Die Schweiz braucht eine sichere UBS. Aber gern hätte das Land auch eine Grossbank, die international erfolgreich bleibt, in der heimischen Wirtschaft den grössten Nutzen stiftet und viele gut bezahlte Arbeitsplätze schafft. Finanzministerin Karin Keller-Sutter sprach vor einem Jahr im Interview mit CH Media von einem «Spagat» in der Too-big-to-fail-Regulierung, deren Verschärfung mit dem Credit-Suisse-Debakel zur unbestrittenen Notwendigkeit geworden ist.
Mit dem «Spagat» meinte die Bundesrätin, dass Finanzplätze, die den Sparern, den Steuerzahlenden und den Investorinnen den maximalen Schutz garantieren möchten, nicht gleichzeitig das Wachstum priorisieren können. Das Thema wird am Dienstag auch den Nationalrat beschäftigen.
Finanzmarktaufseher und Regulatoren sind gezwungen, je nach den politischen Vorgaben, eine Route zwischen Stabilitätssicherung und Wachstumsförderung zu wählen. Forscher der Bank of England haben das Dilemma unter den Bedingungen eines intensiven, internationalen Standortwettbewerbs modelliert. Für die Schweiz sind die Erkenntnisse von grosser praktischer Relevanz.
Einen Vorgeschmack bietet die aktuelle parlamentarische Debatte zum PUK-Bericht, im Mai schickt der Bundesrat das Massnahmenpaket «zur Stärkung und Weiterentwicklung des Too-big-to-fail-Dispositivs» in die Vernehmlassung. Allen 22 geplanten Massnahmen voran soll die vorgesehene Verschärfung der Kapitalverordnung für systemrelevante, internationale Banken deren Widerstandsfähigkeit stärken und damit die Risiken für die für den Staat und die ganze Volkswirtschaft vermindern.
Es ist klar, dass es dabei vor allem um die UBS geht. Abseits der Öffentlichkeit lobbyiert die Bank denn auch heftig gegen zusätzliche Kapitalauflagen. Nicht selten zur Sprache kommt auch das Szenario einer UBS, die der Schweiz abhandenkommen könnte. Entweder, weil sie selber das Weite sucht oder weil übermässige Kapitalauflagen ihren Börsenwert so weit dezimieren könnten, dass sie ein Übernahmeobjekt für andere Banken wird.
Nicht zufällig hat Roman Studer, der frühere UBS-Lobbyist und jetzige Chef der Bankiervereinigung, jüngst im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» das Wegzugsargument im Zusammenhang mit einer möglicherweise starken Eigenkapitalauflagen für die UBS ins Spiel gebracht.
Die gleiche Keule schwingen medienwirksam auch UBS-Aktionäre: Lars Förberg, Partner der schwedischen Investmentfirma Cevian, die Ende 2023 eine Milliardeninvestition in UBS-Aktien publik gemacht hatte, sagte der «NZZ am Sonntag» im Februar auf die Frage, ob er eine Sitzverlegung begrüssen würde, zunächst beschwichtigend:
Aber in der nächsten Antwort kommt die Drohung: Nordea, die schwedische Grossbank, die ihren Hauptsitz 2018 nach Finnland verschoben hat und an der Cevian ebenfalls beteiligt ist, habe Schweden Steuereinnahmen gekostet. Während dort viele den Wegzug bedauerten, sei Finnland heute «sehr glücklich» über den Zuzug. Und dies, obschon Nordea gemessen an der Wirtschaftsleistung Finnlands sogar noch grösser sei als die UBS für die Schweiz.
Förberg spricht dem internationalen Wettbewerb der Finanzplätze das Wort. Finanzplätze buhlen um die Gunst grosser, mobiler Banken in der Hoffnung Steuersubstrat, attraktive Arbeitsplätze und Prestige zu gewinnen. Doch dieser Wettbewerb hat das Potenzial, die Finanzstabilität zu unterlaufen. Ironischerweise kann der auch die Eigentümerinteressen beschädigen.
Die Forscher der britischen Notenbank zeigen in ihrem Modell was geschehen könnte, wenn die Regulatoren von Finanzplätzen nebst ihrem Stabilitätsauftrag auch ein Wachstumsziel verfolgen müssen. Gefangen in diesem Dilemma könnten sich die Behörden in einem internationalen Standortwettbewerb gezwungen sehen, das Stabilitätsziel zugunsten des Wachstumsziels zu lockern. Das Szenario wir wahrscheinlicher, je weniger sich die Banken zu ihrem Standort bekennen.
Für die Banken selbst ist dieser Wettbewerb ein zweischneidiges Schwert. Standorte, die bekannt dafür sind, die Wünsche der Banken leichtfertig zu erfüllen, können schnell in Verdacht geraten instabil zu sein. Daraus kann den Aktionären, den Gläubigern und nicht zuletzt den Kunden ein Schaden erwachsen. Auf solchen Finanzplätzen mögen die Banken mehr Freiheiten geniessen, aber sie könnten sich genötigt sehen fehlendes Vertrauen in die Regulierung durch dickere und teure Kapitalpolster zu kompensieren.
Daraus folgern die Forscher der Bank of England, dass Banken sich und ihren Aktionäre einen Gefallen täten, wenn sie statt mit der Sitzverlegung zu bluffen, die Qualitäten des Standorts in seiner Gesamtheit anerkennen und sich zu diesem bekennen würden. Anders ausgedrückt: Ein Finanzplatz mit einer im Konkurrenzvergleich strengen Regulierung muss auch für ambitionierte Banken keine Hölle sein, ebenso wenig wenig, wie ein Platz mit lockeren Regeln nicht der Himmel sein muss.
Dass sich ausgerechnet die britische Notenbank dem Thema widmet, kommt nicht von ungefähr. Seit 2023 ist die Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes London ein expliziter Auftrag der Aufsichtsbehörde «Prudential Regulation Authority». Zwar handelt es sich dabei um ein Ziel, das dem Hauptauftrag der Stabilitätssicherung nachgelagert ist. Doch in einer Welt, in der die globale Festlegung minimaler Stabilitätsstandards immer schwieriger wird, kann auch die Hierarchie der behördlichen Ziele schnell verschwimmen.
Im schweizerischen Bundesgesetz über die Finanzmarktaufsicht heisst es unter Artikel 4:
Zwar ist die Förderung von Wachstum in der Schweiz kein eigenständiges Ziel der Finanzmarktaufsicht. Doch das Gesetz lässt Spielraum für politische Interpretationen. 2012, im Jahr der grossen Euro-Schuldenkrise, sagte der damalige Finma-Direktor Patrick Raaflaub auf einer Pressekonferenz eher beiläufig:
Der Satz löste in der Politik einen Sturm der Entrüstung aus. Er veranlasste den damaligen Genfer FDP-Nationalrat und Finanzplatzlobbyisten Christian Lüscher, eine parlamentarische Initiative zu ergreifen, um die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit als expliziten Auftrag im Finanzmarktgesetz zu verankern. Die Initiative scheiterte zwar, aber der Druck auf die im Urteil der Finanzbranche allzu strenge Finma blieb hoch – zu hoch, wie die Analysen der Parlamentarischen Untersuchungskommission im Fall Credit Suisse gezeigt haben.
Nun stehen die Zeichen international abermals auf Deregulierung. Wird die Schweiz ihre Stabilitätsziele mit der UBS in diesem Umfeld erreichen? Die Forscher der Bank of England konstatieren, dass die Wahrscheinlichkeit einer kompetitiven Deregulierung zunimmt, wenn mehrere Finanzplätze gleichzeitig Wachstumsziele avisieren. Erst recht, wenn ein eher für Stabilität bekannter Finanzplatz stärker auf Wachstum fokussieren will.
Die Jäger orientieren sich naturgemäss am weltweit grössten Finanzplatz New York. Neben London haben unter dessen Verfolgern auch Plätze wie Hongkong und Singapur explizite Wachstumsziele – zum Teil sogar mit dem ausdrücklichen Auftrag zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen. Die Abstände zwischen den Finanzplätzen sind kleiner geworden (vgl. Grafik unten). Was das aber für den Wettbewerb bedeutet bleibt abzuwarten. Knifflig bleibt die Aufgabe für die Schweiz so oder so.
(aargauerzeitung.ch)
Wer als normaler Büezer noch Geld bei der UBS hat dem ist eh nicht mehr zu helfen.