Total abgeschieden von der Aussenwelt haben sechs junge Leute und ihr mutmasslicher Vater gut neun Jahre lang in einem kleinen, isolierten Raum eines Bauernhofes in den Niederlanden gehaust. Laut eigenen Angaben soll es sich bei den sechs jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren um die Kinder des 67-jährigen Mannes handeln. Niederländische Medien berichten, dass sie auf das «Ende der Zeiten» gewartet hätten.
Der 58-jährige Österreicher Josef B., der den Bauernhof gemietet hatte, wurde mittlerweile festgenommen. Auch der vermeintliche Vater der sechs erwachsenen Kinder wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Entdeckt wurde die Gruppe, nachdem der Wirt der Dorfkneipe in Ruinerwold die Polizei verständigt hatte. Bei ihm war ein fremder junger Mann im Lokal aufgetaucht. Er sei total verwirrt gewesen, wie der Wirt dem Fernsehsender RTV Drenthe berichtete. «Er sagte, dass er weggelaufen war und Hilfe brauchte.» Der 25-Jährige habe auch geschildert, dass er neun Jahre lang nicht draussen gewesen sei. Daraufhin rief der Gastwirt die Polizei.
Der Fall hat viele Fragen aufgeworfen, einiges ist bis jetzt unklar. Ein Versuch, ein bisschen Ordnung in das Puzzle zu bringen.
Die Aussagen der Polizei sind zuweilen sehr widersprüchlich. Am Donnerstagmorgen sagte Polizeisprecherin Gretje Hartstra gegenüber Focus Online: «Es scheint nicht so zu sein, dass die sechs Menschen auf dem Bauernhof gefangen gehalten worden sind».
Am Donnerstagabend jedoch sagte Nathalie Schubart, Polizeisprecherin der Provinz Drenthe, gegenüber der DPA: «Wir denken, dass die sechs Personen dort nicht aus freiem Willen gelebt haben».
Die Polizei würde nicht ausschliessen, dass das Drama mit einer Sekte zu tun hat. Es werde auch der Frage nachgegangen, «ob es hier um eine besondere Glaubens- oder Lebensgemeinschaft ging».
Derweil hat eine Spezialeinheit der niederländischen Polizei den Bauernhof des Österreichers Josef B. durchsucht. Auch seien zwei Betriebe durchsucht worden, die dem Vater der gefundenen Familie gehören sollen. Ergebnisse liegen bis jetzt noch keine vor.
Josef B., ein 58-jähriger gebürtiger Wiener, soll laut Informationen der «Kronen-Zeitung» 2010 in die Niederlande ausgewandert sein. Peter Guschelbauer, Sprecher des Aussenministeriums in Wien, bestätigte entsprechende Meldungen.
Josef B. hat sich in dem 3000-Seelen-Dorf Ruinerwold niedergelassen. Dort hat er sich den Bauernhof, in dem die gefundene Familie neun Jahre lang isoliert gelebt haben soll, gemietet.
Die Besitzerin des Hofs, Ten Oever, brachte gegenüber «De Telegraaf» ihr Erstaunen über den Fall zum Ausdruck. Der 58-Jährige hätte immer ordentlich seine Miete bezahlt. Auch sei sie in den vergangenen Jahren mehrmals auf dem Grundstück gewesen, habe jedoch keine zusätzlichen Personen auf dem Bauernhof gesehen.
Laut der niederländischen Zeitung «AD» soll Josef B. auf einem Industriegelände, nur einige Kilometer vom Bauernhof entfernt, Gelegenheitsjobs nachgegangen sein. So habe er zum Beispiel Holzgegenstände hergestellt. «Er konnte mit Holz zaubern», sagte ein Schreiner, der mit Josef B. zusammengearbeitet hatte.
Der Österreicher soll ein freundlicher, aber ruhiger und verschlossener Zeitgenosse sein. Gegenüber Kollegen habe er zwar erwähnt, dass er auf einer Farm lebe, von etwaigen Mitbewohnern habe er jedoch nie erzählt.
Wie «Focus» berichtet, will einer der Arbeitskollegen von Josef B. kürzlich ungewöhnliche Aktivitäten bemerkt haben. So habe der 58-Jährige zwei grosse Säcke Toilettenpapier in sein Auto gepackt. «Das ist sehr viel für jemand, der alleine lebt».
Josef B. ist mittlerweile wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung und der Gefährdung der Gesundheit anderer festgenommen worden.
Der 67-jährige Vater, der gemeinsam mit seinen sechs Kindern auf dem Hof lebte, ist mittlerweile auch in den Fokus der Ermittlungen geraten. Verschiedene Medien berichteten anfänglich, dass der Vater vor ein paar Jahren einen Schlaganfall erlitten habe und deswegen im Bett gewesen sei. Bestätigt wurde dies jedoch nicht.
Die Familienmitglieder des Vaters haben sich mittlerweile mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt. «Die Familie hat die Ereignisse in Ruinerwold mit Bestürzung zur Kenntnis genommen», heisst es in dem Schreiben, das mehreren niederländischen Medien vorliegt.
Gemäss dem Schreiben hat der Vater den Kontakt zur Familie bereits in den 1980ern abgebrochen. Der Vater soll neben den sechs mit ihm lebenden Kindern noch drei weitere, ältere Töchter haben, die jedoch vor acht Jahren geflohen seien und Unterschlupf bei anderen Familienmitgliedern gefunden hätten. Von den sechs Kindern in Ruinerwold hat niemand aus der Familie gewusst.
Mittlerweile ist der 67-Jährige festgenommen worden. Wie auch Josef B. wird ihm Freiheitsberaubung vorgeworfen. Zudem wurde eine grosse Menge Bargeld auf dem Bauernhof gefunden. Deswegen wird nun auch wegen Verdachts auf Geldwäsche ermittelt.
Franz B., der Bruder des Österreichers, sagte gegenüber der «Kronen-Zeitung», dass Josef B. in einer Sekte gewesen sei. Offenbar handelt es sich dabei um die «Moon-Sekte», die 1954 vom Südkoreaner Sun Myung Moon gegründet wurde.
Ein Sprecher der Sekte bestätigte gemäss verschiedenen Medienberichten, dass zumindest der 67-jährige Vater vor Jahren Mitglied der Glaubensgemeinschaft gewesen war.
Die Sekte ist auch unter dem Namen «Vereinigungskirche» bekannt. Die Lehren der Sekte decken sich grösstenteils mit jenen des Christentums, mit dem Unterschied, dass Sun Myung Moon nach Jesus der zweite Messias sei und die Menschheit zur Erlösung führen solle.
Gemäss dem Bruder Franz B. haben sich Josef B. und der 67-jährige Vater bei einem Treffen der Sekte kennengelernt.
Eine frühere Nachbarin hat gemäss Focus Online zudem gesagt, dass der Vater der Familie und Josef B. sich seit 15 Jahren kennen würden und gut befreundet gewesen seien. Selbst einen Spielzeugladen im nahe gelegenen Zwartsluis sollen die beiden gemeinsam betrieben haben.
Wie eingangs bereits beschrieben, ist der ganze Fall aufgeflogen, weil das älteste der erwachsenen Kinder, der 25-jährige Jan D., sich in der Dorfbeiz von Ruinerwold dem Wirt anvertraut hatte. Dieser hat daraufhin die Polizei verständigt.
Die Rolle des mutmasslichen Sohnes wird jedoch immer undurchsichtiger.
Jan D. war auf den sozialen Medien aktiv. Er besass Accounts bei Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn. Er postete Selfies von sich beim Meditieren im Garten und teilte Beiträge über Klimastreiks und Greta Thunberg.
Verschiedene Medien berichteten, dass der Facebook-Account bereits 2010 kreiert worden, danach jedoch neun Jahre nichts gepostet worden sei.
Wie der «Stern» jedoch aufdeckte, stimmt dies nicht. Jan D. hat zwar gepostet, dass er am 01. August 2010 nach Ruinerwold gezogen sei, das Datum wurde jedoch manuell zurückdatiert. Die Profile wurden tatsächlich im Juni 2019 angelegt, der Twitter-Account bereits im Mai.
Jan D. postete auch Bilder aus Ruinerwold. Zum Beispiel das Ortsschild der Stadt ...
... oder eine Kirche bei Nacht. Dies, obwohl er gegenüber dem Wirt gesagt hatte, dass er seit neun Jahren nicht mehr draussen gewesen sei. Auch behauptete der 25-Jährige, dass er nie eine Schule besucht habe. Viele seiner Instagram-Postings sind jedoch in tadellosem Englisch verfasst.
Auf Facebook gibt Jan D. zudem an, bei der Firma Creconat zu arbeiten. Diese sei im benachbarten Meppel angesiedelt. Der Polizei sind all diese Accounts bekannt, sie würden derzeit untersucht, sagte eine Sprecherin gegenüber der DPA.
Vor allem viele Ungereimtheiten. Die Polizei geht momentan verschiedenen Spuren nach, die Informationslage ändert sich stetig. Der Fall könnte die Ermittler also vermutlich noch einige Zeit beschäftigen.
In Österreich gilt eine Trennung erst dann als vollzogen,
wenn es der Frau gelungen ist aus dem Keller zu fliehen (Böhmermann).