Österreichs ehemaliger Kanzler Sebastian Kurz und die konservative Regierungspartei ÖVP sind nach umfangreichen belastenden Aussagen eines Insiders mit immer konkreteren Korruptionsvorwürfen konfrontiert.
Am Dienstag wurde ein rund 450-seitiges Protokoll der Korruptionsstaatsanwaltschaft publik, welches Kurz noch stärker unter Druck setzt. In diesem Dokument wird der Ex-Kanzler als Auftraggeber steuerfinanzierter und manipulierter Meinungsumfragen bezeichnet. Geäussert wurden diese Anschuldigungen von Thomas Schmid. Dieser war einst Vorstand der staatlichen Beteiligungsagentur ÖBAG und Generalsekretär im Finanzministerium. Zudem galt er als enger Vertrauter von Ex-Kanzler Kurz.
Laut Schmid war Kurz massgeblich daran beteiligt, dass das Finanzministerium Anzeigen in einer Zeitung schaltete, die im Gegenzug manipulierte Umfragen veröffentlichte. Kurz habe nicht nur von den gefälschten Umfragen gewusst, sondern sie sogar in Auftrag gegeben, so die Vorwürfe Schmids.
Von dem Ministerium seien teils auch Umfragen verdeckt bezahlt worden. Damit soll sich Kurz noch in seiner Zeit als Aussenminister 2017 den Weg an die Parteispitze und ins Kanzleramt geebnet haben. Schmid, der früher im Finanzministerium arbeitete und die Staatsholding ÖBAG managte, belastete auch andere ÖVP-Politiker und einen Unternehmer, unter anderem wegen angeblicher Interventionen in Steuerangelegenheiten.
Kurz wehrte sich am Mittwoch auf Facebook gegen die Vorwürfe. Schmid habe gegenüber der Staatsanwaltschaft zugegeben, mehrfach gelogen zu haben. «Am Ende wird sich herausstellen, dass das auch in diesem Fall zutrifft», so Kurz.
Dennoch rechnet er offenbar mit einer Anklage: Er freue sich darauf, die Anschuldigungen vor Gericht zu entkräften, schrieb der Ex-Kanzler, der heute als Unternehmer und als strategischer Berater für den milliardenschweren US-Investor und Donald-Trump-Unterstützer Peter Thiel arbeitet.
Noch vorige Woche hatte sich der 36-jährige ehemalige Politik-Star Kurz in positiverem PR-Licht gesonnt, als er anlässlich der Veröffentlichung eines Buches über seine bisherige Karriere zahlreiche Interviews absolvierte. Die Korruptionsermittlungen, die voriges Jahr zu seinem Rücktritt geführt hatten, kamen in dem Buch nicht vor und wurden von Kurz etwa im Gespräch mit dem Sender ORF so beiseite gewischt: «Ich kann Ihnen nur sagen, dass all diese Vorwürfe inzwischen für mich mittlerweile keine allzu grosse Relevanz mehr haben.» Wenige Tage später ist die Affäre um fragwürdige Umfragen und Inserate wieder das zentrale Thema der österreichischen Politik.
In seinen Aussagen erhebt Schmid auch Vorwürfe gegen einen Mann, der noch immer eine wichtige Position in der österreichischen Regierung hat: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, auch er Mitglied der ÖVP. Ihm wird vorgeworfen, sich engagiert zu haben, damit keine Steuerprüfungen bei den ÖVP-nahen Stiftungen Alois-Mock und Erwin-Pröll geführt werden. Dies sei dann tatsächlich «im Sinne von Mag. Sobotka erledigt worden», so Schmid.
Sobotka weist diese Vorwürfe zurück. Gegenüber der Nachrichtenagentur APA sagte er, Schmid wolle ihn anschwärzen. Die Vorwürfe seien «vollkommen haltlos», wehrt sich Sobotka. Gleichzeitig erhebt er selbst Vorwürfe gegen den ehemaligen Kurz-Vertrauten. «Wenn jemand anscheinend seit Monaten krampfhaft versucht, den Kronzeugenstatus zu erlangen, dann ist ihm jedes Mittel recht, um mildernde Umstände bei der Strafbemessung zu erreichen», so Sobotka. Mit dem Anschwärzen politischer Entscheidungsträger sei ihm «die maximale mediale Aufmerksamkeit garantiert».
Schmids Aussagen schlagen in der Politik Österreichs hohe Wellen. Der amtierende Regierungschef Karl Nehammer, auch er Mitglied der ÖVP, äusserte sich am Mittwoch in einem knappen Statement, in welchem er «volle Aufklärung, die von den Ermittlungsbehörden zu leisten ist», forderte.
Brisant sind die Vorwürfe gegen Kurz und Sobotka auch, weil ihre Partei ÖVP derzeit in einer Koalition gemeinsam mit den Grünen das Land regiert. Laut der Parlamentarierin Nina Tomaselli, die die Grünen in dem Ausschuss vertritt, haben sich bereits bekannte Vorwürfe durch Schmids Informationen nun «zu ganz harten Beweisen» verdichtet. Die Koalition sei deshalb «selbstverständlich» belastet, räumte sie ein.
Ein Ende der Koalition stellten jedoch weder sie noch andere prominente Grünen-Politiker in den Raum. Nun sei die Justiz am Zug, hiess es. Allerdings sprach sich Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler angesichts der Schmid-Protokolle für eine Verlängerung des U-Ausschusses aus.
Die Opposition um die SPÖ berief am Mittwoch hingegen kurzfristig eine Pressekonferenz ein und forderte in dieser den sofortigen Rücktritt Sobotkas. Dieser sei nun «untragbar im zweithöchsten Amt der Republik», so SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisierte derweil, Sobotka sei «durch all diese Vorwürfe schon längst selbst zur grössten Belastung für die Würde des Hohen Hauses geworden». Wie Leichtfried forderte auch er deshalb einen Rücktritt des Nationalratspräsidenten.
(dab, mit Material von Keystone-SDA)