Karl Schlögel ist einer der renommiertesten Osteuropa-Experten unserer Zeit. Kaum jemand kennt die Region so gut wie der heute 78-jährige Professor, der schon zu Studienzeiten durch die damalige Tschechoslowakei und die Sowjetunion reiste. Schlögel studierte zeitweise in Moskau, brachte den Deutschen später mit seinen zahlreichen Büchern die Geschichte, Kultur und Mentalität Osteuropas nahe.
Nun warnt der Historiker vor einer wachsenden Kriegsgefahr durch die vielfältigen Bedrohungen, aussen- wie innenpolitisch, denen der Westen derzeit ausgesetzt ist. «Wir befinden uns in einer Vorkriegssituation, die, ohne in eine Analogie zu verfallen, viel mit den 1930er Jahren zu tun hat», sagte er der «Rheinischen Post». Auch damals habe sich etwas aufgebaut, was man wohl ahnen, aber bisher nicht so genau abschätzen konnte. In der Weltpolitik krache es derzeit heftig «im Gebälk», so Schlögel. Der Krieg in der Ukraine sei dabei einer der grössten Prüfsteine für die demokratisch regierten Staaten.
«Die Frage ist doch, ob wir aktuell den Gefahren ins Auge schauen oder ob wir einknicken und kapitulieren werden. Ich hätte nie gedacht, dass ein solcher Ernstfall eintreten würde und wir in die Situation einer so harten Prüfung geraten werden», so Schlögel.
Nach seinen Worten sei es dabei gänzlich offen, wie Europa sich behaupten wird. Es gebe aber Hinweise darauf, dass dieses Europa viel stärker sei, als es derzeit erscheint. Zwar glaube er nicht, dass der künftige US-Präsident Donald Trump die Ukraine fallen lassen wird, weil das eine Preisgabe all dessen wäre, wofür Amerika nach Schlögels Meinung steht. Doch werde sich nach den Worten des 76-Jährigen «selbstverständlich etwas ändern». Die Frage sei nur, wie man sich darauf einstellt.
Aber das sei kaum überraschend, sondern letztlich eine Situation, auf die man sich schon viel früher hätte einstellen können.
Der Historiker hat schon früh davor gewarnt, den russischen Machthaber Wladimir Putin zu unterschätzen. Dieser sei ein «KGB-geschulter Machtmanager», ein «Sadist», ein «imperialer Träumer und postmoderner Cyberkrieger», der die Europäer mit grosser «Meisterschaft auseinanderzudividieren versucht».
Schlögel fordert daher die Politiker westlicher Demokratien auf, sich auf diesen «neuen Führertypus» einzustellen. Das gelinge diesen aber bislang nicht so recht. Daher zieht Schlögel immer wieder Parallelen zur Situation in den 1930er-Jahren, am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Auch damals habe es die Situation «einer analytischen, intellektuellen und wahrscheinlich auch politischen Überforderung» gegeben.
Dem Westen attestierte Schlögel dabei schon vor geraumer Zeit, angesichts der russischen Bedrohung, «nichts im Griff zu haben». Er attestiert den säkularen Gesellschaften des Westens und ihren Politikern «innere Widersprüche» und «selbstzerstörerische Entwicklungen», unter anderem «die Bereitschaft zur Selbstpreisgabe, Appeasement und Kapitulation vor der rohen Gewalt.»
Für Schlögel, der am 25. November in Düsseldorf den mit 100'000 Euro dotierten Preis der Gerda-Henkel-Stiftung bekommt, ist der auch in Europa aufkommende Populismus ein sehr ernst zu nehmendes Symptom:
Verwendete Quellen:
Wir palavern über diverse alltägliche Dinge, welche in Friedenszeiten auch enorm wichtig sind. Aber wir befinden uns seit über 10 Jahren in einer Art Kriegszustand mit Russland. Putin hat diesen Krieg 2011 an einer Sicherheitskonferenz de facto erklärt - aber wir habe nicht zugehört.
Es war absolut klar, dass wenn Putin nicht in der Ukraine aufgehalten wird, sich der Krieg ausweitet. Was er jetzt tut.