«Klar ist, dass Russland ein Motiv hat»: Russisches Schiff war am Pipeline-Tatort
Ein Vorfall an einer Gas-Pipeline zwischen Finnland und Estland versetzte am Sonntag die Behörden in Alarmbereitschaft. Die Betreibergesellschaften der Pipeline meldeten einen ungewöhnlichen Druckabfall in der Gas-Pipeline. In der Folge stoppten die Gesellschaften den Gastransport zwischen den beiden EU-Staaten, wie die Deutsche Presse-Agentur schreibt.
Der Vorfall rief in Europa Erinnerungen an die Zerstörung der Pipelines Nord-Stream I und II hervor, die ebenfalls in der Ostsee liegen. Die beiden bis heute nicht aufgeklärten Anschläge ereigneten sich im September vergangenen Jahres.
Die Lage rund um die Pipeline zwischen Estland und Finnland ist noch unübersichtlich. Wir haben zusammengefasst, was bisher bekannt ist.
Was wissen wir über den Vorfall in der Ostsee?
Am Sonntagmorgen meldete die Betreibergesellschaft Gasgrid einen ungewöhnlichen Druckabfall in der Pipeline Balticconnector. Mittlerweile steht fest, dass der Druckverlust auf ein Leck in der Pipeline zurückzuführen ist. Der betroffene Offshore-Abschnitt im Meer ist gut 77 Kilometer lang, wie die Deutsche Presse-Agentur schreibt.
Der finnische Ministerpräsident Sauli Niinistö hatte bereits am Dienstag von einem gezielten Vorgehen gesprochen. Neben der Pipeline sei bei dem Vorfall zudem ein Telekommunikationskabel beschädigt worden, wie die französische Nachrichtenagentur AFP schreibt.
Der finnische Präsident hatte bereits am Dienstag gemeinsame Untersuchungen mit den zuständigen Stellen in Estland angekündigt. «Es ist deutlich zu erkennen, dass diese Schäden durch eine ziemlich starke Kraft verursacht wurden», sagte der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur am Mittwoch. Dass der mechanische Schaden an der Pipeline durch einen heftigen Sturm erfolgte, konnte bereits ausgeschlossen werden, hiess es von dem estländischen Betreiber Elering.
Die «Schäden an der Unterwasserinfrastruktur» würden «ernst genommen», sagte Niinistö. Die norwegische seismologische Forschungseinrichtung Norsar bestärkt den Verdacht von Niinistö. Forscher des Instituts hatten zum Zeitpunkt der Beschädigung der Ostsee-Pipeline Balticconnector Anzeichen für eine mögliche Explosion nahe der Leitung verzeichnet. Am Dienstag kündigte das Institut weitere Analysen an.
Wer könnte ein Interesse an der Pipelinezerstörung haben?
Ähnlich wie bei den Nord-Stream-Lecks im vergangenen Jahr ist ein möglicher Urheber der Schäden bisher nicht bekannt. Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur sprach zuletzt von einer vorsätzlichen Aktion.
«Klar ist, dass Russland ein Motiv hat. Der Kreml drohte mit Vergeltung, wenn Finnland nach der umfassenden Invasion der Ukraine der Nato beitritt», mutmasst die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter». Erst im Frühjahr war Finnland dem Verteidigungsbündnis beigetreten.
Am Mittwoch äusserte sich der Kreml zum Vorfall an der Pipeline. Ein Kreml-Sprecher nannte die Vorkommnisse «alarmierend», wie die russische Nachrichtenagentur Interfax schreibt.
Sabotage durch Russland?
Bereits kurz vor den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines hielten sich für Unterwasseroperationen ausgerüstete Spezialschiffe an den dortigen Tatorten auf. Internationale Recherchen bestätigten anschliessend viele Details des Berichts. Zuletzt räumte auch die deutsche Bundesregierung ein, Informationen der Bundeswehr dazu an den Generalbundesanwalt weitergeleitet zu haben.
Durch skandinavische Medien rückte auch ein weiteres russisches Schiff in den Fokus, das schon mehrere Monate vor den Explosionen an den Tatorten operierte, wie Satellitenbilder und abgefangene Funksprüche belegten. Die rund 86 Meter lange «Sibirjakow» ist als hydrografisches Forschungsschiff ausgerüstet für Unterwasseroperationen und begleitet häufig russische U-Boote in der Ostsee.
Dafür ist sie unter anderem mit einem Mini-U-Boot ausgestattet. Den Recherchen zufolge ist sie Teil gross angelegter Bemühungen des Kremls, kritische Infrastruktur der Nato zu kartieren.
Bericht belegt Position von russischem Schiff
Nun wird bekannt, dass sie sich in diesem Jahr offenbar auch dreimal für mehrere Tage im Bereich des neuen Lecks an der Balticconnector aufhielt. Das legt ein Bericht des polnischen Sicherheitsunternehmens Rochan Consulting nahe, das unter anderem die Bewegungen der russischen Flotte im Baltikum verfolgt. Der Bericht liegt t-online vor und beruht erneut auf abgefangenen Funksignalen, sogenannten Wetter- und Positionsberichten, wie Miłosz Gapiński von Rochan Consulting t-online erläuterte.
Gapiński schlussfolgerte aus den übrigen Aktivitäten des Schiffes, dass sich die «Sibirjakow» vermutlich für die kritische Infrastruktur am Grund des Meeres interessiert habe. Schiffsbewegungen der finnischen Marine, die t-online über öffentliche Positionsdaten nachvollziehen konnte, legen nahe, dass sich das Leck etwa in dem Bereich der Pipeline befindet, in dem auch die «Sibirjakow» operierte.
Wie wichtig ist die Pipeline in der Ostsee?
Die Pipeline Balticconnector zwischen Estland und Finnland nahm 2020 den Betrieb auf. Mit rund 150 Kilometern Länge ist sie ein Vielfaches kleiner als die Nord-Stream-Pipelines. Seit dem Stopp der Gas-Importe aus Russland im Mai 2022 ist die Balticconnector die einzige Leitung, über die Finnland Gas importieren kann.
Eine Gefährdung für die Gasversorgung des Landes bestehe derzeit jedoch nicht, teilte der Betreiber Gasgrid mit. Ein Flüssiggas-Terminal im südfinnischen Inkoo würde die Versorgung weiterhin gewährleisten.
Die Energieversorgung in Finnland stützt sich zu rund fünf Prozent auf Erdgas. Verwendet wird die Ressource in erster Linie für die Industrie und Kraft-Wärme-Kopplung, schreibt die AFP.
Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Pipeline-Schliessung?
Die Schliessung der Pipeline hat Auswirkungen auf den Gaspreis in Europa. Nachdem der Gaspreis bereits am Montag deutlich zugelegt hatte, stiegen die Preise am europäischen Erdgasmarkt am Dienstag erneut.
An der Börse in Amsterdam lag der Preis bei bis zu 47.70 Franken je Megawattstunde. Die derzeitigen Preissteigerungen sind jedoch nicht mit dem Preisanstieg infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine vergleichbar. Nachdem Russland seine Gaslieferungen nach Europa stark gedrosselt hatte, wurden zeitweise etwa 300 Franken je Megawattstunde fällig.
Welche Reaktionen gab es bisher auf die Situation in der Ostsee?
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte am Mittwoch Untersuchungen an. Sollte es sich um einen «gezielten Angriff auf kritische Nato-Infrastruktur» handeln, gebe es «eine vereinte und entschiedene Antwort der Nato», erklärte Stoltenberg.
Nach den Vorfällen in der Ostsee sicherte die Bundesregierung den beiden betroffenen Staaten ihre volle Solidarität und Unterstützung zu. Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte am Mittwoch, eine gründliche Untersuchung sei nötig, um zu klären, wer für diese Schäden verantwortlich ist.
Ausserdem arbeite das Ministerium zusammen mit anderen EU- und Nato-Partnern an einer Verstärkung des Schutzes der kritischen unterseeischen Infrastruktur. Auch Litauens Energieminister Dainius Kreivys sprach sich am Mittwoch für einen stärkeren Schutz der Energie-Infrastruktur der Ostsee aus.