Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow ist tot. Er sei im Zentrum Moskaus durch vier Schüsse ermordet worden, bestätigte die russische Regierung der Nachrichtenagentur Interfax. Der Tatort sei ganz in der Nähe des Kreml. Die Bluttat ereignete sich kurz vor einer Demonstration von Putin-Gegnern an diesem Sonntag.
Nemzow sei von vier Schüssen getroffen worden, teilte eine Sprecherin des Innenministeriums mit. Der Regierungsgegner soll in Begleitung einer Bekannten aus der Ukraine über eine Brücke nahe des Kreml gelaufen sein, als ihm ein Unbekannter offenbar in den Rücken schoss.
«Laut vorläufigen Informationen hat ein noch nicht identifizierter Täter aus einem Wagen heraus mindestens sieben bis acht Mal auf Nemzow geschossen, als dieser über die Grosse Steinerne Brücke lief», erklärte die Staatsanwaltschaft am Samstagmorgen. Es seien «erfahrene» Ermittler auf das Verbrechen angesetzt worden.
Next to Boris Nemtsov was a young woman, born 1991 in Kiev; Nemtsov was shot 7 times from a passing by car - police
— *Russian Market (@russian_market) 27. Februar 2015
Der 55-Jährige war eine Führungsfigur der Proteste gegen die russische Regierung im Dezember. Nemzow gehört zu den prominentesten Kritikern Wladimir Putins. 1997 und 1998 war Nemzow unter Präsident Boris Jelzin Vize-Ministerpräsident und galt als einer der Architekten der liberalen Wirtschaftsreformen.
Putin war umgehend über die Bluttat im Herzen Moskaus informiert worden, wie sein Sprecher Dmitri Peskow mitteilte. Die tödlichen Schüsse auf Nemzow «deuten auf einen Auftragsmord hin», sagte Putin nach Angaben des Sprechers. Es habe sich um einen «brutalen Mord» und eine «grosse Provokation» gehandelt. Putin habe Sonderermittler mit der Aufklärung des Verbrechens beauftragt.
Die Opposition will an diesem Sonntag ihre erste grosse Demonstration dieses Jahres gegen Putins Politik organisieren. Die Agentur Interfax berichtete unter Berufung auf Ermittler, der Mord an Nemzow könnte eine gezielte Provokation sein vor der Aktion der Regierungskritiker.
Vor wenigen Wochen gab Nemzow der regierungskritischen Wochenzeitung Sobsednik ein Interview, in welchem er davon sprach, dass er sich davor fürchte, von Putin ermordet zu werden.
"Ich habe Angst, dass Putin mich töten wird": Das sagte der heute erschossene #Nemtsov vor wenigen Wochen. http://t.co/RsGMlG8f7I
— Paul Ronzheimer (@ronzheimer) 27. Februar 2015
Vor wenigen Tagen hat @BorisNemtsov noch erklärt, er fürchte, Putin werde seinen Mord befehlen: http://t.co/RbuGUxx8Te RIP!
— Jens Weinreich (@jensweinreich) 27. Februar 2015
Nemzow soll mit einer 24-Jährigen Ukrainerin unterwegs gewesen sein, die nicht verletzt wurde und aktuell befragt wird. Dies schreiben Fokus Online sowie der Twitterer @russian_market.
Nach den Tätern werde derzeit mit einer Ringfahndung gesucht, heisst es. Die Hintergründe der Tat sind noch völlig unklar. Der Tatort am Fluss Moskva ist derzeit abgesperrt. Nemzows Leiche lag auch lange Zeit nach der Tat noch dort.
Boris Nemtsov was walking together with a woman who came recently from Kiev. She is detained - Police
— *Russian Market (@russian_market) 27. Februar 2015
Die Lage in Russland ist im Zuge der Ukraine-Krise angespannt. Nemzow hatte den Krieg im Nachbarland scharf kritisiert – als russische Aggression. In einem eindringlichen Appell hatte er den mutmasslichen Einsatz russischer Soldaten in der Ostukraine – ohne Erkennungszeichen an den Uniformen – als «illegal» kritisiert. Der Oppositionspolitiker beschimpfte Putin als «Lügner».
«Ich kann es nicht glauben. Was ist aus Russland geworden? Die Aggression wächst», sagte der frühere Regierungschef Michail Kasjanow im kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy. Kasjanow sprach von einer «Tragödie».
Viele Wegbegleiter von Nemzow sprachen mit zitternder Stimme von einem grossen Verlust für liberal denkende Menschen im grössten Land der Erde. Der Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow warnte vor einem «wachsenden Hass auf Andersdenkende» in der Gesellschaft. «Ich bin schockiert», sagte er. Kein Oppositioneller könne sich heute sicher fühlen in dem Land.
Auch Journalisten seien in Gefahr. In Russland kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Kritiker der Kremlpolitik.
US-Präsident Barack Obama hat die «brutale Ermordung» des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow scharf verurteilt. Obama würdigte Nemzows «tapferen Einsatz» gegen die Korruption in Russland.
In einer am Freitagabend in Washington vom Weissen Haus verbreiteten Erklärung wird die russische Führung zu einer «schnellen, unvoreingenommenen und transparenten» Aufklärung des Verbrechens aufgefordert. Moskau müsse sicherstellen, «dass jene, die für diese bösartige Tat verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden».
Obama sprach der Familie Nemzows sein Beileid aus, ebenso wie dem russischen Volk, das «einen der engagiertesten und eloquentesten Verteidiger seiner Rechte» verloren habe.
(egg/sun/Reuters/AFP/dpa)