Der Anführer und Gründer der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, ist sehr wahrscheinlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Diverse russische Medien berichteten unter Berufung auf staatliche Stellen, dass Prigoschin unter den Passagieren der abgestürzten Maschine gewesen sei.
Sein Leichnam ist jedoch bislang noch nicht identifiziert worden, ebenso wenig derjenige seiner rechten Wagner-Hand, Dmitri Utkin. Auch dieser soll sich auf dem Flug befunden haben. Laut neusten Berichten seien gewisse Leichen zudem so entstellt, dass sie nur mittels DNA-Test einer Person zugewiesen werden können.
Acht Momente von Prigoschin und wie sie den Krieg in der Ukraine bestimmten:
Nachdem lange unbekannt gewesen war, wer der eigentliche Chef der Wagner-Gruppe ist, tritt im September 2022 Prigoschin erstmals öffentlich als Oberhaupt der Söldnertruppe auf. Im Rahmen des Ukraine-Krieges zieht er von Gefängnis zu Gefängnis, um dort neue Soldaten für Wagner zu rekrutieren.
Was er den Häftlingen verspricht, ist simpel: Sechs Monate Einsatz für Wagner, dann sind sie frei. Was für den Kleinkriminellen mit acht Monaten Haftzeit nicht besonders ansprechend ist, lässt dem verurteilten Vergewaltiger, der noch vier Jahre sitzen muss, Stielaugen wachsen.
Allerdings warnt er die Sträflinge auch, dass es gewisse Tabus gebe. Alkohol, Drogen und Sex mit «Frauen, Flora und Fauna» seien strikt verboten. Und Fahnenflucht natürlich auch:
Mit seinen Rekrutierungs-Bemühungen generiert er zweifelsohne einen rechten Mannsbestand, verschafft seiner Söldnergruppe aber auch den Ruf, eine Bande von Kriminellen in Uniform zu sein – nicht zu Unrecht.
Ein Grossteil des Wagner-Einsatzes in der Ukraine findet um die ostukrainische Stadt Bachmut statt. Während deren strategische Bedeutung überschaubar ist, steht vor allem ihr symbolischer Wert im Vordergrund.
Beide Seiten haben sich öffentlich zum Zwischenziel gesetzt, Bachmut einzunehmen respektive zu verteidigen. Wagner hat dabei zunehmend die Oberhand: Nachdem zuerst der Vorort Soledar gefallen ist, bricht Wagner Anfang März in den östlichen Teil von Bachmut ein.
Prigoschin meldet sich auf Telegram mit einem Bild, auf dem er vor einem Panzerdenkmal in Bachmut posiert. Etwa zu diesem Zeitpunkt entstehen auch die unzähligen Videos, in denen er von Hausdächern aus die Lage rapportiert.
Am 5. Mai 2023 veröffentlicht Prigoschin wohl das bekannteste Video von ihm. In der Nacht steht er vor einem Berg aus toten Wagner-Soldaten und schimpft wie ein Rohrspatz über die Armeeführung:
Der Hintergrund: Prigoschin beschuldigte seit geraumer Zeit Russlands Militärverantwortliche Schoigu (Verteidigungsminister) und Gerassimow (Oberbefehlshaber), die Wagner-Gruppe systematisch zu sabotieren und ihr die benötigte Munition zu verweigern. Grund dafür sei, dass die Armee neidisch auf die wagner'schen Erfolge bei Bachmut sei.
Im Video zeigt der Söldnerführer sichtlich wütend auf die hinter ihm liegenden Leichen: «Sie sind als Freiwillige hierhergekommen und gestorben, damit ihr in euren Mahagoni-Büros leben könnt.»
Am 20. Mai ist es dann so weit: Nach 224 Kampftagen verkündet Prigoschin in einem Video über den Wagner-Telegram-Kanal, dass Bachmut nun vollständig eingenommen sei.
Prigoschin schiesst weiter gegen die russische Armeeführung: Wagner habe in Bachmut nicht nur gegen die ukrainische Armee, sondern auch gegen Schoigu und Gerassimow gekämpft, die den Krieg in ein «Unterhaltungsprogramm» verwandelt hätten.
Im gleichen Atemzug gibt er bekannt, dass Wagner sich nun aus der von Kämpfen komplett zerstörten Stadt zurückziehen und der Armee das Zepter übergeben werde. Doch werde die Söldnergruppe zwei Soldaten, denen er volles Vertrauen schenkt, zurücklassen – um die Armee zu unterstützen.
Am 23. Juni eskaliert schliesslich der Konflikt zwischen Wagner und der regulären Armee. Prigoschin beschuldigt das Verteidigungsministerium, seine Leute angegriffen und getötet zu haben. Er kündigt über soziale Medien an, mit 25'000 Mann einen «Marsch auf Moskau» zu starten, und ruft die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Armee auf.
Dabei widerspricht er dem offiziellen Narrativ, wie es zum Ukraine-Krieg gekommen ist. Er sagt:
Am Morgen des folgenden Tages macht Prigoschin seine Drohung wahr: An zwei Stellen überschreitet er die ukrainisch-russische Grenze und macht sich auf in Richtung Moskau. In Rostow am Don nimmt er das Hauptquartier der regionalen Militärführung ein.
Kurioserweise ist der Aufstand am selben Tag schon wieder vorbei. Am Abend beordert Prigoschin seine Truppen, die rund 200 Kilometer vor Moskau stehen, zum Rückzug, «um ein Blutbad zu verhindern». Dies geschieht, nachdem er sich mit Putin unter Vermittlung von Belarus' Präsident Alexander Lukaschenko auf das weitere Vorgehen in der brisanten Affäre geeinigt hat.
Die Konsequenz aus dem (je nach Sichtweise) gescheiterten Putsch ist, dass Prigoschin mitsamt den Wagner-Truppen das Land in Richtung Belarus verlässt.
Dort gewährt die Armee den Wagner-Truppen Unterkunft in Form von Zelten auf einem Armeegelände. Aus einem solchen meldet sich Prigoschin im Juli, bekleidet bloss in Unterwäsche.
Ein eher bizarrer Moment aus dem öffentlichen Leben Prigoschins: Bei einer Durchsuchung seiner Petersburger Villa und seiner Büros kommen einige interessante Dinge zum Vorschein.
Nebst diverser Waffen, Goldbarren, falscher Pässe und Bargeld entdecken die russischen Behörden seinen Vorrat an Perücken und Verkleidungen – inklusive Bildern von ihm «in disguise». So spielt er unter anderem einen «sudanesischen Verteidigungsbeamten» und «Feldkommandant Mohammed».
Die letzte Meldung, die von Prigoschin kommt, ist eine Videobotschaft, scheinbar aus Afrika. Darin spricht der Söldnerführer davon, dass Wagner zur Zeit Aufklärungseinsätze durchführe, «um Afrika freier zu machen und den Afrikanern Gerechtigkeit und Glück zu bringen».
Laut Experten ist das Hauptziel von Wagner jedoch (wie schon zuvor), autoritäre Regime in Afrika an der Macht zu halten und mit ihrer Hilfe die Bodenschätze ihrer Länder zu plündern. Russlands Autokrat Wladimir Putin profitiert von Wagner, nicht nur in der Ukraine, auch in Afrika. Es geht um Milliarden Rubel.
Nun wird Prigoschin jedenfalls nicht mehr «den Afrikanern Gerechtigkeit und Glück» bringen. Zwar ist sein Tod weiterhin nicht bestätigt, dass er aber jemals wieder öffentlich auftauchen wird, ist wohl nicht zu erwarten.