International
Italien

Italien: Meloni will Pläne für Migrantenlager in Albanien durchziehen

Trotz Niederlage vor Gericht: Meloni will Pläne für Migrantenlager in Albanien durchziehen

20.10.2024, 16:55
Mehr «International»

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will trotz einer schweren Niederlage vor Gericht ihre Pläne zur Unterbringung von Mittelmeer-Flüchtlingen ausserhalb der EU durchziehen. Die rechte Regierungschefin stellte klar, dass die beiden kürzlich eröffneten Lager in Albanien in Betrieb bleiben. Zugleich sprach sie der Justiz das Recht ab, darüber zu entscheiden, aus welchen Ländern Migranten dorthin verfrachtet werden. Ein Gericht in Rom hatte am Freitag verfügt, dass eine erste Gruppe von zwölf Männern weiter nach Italien darf.

epa11666978 Italian Prime Minister Giorgia Meloni speaks during a press conference with Lebanese caretaker prime minister following their meeting at the government palace in Beirut, Lebanon, 18 Octobe ...
Giorgia Meloni hält an ihren Plänen fest.Bild: keystone

Italien ist der erste Staat der Europäischen Union, der über Asylanträge ausserhalb der EU urteilen will. Das umstrittene Vorhaben wird von allen anderen EU-Ländern aufmerksam verfolgt. Insbesondere andere rechte Regierungen erwägen, sich das Meloni-Modell zum Vorbild zu nehmen. Bleibt es bei dem Beschluss des Gerichts in Rom, das sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs stützt, wäre das auch für sie ein schwerer Schlag.

Erste Gruppe von Migranten jetzt komplett in Italien

Auf Anordnung des Gerichts wurden sieben Männer aus Bangladesch und fünf Ägypter mit einem Schiff der italienischen Küstenwache am Samstag aus dem Lager Shengjin über die Adria in die süditalienische Hafenstadt Bari gebracht. Über ihr Schicksal wird jetzt auf italienischem Boden entschieden. Das Gericht begründete seinen Beschluss damit, dass Ägypten und Bangladesch keine sicheren Herkunftsländer seien. Damit stehen die neuen Lager in Albanien nach nur zwei Tagen wieder leer.

epa11668873 The Italian coast guard patrol boat arrives at the port of Bari carrying the 12 migrants from the Italian repatriation center in Gjader, for whom the return to Italy was ordered after the  ...
Die betroffenen Leute bei ihrer Rückkehr nach Italien.Bild: keystone

Melonis Rechtsregierung kündigte an, in Berufung zu gehen – notfalls bis vors höchste italienische Gericht. Zudem berief die Ministerpräsidentin ihr Kabinett für Montag zu einer Sondersitzung ein, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Die Vorsitzende der Rechtspartei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) sagte: «Ich denke nicht, dass es an der Justiz ist, darüber zu entscheiden, welche Länder sicher sind, sondern Aufgabe der Regierung.» Vermutlich wird jetzt ein neues Dekret erlassen, das Herkunftsländer neu definiert.

Meloni-Regierung mit Justiz ohnehin über Kreuz

Wegen ihrer harten Linie im Umgang mit Flüchtlingen liegt die Regierung mit der Justiz ohnehin über Kreuz. Das wird nun noch heftiger. Justizminister Carlo Nordio sprach von einem «abnormalen Urteil». Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini drohen sogar bis zu sechs Jahre Haft, weil er in seiner Zeit als Innenminister ein Schiff mit Migranten in Not wochenlang am Einlaufen in einen Hafen hinderte. Das Urteil soll vor Weihnachten verkündet werden.

epa11663840 The Federal Secretary of Italy's Lega Nord party, Matteo Salvini, arrives at a meeting of Patriots for Europe in Brussels, Belgium, 17 October 2024. Patriots for Europe is the third l ...
Matteo Salvini droht eine jahrelange Haft.Bild: keystone

Mehrfach warfen rechte Minister der Justiz vor, sich von der Linken instrumentalisieren zu lassen. Zum Beschluss des Gerichts in Rom meinte Salvini: «Wer trägt die Folgen, wenn einer der zwölf jemanden vergewaltigt?» Auch bei einer Haftstrafe will der Chef der Rechtspartei Lega im Kabinett bleiben. In der Bevölkerung hat die rechte Regierung Umfragen zufolge für ihre harte Linie Rückhalt.

Justiz beruft sich auf Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Richterin Luciana Sangiovanni verteidigte ihren Beschluss. «Wir konnten gar nicht anders entscheiden», sagte sie der Tageszeitung «La Stampa». Grundlage dafür war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach ein EU-Mitglied ein Herkunftsland nur dann als sicher einstufen darf, wenn die Bedingungen dafür in dessen gesamtem Hoheitsgebiet erfüllt sind. Legt man diese Definition zugrunde, könnten in den Albanien-Lagern nur noch Migranten aus einigen wenigen Ländern aufgenommen werden.

Meloni kam mit dem Versprechen ins Amt, die hohe Zahl von Menschen, die jedes Jahr übers Mittelmeer nach Italien fliehen, deutlich zu senken. Tatsächlich sind die Zahlen erstmals deutlich niedriger: Seit Anfang Januar wurden 55'000 Neuankömmlinge registriert. Vor einem Jahr waren es bis Mitte Oktober noch mehr als 140'000. In den albanischen Lagern, die erst mit monatelanger Verzögerung in Betrieb gingen, sollen Anträge im Schnellverfahren geprüft werden: Wer Anspruch hat, darf weiter nach Italien. Alle anderen müssen zurück.

Linke spricht von 800 Millionen Euro teurer «Schande»

Bei der ersten Gruppe von insgesamt 16 Migranten handelt es sich um Männer, die auf einem Boot aus Libyen aufgegriffen worden waren. Vier von ihnen durften gleich weiter nach Italien, weil sie minderjährig sind oder Gesundheitsprobleme haben. Jetzt sind alle 16 dort. Damit wurde die gross inszenierte Verfrachtung nach Albanien für Meloni zum Flop. Grundsätzlich sind die Lager nur für erwachsene Männer aus sicheren Herkunftsländern. Kinder, Frauen, Kranke und Folteropfer sollen nicht dorthin kommen.

Die italienische Linke erklärte das Vorhaben bereits für gescheitert. Oppositionsführerin Elly Schlein sprach von einer 800 Millionen Euro teuren «Schande». Auf diese Summe werden von den Sozialdemokraten die Gesamtkosten der Lager veranschlagt. Aktuell sind dort noch keine Migranten untergebracht. Offen ist, wann es wieder genutzt werden kann. Aus Regierungskreisen hiess es, die Ankunft des nächsten Schiffes hänge auch davon ab, welche Wetterbedingungen auf dem Mittelmeer herrschen. Seit einigen Tagen gibt es auf hoher See sehr hohe Wellen und Sturm.

Auf der süditalienischen Insel Lampedusa, einem der Brennpunkte der Flucht übers Mittelmeer, kommen hingegen nahezu täglich weitere Flüchtlinge an: Allein am Wochenende wurden mehr als 160 weiter aufs Festland geflogen. (dab/sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
16 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
16
Mit kleinem Seitenhieb – so reagierte Trump auf seine Wahl zur Person des Jahres

Das US-amerikanische «Time»-Magazin hat gestern den designierten Präsidenten Donald Trump zur Person des Jahres 2024 gekürt. «Trumps politische Wiedergeburt ist beispiellos in der amerikanischen Geschichte», schrieb das Magazin zur Begründung. «Seit er 2015 als Präsidentschaftsbewerber antrat, hat vielleicht keine Person den Lauf der Politik und der Geschichte so sehr verändert wie Trump.»

Zur Story