Der Aufschrei war gross, als IS-Fanatiker Ende Februar in einem Museum im irakischen Mossul antike assyrische Statuen zerstörten und ihre Barbarei stolz auf Video dokumentierten. Schon damals wurden allerdings Zweifel laut, ob es sich um echte Stücke handelte. «Man sieht Eisenstangen in den Statuen, die Originale haben keine Eisenstangen», sagte etwa Mark Altaweel vom Institut für Archäologie am University College in London gegenüber Channel 4 News.
Auch die höchste Archäologin des Iraks gibt Entwarnung: «Keiner der im Video zerstörten Gegenstände ist echt», sagt Fawyze al-Mahdi, Direktorin der irakischen Altertümerverwaltung in Bagdad, dem deutschen Auslandsrundfunk Deutsche Welle. Vielmehr handle es sich um Kopien aus Gips. Die Originale befänden sich im Nationalmuseum in Bagdad sowie in anderen Museen im Ausland.
«Angesichts der aktuellen Barbarei sollten wir froh sein, dass die wichtigsten Überreste unserer Vergangenheit gut geschützt in ausländischen Museen ausgestellt sind», sagte a-Mahdi. Im Berliner Pergamonmuseum befindet sich etwa das Ischtar-Tor, eines der Stadttore Babylons. Es war mit Erlaubnis der Osmanen zu Beginn des 20. Jahrhunderts von deutschen Archäologen ausgegraben und in der deutschen Hauptstadt restauriert worden. Andere irakische Kulturschätze befinden sich im British Museum in London und im Louvre in Paris.
Der Bürgermeister von London, Boris Johnson, hat sich am Wochenende in einem Gastartikel im «Telegraph» ähnlich geäussert. Die Kunstschätze Mesopotamiens gehörten nicht denen, die «zufällig gerade Souveränität über diese elenden Wüsten» ausübten, sondern der gesamten Menschheit. Man solle den britischen Archäologen dankbar sein, dass sie diese unbezahlbaren Objekte nach London gebracht haben, wo sie bis heute von jedermann bewundert werden können. Wären sie im Irak geblieben, würden sie von «geistesgestörten islamistischen Ideologen» zertrümmert.
«Denkt daran, wenn das nächste Mal ein Linker behauptet, das Museum sei voller Raubkunst», so Johnson – ein kaum verhüllter Hinweis auf die immer wieder auflodernde Debatte um die sogenannten Elgin Marbles. Es handelt sich um Fragmente, die ein englischer Lord zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus Bauten der Akropolis von Athen herausgebrochen und später an das British Museum verkauft hatte. Griechenland fordert deren Rückgabe.
Nicht in der Obhut europäischer Museen befinden sich die assyrischen Ruinenstädte Nimrud und Hatra ausserhalb Mossuls, wo der IS sein Zerstörungswerk offenbar mit Bulldozern fortsetzte. Wie schwer sie beschädigt worden sind, konnte bislang nicht von unabhängiger Seite verifiziert werden.
Unleugbare Realität ist auch die Plünderung von kleineren Artefakten, die der IS auf dem internationalen Raubkunstmarkt verscherbelt, um seinen Wahnsinn zu finanzieren. Die «Sonntagszeitung» vermutet, dass einzelne Stücke sogar im Zollfreilager in Basel lagern. Al-Mahdi beklagt in diesem Zusammenhang die schlechte Zusammenarbeit mit dem Ausland, insbesondere ungenügende Grenzkontrollen. Schon nach der US-Invasion im Irak 2003 waren zahlreiche antike Kunstgegenstände als Raubkunst in den Westen gelangt.