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Israel verlässt Dschenin und fliegt Angriffe auf Gaza

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Ein Mann verbrennt Pneus als Barrikaden gegen die israelische Armee, Dschenin am 4. Juli 2023.Bild: keystone

Israels Armee beendet Militäreinsatz in Dschenin – die Gewaltspirale der letzten Tage

05.07.2023, 06:3805.07.2023, 15:52
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Israels Militär hat seinen grössten Einsatz im Westjordanland seit mehr als 20 Jahren offiziell beendet. Alle Soldaten seien aus der Stadt Dschenin abgezogen, erklärte die Armee am Mittwoch.

Das Militär kehrte zurück zu seinen «Routineaktivitäten» im Westjordanland, viele Einwohner Dschenins in ihre Häuser. Getötete Kämpfer wurden beigesetzt.

Währenddessen ist im Grenzgebiet des Gazastreifens ein zweiter Konfliktherd entstanden. Aus der abgeschotteten Küstenzone flogen in der Nacht auf Mittwoch erstmals seit Mai wieder Raketen Richtung Israel, die nach Angaben der Streitkräfte abgefangen und mit Luftangriffen erwidert wurden.

Zuvor war der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern durch einen Anschlag auf Zivilisten in Tel Aviv zusätzlich befeuert worden. Was seit Montag alles passierte:

Angriffe auf dicht besiedeltes Gebiet im Westjordanland

Israels Armee war am Montag nach vorbereitenden Luftangriffen mit rund tausend Soldatinnen und Soldaten in der Stadt Dschenin eingerückt. Dort lieferten sie sich heftige Schusswechsel mit bewaffneten Palästinensern. Die Militäroperation – eine der grössten im Westjordanland seit Jahrzehnten – hatte laut Armee zum Ziel, «terroristische Infrastruktur» in der Hochburg militanter Islamisten zu zerschlagen.

Dschenin ist ein sehr dicht besiedeltes Gebiet, wo rund 50'000 Menschen leben – ein Drittel davon in einem Flüchtlingslager, in dem auch viele Kinder und Jugendliche aufwachsen.

So wie der Gazastreifen gelten für die israelische Armee auch die Region um Dschenin als Keimzelle für militante Palästinenser. In den vergangenen Jahren hatten mehrere Bewohner der Stadt Anschläge auf Israelis verübt. Neben der Hamas haben dort auch der Islamische Dschihad sowie weitere lose Extremistengruppierungen an Einfluss gewonnen. Finanziert werden sie grösstenteils vom Iran, Israels Erzfeind.

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Flüchtlingslager in Dschenin am 4. Juli 2023.Bild: keystone

Mindestens zwölf Palästinenser wurden bei den israelischen Angriffen getötet und mehr als 100 verletzt. Nach Angaben des israelischen Militärs seien bei den Kämpfen Kommandozentralen, Waffenlager und Waffenproduktionsstätten zerstört sowie 30 Verdächtige festgenommen worden.

«Kein einmaliger Vorgang»

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Dienstagnachmittag zwar ein baldiges Ende des Einsatzes in Dschenin angedeutet. Zugleich machte er aber deutlich, die Aktion sei «kein einmaliger Vorgang, wir werden so lange wie nötig weitermachen».

Verteidigungsminister Joav Galant sagte, Dschenin sei in den vergangenen zwei Jahren zu einer Brutstätte für Terrorismus geworden – das sei nun vorbei.

Am späten Dienstagabend begann die Armee dann mit dem Abzug aus Dschenin. Als bereits erste Soldaten die Stadt verliessen, kam es palästinensischen Berichten zufolge zu heftigen Feuergefechten zwischen der Armee und bewaffneten Bewohnern sowie zu mehreren Explosionen. Nach Angaben des Militärs wurde ein Soldat im Kampf getötet.

Am Mittwoch meldete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa, dass viele Einwohner Dschenins in ihre Häuser zurückkehrten. Der Zivilschutz suche derweil nach explosiven Überresten des Einsatzes und überprüfe Häuser und Strassen auf Schäden.

Gegenangriffe auf Israel

Wenige Stunden später heulten dann Sirenen in Israel: Raketenalarm. Aus dem Gazastreifen seien fünf Geschosse auf das israelische Grenzgebiet abgefeuert worden, teilte das Militär in der Nacht mit.

Die Flugabwehr habe aber alle Raketen abfangen können. In der Region waren mehrere Explosionen zu hören, ausgelöst vermutlich durch das Raketenabwehrsystem Iron Dome. Zu den Angriffen bekannte sich zunächst niemand.

Angriffe auf den Gazastreifen

Kurz darauf flogen israelische Kampfjets dann Luftangriffe auf den Gazastreifen, bei denen nach Armeeangaben eine unterirdische Waffenproduktionsstätte sowie eine Raketenfertigung der Hamas getroffen wurden. Die extremistische Palästinenserorganisation herrscht seit ihrer gewaltsamen Machtübernahme 2007 im Gazastreifen und spricht dem Staat Israel das Existenzrecht ab.

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Rauch und Feuer nach einer Explosion in Gaza City, 5. Juli 2023.Bild: keystone

In dem streng abgeriegelten Küstengebiet leben mehr als zwei Millionen Menschen unter sehr schlechten Bedingungen.

Anschlag in Tel Aviv – auch Ungeborenes unter den Opfern

Erst am Dienstag verletzte ein palästinensischer Angreifer bei einem Anschlag in Tel Aviv mindestens sieben Menschen. Er war an einer Bushaltestelle in eine Fussgängergruppe gerast und hatte anschliessend auf sie eingestochen.

Israelischen Medienberichten zufolge soll eine der Verletzten ihr ungeborenes Kind nach dem Angriff verloren haben. Die Hamas sprach nach der Attacke von einer «ersten Reaktion» auf die Geschehnisse in Dschenin. Demnach war der Angreifer ein Mitglied der Palästinenserorganisation.

Sicherheitslage bleibt angespannt

Experten bezweifeln, dass die jüngste Militäroperation im Westjordanland zu einer dauerhaften Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts beitragen kann – und zu befürchten ist womöglich gar das Gegenteil. Der Einsatz könne zwar helfen, Anschläge zu vereiteln und einzelne Kämpfer auszuschalten, sagte Tamir Hajman, Leiter des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv. «Aber nur die politische Aktion wird langfristig für Stabilität sorgen.»

Die Sicherheitslage in Israel und im Westjordanland mit seinen rund drei Millionen Einwohnern ist seit langem angespannt. Die von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig kritisierte Siedlungspolitik der Regierung Netanjahus, in der auch jüdische Nationalisten und Rechtsextreme am Kabinettstisch sitzen, hat die Gräben weiter vertieft. Seit Beginn des Jahres kamen zwei Dutzend Menschen bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 150 Palästinenser bei gewaltsamen Zusammenstössen, israelischen Militäreinsätzen oder nach eigenen Anschlägen erschossen.

Israel hatte das Westjordanland und Ost-Jerusalem während des Sechstagekriegs 1967 erobert. Die Palästinenser beanspruchen beide Gebiete als Teil eines eigenen Staats. Eine Zweistaatenlösung für den seit Jahrzehnten währenden Nahost-Konflikt scheint jedoch in weiter Ferne. Seit 2014 hat es keine ernsthaften Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern gegeben.

Wie entstand der Konflikt im Nahen Osten?

Video: www.explain-it.ch

(yam/sda/dpa)

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