Die Europäische Union mag immer öfter den Eindruck eines zerstrittenen Haufens erwecken. In einem aber ist man sich einig: Der Schutz der Aussengrenzen muss gestärkt werden. Nie wieder soll sich der Kontrollverlust von 2015 wiederholen, als hunderttausende von Migranten irregulär in die EU eingewandert sind.
Und auch die Schweiz als Schengen-Mitglied stimmt regelmässig in den Chor ein und fordert einen besseren Schutz der Aussengrenzen. Zuletzt beim Treffen der EU-Justizminister Mitte November, an dem Bundesrätin Karin Keller-Sutter teilnahm.
Allerdings: Der verstärkte Aussengrenzschutz kommt mit einem unappetitlichen Beigeschmack. Seit Monaten häufen sich Medienberichte über brutale und unrechtmässige Abschiebungen. Griechische Grenzschützer sollen Boots-Flüchtlinge zurück aufs offene Meer schleppen und sie ihrem Schicksal überlassen.
Im Frühjahr soll an der griechisch-türkischen Landgrenze ein Migrant erschossen worden sein. Vergangene Woche veröffentlichte das Nachrichtenmagazin «Spiegel» Filmdokumente, die verprügelte Asylsuchende zeigen, die kurz zuvor von Kroatien über die Grenze nach Bosnien abgeschoben wurden.
We have opened an inquiry into @Frontex.
— European Ombudsman (@EUombudsman) November 12, 2020
We will assess:
- effectiveness & transparency of their 'Complaints Mechanism'
- role and independence of their ‘Fundamental Rights Officer’
👉 https://t.co/8hXpawNn5Z pic.twitter.com/ms8ujvgk7e
Brisant: Bei einigen dieser Vorfälle soll auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex involviert sein. Frontex-Beamte sollen sogenannte «Pushbacks» im östlichen Mittelmeer untätig beobachtet und teilweise sogar mitgeholfen haben. Solches Verhalten verstösst nicht nur gegen die UN-Flüchtlingskonvention, sondern gegen die EU-Grundwerte.
Anfang November wurde eine Dringlichkeitssitzung des Frontex-Aufsichtsrats einberufen, in dem auch die Schweiz vertreten ist. Frontex-Chef Fabrice Leggeri musste sich erklären. Im Nachhinein wurde einstimmig festgestellt, dass «dringender Handlungsbedarf» bestehe. Ein Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, der die Vorfälle aufklären soll.
My thanks to Chair & Management Board of @Frontex for the attached statement.
— Ylva Johansson (@YlvaJohansson) November 11, 2020
I welcome the conclusion of the board that urgent action is needed to investigate all aspects related to the allegations of pushbacks.
The next MB will take place on 25-26/11 https://t.co/6VZ0LBo8uV
Im Rahmen des Schengen-Abkommens sind zurzeit auch fünf Schweizer Grenzschutz-Beamte in Frontex-Missionen unterwegs. Sie schützen die See- und Landgrenze der EU in Italien, Spanien und Kroatien. In früheren Einsätzen waren Schweizer Grenzschützer auch in Griechenland oder Bulgarien stationiert. Sind auch sie in die Pushback-Vorwürfe verwickelt? Nein, heisst es auf Anfrage bei der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV).
Alle Mitarbeitende, die einen Frontex-Einsatz leisten, seien verpflichtet, festgestellte Menschenrechtsverletzungen umgehend zu melden. Bis jetzt seien keine solchen Vorfälle rapportiert worden, so ein Sprecher. Als direkte Konsequenz der jüngsten Medienberichte hat die EZV zudem eine rote Linie gezogen: Würden Schweizer Frontex-Beamte im Zuge ihres Einsatzes zu Pushbacks aufgefordert, müssen sie sich diesen Befehlen widersetzen. In der Folge würde die Schweiz ihre Mitarbeitenden umgehend zurückziehen. Entsprechende schriftliche Weisungen seien erlassen worden.
In der Schweiz ist man sich des politischen Konfliktpotentials ungeklärter Pushback-Vorwürfe offensichtlich bewusst. Das liegt auch daran, dass das Schengen-Abkommen nicht bloss von rechter Seite kritisiert wird. Wegen den Abschottungstendenzen kommt unter dem Stichwort «Festung Europa» auch von der Linken regelmässig Kritik. Erst im September spielte diese «unheilige Allianz», als im Nationalrat eine Erweiterung des Schengen-Informationssystem (SIS) abgelehnt wurde. Erwartet wird bereits, dass sich der Bundesrat in der Wintersession auch kritischen Fragen aus dem Parlament in Sachen Pushbacks stellen muss.
Dass sich Schweizer Beamte nicht an illegalen Abschiebungen beteiligen werden, ist ohnehin eine Selbstverständlichkeit. Insofern wird hier mit nichts "gedroht".
Wie hat man sich einen besseren Grenzschutz vorgestellt? An die Grenze stehen und die ankommenden Flüchtlingen nett zu bitten, die Grenze nicht zu übertreten? Es war von Anfang an klar, dass es zu solchen Szenen kommen würde...
Statt sich einfach nur in den Konflikten einzumischen, hätte man für die Flüchtlinge im eigenen Land eine grüne Zone errichten müssen, die eine Massenflucht nach Europa verhindert hätte.
Mit dem Klimawandel wird sich die Situation noch massiv verschärfen und dennoch passiert wieder nichts...