Dass die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem am Montag Ausschreitungen provozieren würde, damit haben auch die Schweizer Behörden gerechnet. Bundesrat Ignazio Cassis zeigte sich aber überrascht, dass die Unruhen auf den Gazastreifen beschränkt blieben. «Ich hätte eine breitere Reaktion erwartet, etwa im palästinensisch besetzten Ostjerusalem, auch in anderen Gebieten des Nahen Ostens.»
Nicht auszuschliessen war, dass Proteste auch ins Nachbarland Jordanien überschwappen könnten, wo sich Cassis die letzten drei Tage aufhielt. In Jordanien leben mehr als zwei Millionen Palästinenser.
Die Sicherheit der Schweizer Delegation war nie spürbar gefährdet. Vielleicht auch deshalb, weil der Besuch eines Flüchtlingscamps kurzfristig abgesagt wurde. Als Alternativprogramm besuchte Cassis eine Berufsbildungsstätte des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), welche von der Schweiz finanziell unterstützt wird. Rund 22.5 Millionen Franken fliessen jährlich im Schnitt an die UNRWA, die nebst Schulen auch Spitäler, sanitäre Versorgung und finanzielle Unterstützung bereitstellt, auch in Syrien, im Libanon, in Gaza und im Westjordanland.
Obwohl Jordanien vor allem mit der Neuankunft syrischer Flüchtlinge schwer zu tragen hat, wählte Cassis bewusst den Besuch von palästinensischen Flüchtlingen – um den Konflikt im Nahen Osten besser zu verstehen, wie er sagt. Vor Ort scherzte er mit Architekturstudentinnen über deren Vorliebe für Swimmingpools. Die Schreiner führten stolz die Funktionalität ihrer Möbel vor. Und trotz aller Anerkennung der guten Arbeit der UNRWA konfrontierte Cassis die Schüler auch mit Zweifeln über den ewigen Fortbestand des Hilfswerks.
Das Geld, das die Schweiz für die Flüchtlinge ausgibt, ist dabei nur sekundär. Ignazio Cassis ist vielmehr überzeugt, dass die seit bald siebzig Jahren operierende UNRWA eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts auch erschwert. Unter anderem weil die Illusion aufrechterhalten werde, dass mehr als fünf Millionen Flüchtlinge dereinst in die besetzten Ge- biete zurückkehren könnten.
Gleichzeitig wurde der Besuch des Aussenministers von der Aktualität eingeholt (siehe auch Kasten). Cassis sagt: «Die Verschiebung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem gleicht einem Sprung ins Leere.» Niemand wisse, was die Konsequenzen sind. Zudem stellt er eine Art Muster der amerikanischen Aussenpolitik fest, er spricht von einer «Chronik angekündigter Probleme».
Nebst der Botschaftseröffnung in Jerusalem seien auch die Bombardierung von Syrien und der Rückzug aus dem Atomabkommen mit Iran Beispiele, wie Präsident Donald Trump die Weltpolitik auf eine neue Art beeinflusse. «Eine Art, die für die Weltgemeinschaft ungewohnt ist.» Trump kritisiert er dabei nur indirekt. Cassis will offenlassen, ob dessen Strategie zum Erfolg führt. Klar ist für ihn hingegen, dass die verfahrene Situation aufgebrochen wird, dass dies aber auch das Risiko eines neuen Krieges berge.
Und diese Strategie entspricht der Schweiz freilich nicht. Die Schweiz, die sich für diplomatische Lösungen von Konflikten einsetzt. «Krieg ist für uns immer der falsche Weg», sagt Cassis. «Aber die USA haben hier andere Mittel.» Die Weltgemeinschaft muss sich darauf einrichten.