Wenn der Asche-Regen fällt, dann hört es sich an wie Hagel. Denn aus der dunkelbraunen Vulkan-Wolke am Himmel fallen auch Millionen von Lava-Kieseln. Die meisten von ihnen sind kaum grösser als eine Erbse. Die Wucht der Explosionen und der Druck des Gases im Krater zerreisst die aufsteigende Lava in Staub und Gesteinsteile, die sich in der kalten Luft abkühlen und verfestigen. Wenige Stunden nach dem Ausbruch ist im weiten Umkreis des Ätna alles übersät von diesen Lava-Kieseln – und zugedeckt von einer fingerdicken Decke aus Staub und Asche.
Den letzten Vulkan-Hagel erlebten die Bewohner in der Nacht auf Donnerstag: Der Ätna hat erneut Feuer und Asche gespuckt und den nächtlichen Himmel mit bis zu 500 Meter hohen Lava-Fontänen erleuchtet. Es war die sechste Eruption von Europas grösstem aktiven Vulkan innerhalb von acht Tagen – ein Spektakel, das auch erfahrene Vulkanologen beeindruckt.
Das sagt der Vulkanologe Boris Behncke vom Ätna-Beobachtungszentrum. Satelliten- aufnahmen zeigten, dass die Lavaströme sogar aus dem Weltraum zu sehen gewesen seien.
Die Serie von stetig heftiger werdenden Ausbrüchen des Ätna – im Fachjargon Paroxysmus genannt – begann vor zwei Monaten, am 14. Dezember 2020. Die Eruptionen erfolgen im Süd-Ost-Krater auf rund 2800 Metern über dem Meer. Nach der ersten unruhigen Phase im Dezember folgte im Januar eine Beruhigung –- doch seit Mitte Februar kommt es laut Marco Viccaro, Dozent für Vulkanologie und Geochemie an der Universität von Catania, alle 26 bis 34 Stunden zu einem neuen Ausbruch. «Das kann noch Monate so weitergehen», sagt Viccaro. Sechs Ausbrüche von dieser Heftigkeit in nur acht Tagen seien jedenfalls «rekordverdächtig».
Laut den Experten ist der aktuelle Paroxysmus für die Bevölkerung keine Bedrohung. Die mächtigen Lavaströme fliessen in ein unbewohntes Tal, weit weg von der nächsten Siedlung.
Zwar musste der Flughafen von Catania, der wichtigste auf Sizilien, wegen der kilometerhohen Aschewolke schon ein paar Mal vorübergehend geschlossen werden. Und der Bürgermeister der 300'000-Einwohner-Stadt am Fuss des Ätna hat wegen des dicken Vulkanstaubs auf den Strassen ein Fahrverbot für Zweiräder und eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h für Autos und Lastwagen verfügt. Ansonsten aber nimmt das Leben in der Region seinen gewohnten Gang.
Die Bewohnerinnen und Bewohner rund um den Vulkan nehmen das Feuerwerk des Ätna jedenfalls gelassen. «Wir sind die Ausbrüche ja seit unserer Geburt gewöhnt», erzählen die beiden Hotelangestellten Manuela und Annarita aus Zafferana Etnea.
Die Kleinstadt am Osthang des Vulkans war bei einem grossen Ausbruch in den Jahren 1991–1993 von der Zerstörung bedroht gewesen. Der Lavastrom kam erst wenige hundert Meter vor dem Ortseingang zum Stehen. «Aber die Lava fliesst ja langsam – notfalls könnte man sich in aller Ruhe in Sicherheit bringen», betont Annarita. Etwas Angst habe sie wegen der Erdbeben, die einen Ausbruch jeweils begleiten. «Im vergangenen Dezember sind hier mehrere Häuser beschädigt worden», sagt Manuela.
Der Ätna gilt unter den Geologen als gutmütiger Vulkan: Er explodiert nicht wie der Vesuv bei Neapel oder der Mount Saint Helen in den USA, sondern lässt regelmässig Druck ab und schwappt lediglich über. Viele Einwohner am Ätna haben wegen der Gutmütigkeit ein geradezu inniges Verhältnis zu ihrem Vulkan: «Er ist wie ein gigantisches Lebewesen: Er lebt, er zittert, er rumort, aber er tut uns nichts», sagt der Mittelschullehrer Alberto aus Catania.
Die älteren Generationen, sagt Alberto, nennen den Ätna manchmal auch «madre», Mutter: Der Vulkan sät nicht den Tod, sondern er spendet Leben. Dank seiner fruchtbaren Asche gedeihen rund um den über 3000 Meter hohen Berg Orangen, Zitronen, Mandarinen, Oliven, Weintrauben und sogar eine nur in Sizilien vorkommende Pistazien-Art. Botaniker haben am Ätna, der zum Unesco-Weltnaturerbe zählt, über tausend verschiedene Pflanzenarten katalogisiert. «Wir lieben den Ätna, es gibt keinen schöneren und magischeren Berg auf der Welt», sagt Alberto.
Wenn alle Vulkan Ausbrüche so glimpflich (wie bisher der Ätna) ausgehen würde, wäre es noch schöner. In Relation zu Verkehrsunfällen oder weiteren Unglücken sind es immer noch wenige welche durch Vulkanausbrüche zu schaden kommen.