Der mutmassliche Tod von Jewgeni Prigoschin schlägt im Westen hohe Wellen. Die «BBC» widmet dem Wagner-Söldner fünf Storys und die «New York Times» platziert auf ihrer Webseite zwei Prigoschin-Geschichten höher als die erste Debatte der republikanischen PräsidentschaftsanwärterInnen.
Und in Russland?
30 Sekunden dauerte der Beitrag gestern in der abendlichen Hauptausgabe des «Ersten Kanals» («Perwy Kanal»). Er enthielt nicht einmal ein offizielles Statement. Wie der Moskau-Korrespondent der BBC, Will Vernon, berichtet, ist dies normal. Bevor die Chefs des staatlich kontrollierten Senders nicht vom Kreml über die gewünschte Tonalität informiert werden, bewege sich dort wenig.
Doch so einfach lässt sich der Tod des beliebten Wagner-Chefs nicht unter den Teppich kehren. Längst haben Russinnen und Russen andere Kanäle entdeckt, um sich zu informieren. Und sie nutzen sie in Massen. Die digitale Todesanzeige von Prigoschin auf seinem Telegram-Kanal «Grey Zone» wurde bereits von einer Million Menschen betrachtet.
Die Tonalität auf Telegram wird nicht vom Kreml diktiert. Und das tönt dann so: «Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, ein wahrer Patriot seines Vaterlandes, starb durch die Hand von Verrätern an Russland. Aber selbst in der Hölle wird er der Beste sein! Ruhm für Russland!»
Telegram ist für Russinnen und Russen längst mehr als nur eine Möglichkeit, sich unzensiert zu informieren – es wird auch ohne Angst auf Repressionen kommentiert. Und die Wortwahl ist heftig: «War ja klar, dass das passieren würde in einem Land mit lauter Bestien und Verrätern an der Spitze. Die sind es sich gewohnt, Dinge zu zerstören, die funktionieren», kommentiert User «Ural».
Einen Schritt weiter geht «Alexei Kudjakov»: «Sollte sich die Nachricht bewahrheiten, dann wird es für die Musiker [Wagnermitglieder, Anm. d. Red.] eine Frage der Ehre sein, sämtliche Täter und Auftraggeber zu finden und hinzurichten. Ungeachtet ihrer Ränge, Positionen und Verdienste sollte dieser Abschaum sterben!»
Auch Namen fallen bei solchen Äusserungen nicht selten. Im Fadenkreuz steht primär Verteidigungsminister Schoigu – aber auch Machthaber Putin wird unverblümt beleidigt: «Putler macht sich in aller Öffentlichkeit in die Hose, hält sich eine Zeit lang bedeckt, aber er verzeiht niemandem. Den Tod von Prigoschin und Utkin hat er auf dem Gewissen. Mögen die Kreml-Motte und der Papp-General Kuzhuget [Schoigus Mittelname lautet «Kuzhugetovich»] in der Hölle schmoren!» Gar zum Mord ruft «Lost» auf: «Wir sollten hinausgehen und sie im Kreml töten. Aber mit wem sollen wir rausgehen? Den meisten Leuten ist das doch scheissegal … es ist hoffnungslos.»
Es wird sich zeigen, wie schnell die aktuelle Wut vieler Prigoschin-Anhänger wieder verebbt – oder ob sie Konsequenzen hat. Dass sich mit dem Tod Prigoschins die innenpolitischen Wogen in Russland nun glätten, ist indes zu bezweifeln. Das glaubt auch der ukrainische Politikberater Mychajlo Podoljak. Er kündigt an: «Es wird eine neue unruhige Zeit geben – und zahlreiche weitere Todesfälle.»
Juney
BG1984
IchbinmitdenAGBeinverstanden