Verhört, gefoltert, deportiert: In sogenannten «Filtrationszentren» bestimmt Russland über das Schicksal eines Teils der Bevölkerung der Ukraine. Dies zeigen Augenzeugenberichte und Angaben des US-Geheimdienstes. Doch was passiert in den Einrichtungen in der Ostukraine und in Westrussland wirklich? Eine Annäherung.
Die Idee solcher Zentren ist alt. Sie stammt aus der Sowjetzeit. Kehrten Soldaten aus Kriegsgefangenschaft in die Sowjetunion zurück, wurde in diesen Einrichtungen überprüft, wer ein «Verräter» war und wer nicht, berichtet das ZDF.
Zumindest so ähnlich, ja. Gemäss verschiedener Medienberichte hat Russland im Osten der Ukraine mehrere solcher Zentren eingerichtet, in denen Menschen aus den besetzten Gebieten inspiziert werden.
Es gebe mindestens drei verschiedene Schicksale nach dem «Filtrationsprozess», schreibt die New York Times in einem Bericht:
Das russische Verteidigungsministerium sehe die «Filtrationszentren» und die Abschiebung der Ukrainer als humanitäre Hilfsaktion, schreibt die «Times» weiter. Nach Angaben der russischen Behörden wurden 2'795'965 Ukrainer nach Russland gebracht, darunter auch 444'018 Kinder.
Mit Bussen werden die Menschen in die Zentren gebracht, wo sie untersucht werden. Die Daten ihres Handys werden laut Augenzeugenberichten durchleuchtet, Fingerabdrücke genommen. Gesucht wird nach Verletzungen, Tattoos und Waffen. Verhöre finden statt, berichtet das ZDF.
Verschiedene Insassen beschreiben den Prozess in den Zentren als «invasiv und demütigend», schreibt die Welt. Zahlreiche Augenzeugen erzählen von Schlägen und Folter.
Die «New York Times» berichtet, dass mehrere Einwohner Mariupols in Zentren gestorben seien, nennt aber keine konkrete Zahl.
Es sind bisher 18 mögliche Standorte solcher Zentren identifiziert worden. Es gibt laut einer Einschätzung der US-Geheimdienste aber mit ziemlicher Sicherheit weitere Anlagen, die noch nicht entdeckt wurden.
Der im Exil lebende Bürgermeister der Hafenstadt Mariupol, Wadym Bojtschenko, berichtet, dass es allein in der Nähe der Stadt mindestens vier «Filtrationszentren» gebe, in denen mehr als 2000 Menschen untergebracht seien.
Eine russische Zeitung berichtet über ein solches Zentrum in Besimenne, einem Dorf in der Ostukraine. Das Zentrum solle «ukrainische Nationalisten daran hindern, als Schutzsuchende getarnt nach Russland einzudringen, um einer Bestrafung zu entgehen».
Die New York Times konnte einige Personen interviewen, die in solchen Zentren kontrolliert wurden. Alle haben nach ihrem Aufenthalt in den Lagern Dokumente erhalten, dass ihre Fingerabdrücke überprüft worden seien. Danach sind sie über die Grenze an einen Bahnhof in der russischen Stadt Taganrog gebracht worden, von wo aus sie mit dem Zug in verschiedene Orte Russlands transportiert wurden. Manche waren laut dem Bericht neun Tage unterwegs.
Im russischen Fernsehen wurde die Aktion als «humanitäre Hilfe» porträtiert. Man versprach, den Flüchtlingen ein gutes Zuhause mit allem, was sie benötigen, zu geben. Die Interviewten sagen denn auch gegenüber der «New York Times», sie hätten zwar Essen, ein Bett und ein Dach über dem Kopf bekommen – aber sie seien nicht frei gewesen.
Ihnen gelang später die Flucht nach Estland. Das sind ihre Berichte:
Die Geschichte von Ludmilla beginnt in einem Keller in Mariupol, in dem sie sich versteckt hält. Russische Soldaten steigen herunter und drohen ihr: «Kommst du nicht mit, erschiessen wir dich.» Die Menschen in den Kellern teilen sich in drei Gruppen auf, um sicherzugehen, dass sie nicht erschossen werden. Sobald die erste Gruppe überlebt hat, geht die nächste Gruppe los. Ludmillas Tochter ist nach dem Monat im Keller sehr schmutzig. Ein russischer Soldat gibt dem Mädchen Brot. Ludmilla bedankt sich, aber weiss nicht, wie sie sich dabei fühlen soll.
Anschliessend wird Ludmilla in ein «Filtrationszentrum» ausserhalb von Mariupol gebracht. Dort angekommen, werden besonders die Männer überprüft, da diese Kämpfer sein könnten. Schliesslich wird Ludmilla in einen Ort nach Russland gebracht. Nach 20 Tagen an einem fremden Ort hat Ludmilla genügend Geld gespart, um ein Ticket für sich und ihre Tochter nach St.Petersburg zu kaufen. Von dort aus wird sie an die Grenze von Estland gefahren.
Edward ist verwundet, als russische Soldaten ihn aufgreifen. Sie halten ihn aufgrund seiner Verletzung für einen Kämpfer. Er erzählt, wie drei grosse Soldaten Waffen auf ihn richten. Edward kann sich nicht mehr bewegen, so fleht er sie an, nicht zu schiessen, denn er sei verletzt. Eine Nachbarin kommt ihm zu Hilfe und schreit:
Valeria wird nach ihrer Ankunft in Russland «stark ermutigt», sich für eine russische Staatsbürgerschaft zu bewerben. Dafür müsste die junge Frau ihren ukrainischen Pass abgeben. Sie findet aber heraus, dass dies bedeuteten würde, dass sie die Stadt, in der sie untergebracht ist, für drei Jahre nicht verlassen darf. Valeria will dies nicht, sie möchte in die Ukraine zurückkehren.
>> Hier kannst du das ganze Video der «New York Times»
sehen: Surviving Russia’s Filtration Camps
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt: «Zehntausende Menschen werden in den Zentren festgehalten. Junge Frauen verschwinden dort. Ich denke, Sie alle verstehen, was dort mit ihnen geschieht.»
In einer seiner Videoansprachen meint Selenskyj: «Der richtige Name dafür ist ein anderer – das sind Konzentrationslager. Wie sie die Nazis gebaut haben.»
US-Aussenminister Antony J. Blinken forderte Russland auf, die Zentren zu schliessen: «Die rechtswidrige Verbringung und Deportation geschützter Personen ist ein schwerer Verstoss gegen die Vierte Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung und stellt ein Kriegsverbrechen dar», wird er in der «New York Times» zitiert.
Russia must immediately halt its systematic “filtration” operations in Ukraine, which have reportedly disappeared, detained, or forcibly deported from their homes approximately up to 1.6 million innocent Ukrainians, including 260,000 children.
— Secretary Antony Blinken (@SecBlinken) July 13, 2022
(lab)
Putin wird niemals gewinnen, Deutschland hatte damals noch viel mehr erobert und ist trotzdem gescheitert.
Konzentrationslager !!!