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Aida
Kalamujic zündet sich eine Zigarette an, bläst den Rauch in die kalte
Winterluft. Sie rauche nur selten. «Aber wenn ich von meiner Flucht erzähle,
brauche ich das.» Aida flüchtete 1993 mit ihrer damals zweijährigen Tochter in
die Schweiz, weg vom Krieg in ihrer Heimat Bosnien-Herzegowina, der von 1992 bis 1995 wütete. (siehe Slideshow unten).
Auch heute sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht vor
Bomben und Granaten. In der Schweiz haben in den ersten elf Monaten 2015 etwas mehr als 34‘000 Menschen ein Asylgesuch gestellt. Viele Flüchtlinge werden über längere
Zeit bleiben, denn ein Ende der Konflikte in Syrien oder Afghanistan ist nicht
in Sicht.
Deshalb sollte die Integration dieser Menschen so schnell
wie möglich angepackt werden, sagt Denise Efionayi vom Schweizer
Forum für Migrationsstudien (SFM) an der Universität Neuenburg: «Integration
ist ein langfristiger Prozess. Sie gelingt nicht auf Knopfdruck.» Efionayi
sagt, dass wir von Erfahrungen aus der Vergangenheit profitieren können –
beispielsweise von der Integration der bosnischen Diaspora.
Aida war schon lange in der Schweiz, als sie sich für einen
Sprachkurs anmeldete. Dazu motiviert hatte sie niemand. Sie findet das schade,
weil es die Integration verzögerte. «Darum braucht es heute klare Ansagen an
die Flüchtlinge. Wer hierher kommt, soll eine Landessprache lernen und danach
einen Test absolvieren.» Aida spricht sehr gut Deutsch.
Klare Ansagen fehlen auch Migrationsexpertin Efionayi. Das Problem ist die vorläufige Aufnahme: Sie biete Flüchtlingen zwar Schutz, aber erschwere die Integration. Es brauche deshalb klare Signale an die Ankommenden, so Efionayi: «Wir müssen ihnen sagen, dass sie eine Landessprache lernen und sich in den Arbeitsmarkt integrieren müssen.»
Über die Sprachkenntnisse der bosnischen Flüchtlinge gibt es
keine Daten, wie Efionayi in einer 2014 erschienen Studie über die bosnische
Diaspora in der Schweiz schreibt. Allerdings bevorzuge die erste Generation die
Herkunftssprache, während die zweite, in der Schweiz aufgewachsene Generation
lieber auf Deutsch, Französisch oder Italienisch kommuniziere. Das kann Hamdija
Kocic, Präsident des bosnischen Kulturvereins «Matica Bosne i Hercegovine» in
Zürich, nur bestätigen: «Wir mussten unsere Website auf Deutsch übersetzen,
weil die Jungen teilweise kein Bosnisch mehr verstehen.» Die zweite Generation
sei allgemein sehr gut integriert, sagt Efionayi.
Nachdem
Aida Deutsch gelernt hatte, begann sie, Freiwilligenarbeit bei der
Asylorganisation Zürich (AOZ) zu leisten. 4,5 Jahre arbeitete die studierte
Juristin dort unentgeltlich im psychosozialen Dienst. 2004 bekam Aida eine
Stelle als Sozialpädagogin, die sie heute noch ausübt. Ausserdem berät sie beim
Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (Heks) Migranten im Alter.
Aida hat verhindert, was vielen gut ausgebildeten bosnischen Flüchtlinge widerfahren ist: Den beruflichen Abstieg. In ihrer Studie schreibt SFM-Forscherin Efionayi, die «grosse Mehrheit» der qualifizierten bosnischen Flüchtlinge in der Schweiz habe einen beruflichen Abstieg erlitten. Der Grund: Ihre Diplome wurden in der Schweiz nicht anerkannt. Die meisten Bosnier arbeiten heute im Gastgewerbe, in der Industrie und auf dem Bau. 2010 waren 6,6 Prozent der bosnischen Erwerbsbevölkerung arbeitslos (Schweizer: 2,2 Prozent, Nichteuropäer: 11 Prozent). Zwischen 6 und 10 Prozent der Bosnier waren 2011 abhängig von Sozialhilfe (Schweizer: 2,1 Prozent). Seit 2006 sinkt die Zahl bosnischer Bezüger jedoch. Efionayi sagt, dass in diesen Werten die eingebürgerten Bosnier – also «die am besten integrierten» – nicht mitgezählt sind.
Aida ist gut integriert. Seit 2007 hat sie den Schweizer
Pass, mag Roger Federer, aber kein Fondue. Dafür alle Arten von Wähen: «Die
habe ich erst in der Schweiz kennengelernt», sagt sie.
Neben Aida hat die Schweiz rund 15‘000 weitere bosnische
Kriegsflüchtlinge aufgenommen. 1993 waren es fast 7000 Menschen, in den beiden
Jahren danach etwa 3500 (siehe Infografik). Zum Vergleich: Aus Syrien und
Afghanistan ersuchen dieses Jahr ebenfalls zwischen 3000 und 4000 Menschen in
der Schweiz um Asyl.
Wie viele bosnische Flüchtlinge nach Kriegsende in die
Heimat zurückkehrten, lässt sich nicht genau beziffern: Bis Mitte 1998 waren es
rund 7000, wie aus einer Antwort des Bundesrats auf eine
Interpellation hervor geht. Weitere 5666 Personen hatten sich für eine Ausreise
bis Ende 1998 angemeldet. Einige gingen ausserdem nach Australien oder in die
USA. Eine, die nach Bosnien-Herzegowina zurückkehrte, war Senka Ibrisimbegovic. Am Rande einer Podiumsdiskussion in Zürich hatte ich die Gelegenheit, mit ihr über ihre Beweggründe zu sprechen:
Noch bis 2002 stellten jedes Jahr zwischen 1000 und knapp
2000 Bosnier in der Schweiz ein Asylgesuch. «Der Bosnienkrieg hat gezeigt, dass
die Menschen nicht so schnell in ein kriegsversehrtes Land zurückkehren können.
Das wird wohl auch bei den Syrern der Fall sein», sagt SFM-Forscherin Efionayi. 2015 wird sich
die Zahl bosnischer Asylgesuche noch auf etwas über 100 belaufen. Deren
Erfolgsaussichten sind äusserst gering, denn Bosnien-Herzegowina gilt als «Safe
Country».
Auf der Flucht hatte Aida gedacht, der Krieg ende bald und
sie gehe wieder nach Hause. Zwei Jahre nach dem Krieg ging sie tatsächlich nach
Bosnien zurück – und machte rechts um kehrt: «Das Land hatte keine
Perspektive.» Aidas Mann kam 1994 in die Schweiz, heute wohnt die dreiköpfige
Familie in einer Mietwohnung in Zürich. Wenn Aida Bilder von verzweifelten
Flüchtlingen am ungarischen Grenzzaun sieht, überkommt sie ein miserables
Gefühl. Es erinnert sie an ihre eigene Flucht, aber auch daran, dass sie in der
Schweiz gastfreundlich empfangen wurde. Dafür ist sie sehr dankbar. Ob sie sich
als Schweizerin fühlt? Ihre Antwort kommt ohne Zögern: «Ja.»
Dieser Text entstand im Rahmen einer Hochschularbeit an der ZHAW in Winterthur.