseits im religiösen Sinn sondern als Phänomen des magischen
Realismus. Wir behaupten einfach, dass etwas wahr ist, was es gar nicht gibt.
Sie lieben das eh, Filme zu drehen über
Figuren und Geschichten, die es so in unserer Welt nicht gibt, oder?
Total. Und es nervt mich, dass wir für Filme
wie «Harry Potter» oder «Horns», wo mir halt Hörner wachsen, oder «Swiss Army
Man» nicht den schönen Begriff des magischen Realismus verwenden wie in der
Literatur. Bei Bulgakow. Bei Márquez. Ich lese nichts lieber als ihre Bücher. Im
Film reden wir immer von Fantasy. Dabei trifft es magischer Realismus viel
besser.
Sie lieben das Erfinden, Behaupten und
Überraschen.
Ja! Ich liebe Filme, die Welten schaffen und
dich hineinziehen und sie erforschen lassen.
Im Windschatten einer so kreativen Idee kann man ja auch grosse, ernste
Fragen an die Zuschauer heranschmuggeln: Über die furzende Leiche in «Swiss
Army Man» etwa liesse sich eine grosse Debatte über Scham, Schamgefühl und
Einsamkeit anzetteln. Das ist doch die Schönheit des Filmemachens: Träume
müssen nicht Träume bleiben. Wir machen sie zu einer Realität.
«Swiss Army Man» ist das Beste, was ich in
diesem Jahr gesehen habe, ein Film, der von der ersten bis zur letzten Sekunde
überrascht.
Oh, danke, danke, danke! Ich bin so stolz darauf!
Der Film ist so schön, abscheulich, dumm, klug, lustig ...
... und zart, berührend, komisch und tragisch.
Oh gut, gut, gut, ich danke Ihnen so sehr!
Was dachten Sie, als Sie das Drehbuch lasen?
Ich dachte bloss: Mann, ist das gut! Viele
Leute glauben ja, dass man mich dazu überreden musste, weil die Geschichte so
komplett durchgeknallt ist. Das stimmt nicht. Ich lese ja viele Drehbücher,
auch viele durchgeknallte Drehbücher. Aber bei diesem hier war jede Seite wie
eine Explosion! Es war unfassbar originell und gut geschrieben. Restlos alles,
was man im Film sieht, steht so im Drehbuch.
Sie sagten neulich, Ihr Lieblings-Filmtod wäre
ein gewaltsamer in «Game of Thrones». Ehrlich?
Das wurde irgendwo geschrieben, aber was
ich eigentlich meinte, war dies: Ich würde sehr gern in einer amerikanischen
TV-Serie mitspielen, aber dann müsste ich mich wieder für sieben Jahre oder so
am Stück verpflichten. Und nach den «Potter»-Jahren habe ich dazu keine Lust.
Noch nicht. Deshalb sagte ich: Eine Figur in «Game of Thrones», die schon bei
ihrem ersten Auftritt getötet wird, wäre genau richtig für mich.
«Swiss Army Man» läuft ab 27. Oktober im Kino.
Irgendwie muss ich den schon sehen.
Und ein sehr erfrischendes Interview. Es ist schön wenn mal wieder jemand beweist dass Filmemachen auch Kunst ist.