Wir sind in der Unterzahl. Hoffnungslos. Nicht einmal acht Milliarden Menschen gibt es zurzeit auf der Welt. Darüber könnten Viren nur lachen – wenn sie denn das Lachen beherrschen würden. Tatsächlich haben viele von ihnen aber anderes zu tun. Wie etwa SARS-CoV-2 , das gerade einen Anlauf unternimmt, um den Winter noch einmal richtig bitter zu machen.
Nicht einmal die Frontlinie ist in der ewigen Auseinandersetzung zwischen Menschen und Viren klar definiert. Denn ein nicht ganz unerheblicher Teil unseres Genoms stammt von, ja, Viren. Eine Art evolutionäres Update, wenn man so will. Denn etwa unser Immunsystem wäre ohne den viralen Input wohl nicht das, was es heute ist.
Und das menschliche Immunsystem ist in diesen Tagen der Corona-Pandemie eben ausserordentlich gefragt. Doch das war es auch schon zuvor. Denn Covid-19 ist nur das neueste Kapitel in der Geschichte der Seuchen, die die Menschheit plagten und plagen. Philipp Kohlhöfer, Journalist und Autor, hat nun mit «Pandemien. Wie Viren die Welt verändern» ein Buch dazu veröffentlicht. Spannend wie ein Krimi, lehrreich obendrein. Christian Drosten , Virologe und seit Beginn der Corona-Pandemie deutschlandweit bekannt, hat ein Vorwort beigesteuert.
Schlank ist das Buch nicht, denn es gibt eben reichlich Viren, die uns gefährlich werden können. Corona und Influenza, Hanta und HIV, Ebola und Cholera . Um nur einige zu nennen. Aber stopp! Wird die Cholera, früher auch als «Asiatische Hydra» gefürchtet, nicht von Bakterien verursacht? Ganz richtig – aber nur, wenn diese Bakterien ihrerseits von bestimmten Viren infiziert wurden.
An sich könnten Menschen und Viren ganz gut miteinander auskommen. Doch zunehmend kommen sich beide ins Gehege. Was vor allem an uns Menschen liegt, wie Kohlhöfer ganz richtig schreibt. Denn wir sind es, die den Treibhauseffekt befeuern und immer mehr in natürliche Lebensräume eindringen, von denen wir uns besser fernhalten sollten. Zoonose lautet das Stichwort, es bezeichnet den Übersprung einer Infektionskrankheit vom Tier auf den Menschen. Oder eben umgekehrt.
Der schon angesprochenen Tollwut ist dieser «Umzug» gelungen. Bereits vor mehr als vier Jahrtausenden. Sie befindet sich damit in gruseliger Gesellschaft, denn Lassa, Dengue, Grippe, MERS, und nicht zu vergessen, auch die SARS-Vertreter kamen vom Tier auf uns. Die Liste liesse sich fortsetzen. «Alle Killer aus unseren Albträumen sind Zoonosen», fasst Kohlhöfer zusammen.
Vielleicht hatte die Menschheit schon lange vor SARS-CoV-2 im Jahr 2020 einen anderen tödlichen Zusammenstoss mit einem Coronavirus. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wütete die Russische Grippe, tötete bis zu einer Million Menschen. Aber war die Influenza vielleicht gar nicht der Killer? Es gibt Überlegungen, ob es nicht vielmehr ein Coronavirus mit der Bezeichnung OC 43 gewesen ist. Vom lieben Rindvieh wäre demnach der Erreger auf den Menschen übergesprungen.
So schildert Kohlhöfer Seuche für Seuche, ihre Herkunft, ihren Verlauf, ihr Ende. Wenn es dies überhaupt gab. Denn nur die Pocken , wahre Massenmörder, konnte die Menschheit bislang dauerhaft besiegen. Was Kohlhöfers Buch aber weit über die reine Erzählung der Geschichte menschlicher Plagen hinaus lesenswert macht, ist die gelungene Erklärung, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert. Denn sie ist – neben dem gesunden Menschenverstand – unsere beste Waffe zum Überleben.
Wer weiss etwa genau, was ein PCR-Test (Polymerase-Kettenreaktion) eigentlich leistet? Was der R-Wert (Reproduktionsfaktor) eigentlich aussagt? Und warum uns die Viren stets einen Schritt voraus zu sein scheinen? Spoiler: Evolution. Vor allem aber ruft uns Kohlhöfers Buch die Bedeutung von Impfungen in Erinnerung. Nicht nur zum individuellen Schutz, sondern auch als solidarische Verpflichtung.
So hätten sich die USA bereits mehr oder weniger der Masern entledigt, wenn Touristen sie nicht immer wieder ins Land einschleppen würden. Und nein, die Masern sind keine harmlose «Kinderkrankheit», wie es bisweilen gerne behauptet wird. Ein Beispiel nennt Kohlhöfer: Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte ein amerikanisches Schiff Hawaii. Die Masern waren als blinde Passagiere dabei. Und zeigten, was passiert, wenn ein neuartiger Krankheitserreger auf eine darauf immunologisch unvorbereitete Gruppe von Menschen trifft. Tausende Hawaiianer starben an der Krankheit.
Impfen ist deswegen eine verdammt gute Sache, das wusste bereits Zarin Katharina die Grosse, die in den Genuss einer frühen Form des Impfens gegen die Pocken kam. Variolation nannte sich das Ganze, bei der die Geimpften einer geringen Menge des Erregers ausgesetzt wurden. Und die Sache recht oft überlebten. Zu Gegnern von Impfungen hatte die nie um ein deutliches Wort verlegene Herrscherin Russlands eine klare Meinung: «Wahrhaftige Dummköpfe, ignorant oder einfach nur böse.»
Seien wir stattdessen froh, dass uns heute gegen zahlreiche Krankheiten zuverlässige Impfstoffe zur Verfügung stehen. Denn die Menschheit wird sich neuen Erregern stellen müssen, es ist nur eine Frage der Zeit. Wer weiss, was die Gegenden, die wir gerade zu zerstören im Begriff sind, noch bergen.
«Die Gefahr von Zoonosen lauert nicht im unberührten Dschungel», bringt es Kohlhöfer auf den Punkt, «sondern entsteht dann, wenn natürliche Areale in Ackerland, Weiden und städtische Flächen umgewandelt werden.» Soll niemand behaupten, wir wären nicht vorgewarnt gewesen, wenn die nächste Pandemie im Anmarsch ist.
Auf Philipp Kohlhöfers Instagram-Account finden sich weitere Bilder zur Entstehungsgeschichte des Buches.
Verwendete Quellen: