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Pink-Floyd-Gründer Roger Waters: Konzert in Zürich trotz Kontroversen?

Die dunkle Seite von Pink-Floyd-Sänger Roger Waters

21.10.2022, 14:3702.01.2023, 16:33
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Sind Kunst und die politischen Ansichten des Künstlers per se verflochten? Darf man Kunst unterstützen, wenn die politische Haltung des Künstlers menschenrechtsverletzend ist?

Mit diesen Fragen sieht sich die Schweizer Konzertszene zurzeit konfrontiert. Denn für April 2023 ist ein Konzert mit Pink-Floyd-Gründer Roger Waters im Hallenstadion geplant. Dessen Anti-Israel-Haltung und seine Aussagen über den Ukraine-Krieg sorgten immer wieder für scharfe Diskussionen und provozieren gerade eine Konzertabsage in München.

Aber von Anfang an:

Roger Waters, ein BDS-Anhänger

Der Pink-Floyd-Mitbegründer Waters tat sich seit 2006 öffentlich mehrfach als Anhänger von BDS hervor. BDS ist die Abkürzung für «Boycott, Divestment and Sanctions» («Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen») und der Name einer transnationalen Bewegung.

SAN FRANCISCO, CALIFORNIA - SEPTEMBER 23: Roger Waters performs the music of Pink Floyd during the This is Not a Drill tour at the Chase Center in San Francisco, Calif., on Friday, Sept. 23, 2022. (Ja ...
Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters.Bild: getty

Die Idee ihrer Anhänger ist es, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren, indem an Politiker, Firmen, Künstler, Forscher oder Sportler appelliert wird, ihre Auftritte, Investitionen oder Kooperationen im Zusammenhang mit Israel abzusagen.

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) sagt gegenüber watson, dass er die BDS-Bewegung seit Jahren sehr kritisch betrachte. Dass dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen werde oder dass teilweise dafür geworben werde, israelische Forschende oder Künstler und Künstlerinnen zu boykottieren, sei «eine massive Grenzüberschreitung». Jonathan Kreutner, Generalsekretär des SIG, sagt:

«Darum werden BDS seitens jüdischer Organisationen, von Medien oder von Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft und Politik antisemitische Züge und Handlungsmuster attestiert.»

Sprecher von BDS widersprechen dieser Darstellung des SIG. Weder spreche man Israel das Existenzrecht ab, noch sei man antisemitisch. Im Gegenteil: «BDS lehnt jede Form von Rassismus ab», schreibt die Organisation gegenüber watson. BDS sei eine politische Bewegung, die sich «gegen die systematische und intentionale Diskriminierung der Palästinenser durch Israel» wehre, mit dem Ziel einer gleichberechtigten Gesellschaft.

BDS betont gegenüber watson zudem, dass arrivierte Menschenrechtler, Völkerrechtler, Juristen oder Forschende die Bewegung und Boykott, als Mittel der Wahl, um die eigenen Ziele zu erreichen, für gerechtfertigt und legitim hielten. *

Waters selber äussert sich indes immer wieder gegen Israel. In einem Interview mit dem «Süddeutsche Zeitung Magazin» 2018 zum Beispiel warf er der israelischen Regierung vor, «ethnische Säuberung» durchzuführen. Er bestätigt sogar, dass seine Weltsicht in diesem Punkt schwarz-weiss sei, und ergänzt: «Es gibt die Unterdrückten und die Unterdrücker.» Für Waters liegt alle Schuld bei Israel.

Seine Künstler-Kollegen fordert Waters offensiv auf, nicht in Israel aufzutreten. So geschehen zum Beispiel 2017 bei Nick Cave mittels eines offenen Briefes der Initiative «Artists for Palestine UK».

Auf Kritik stösst auch immer wieder, dass er bei seinen Konzerten Ballone in die Luft steigen lässt, die die Form von Schweinen haben. Mindestens eines davon war mit einem Davidstern verziert. Und der Davidstern ist in erster Linie ein Symbol für das Judentum an und für sich – nicht für den Staat Israel.

Dass der Davidstern, zusammen mit anderen Botschaften und Symbolen, auf diesem Ballon abgebildet ist, ist darum schwierig, da so die Assoziation zur Tiermetapher «Judens**» hergestellt wird. Mit dieser beleidigenden und abschätzigen Bezeichnung wurden seit dem Mittelalter Juden bildsprachlich verhöhnt.

«Roger Waters bespielt immer wieder – auch im Rahmen seiner Konzerte – die Klaviatur antisemitischer Stereotype», sagte Miriam Heigl, Leiterin der Fachstelle für Demokratie der Stadt München, gegenüber der «Süddeutschen Zeitung».

Kreutner vom SIG schreibt watson:

«Es geht in diesem Fall nicht um das übergreifende Werk eines Künstlers. Es geht hier um Aussagen und einzelne Aktionen des Künstlers, die er in der Öffentlichkeit gemacht hat und die aufgrund des Inhalts äusserst kritisch zu bewerten sind.»

Streit in München – bald auch in Zürich?

In der deutschen Stadt München ist die BDS-Bewegung nicht gerne gesehen. Ende 2017 beschloss der Stadtrat, keine Räume mehr an den BDS zu vermieten. Im Januar 2022 scheiterte der Stadtrat allerdings mit dieser Absicht vor dem Bundesverfassungsgericht, da das Gericht feststellte, dass der Beschluss gegen die Meinungsfreiheit verstosse und somit verfassungswidrig sei.

Trotzdem trat Waters 2018 in der Münchner Olympiahalle auf. Der Münchner Oberbürgermeister, Dieter Reiter, sagte damals, dass Waters aufgrund der Tatsache, dass er mit BDS sympathisiere, zukünftig nicht mehr willkommen sei in seiner Stadt. Der Musiker ging daraufhin anwaltlich gegen Reiter vor, wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) schreibt.

epa07038683 Munich's lord mayor Dieter Reiter declares the first keg of beer open during the opening day of the 185th Oktoberfest beer festival in Munich, Germany, 22 September 2018. The Munich B ...
Der Münchner Oberbürgermeister, Dieter Reiter, am Oktoberfest 2018.Bild: EPA/EPA

Nun ist für Mai 2023 ein weiteres Konzert mit Waters in der Olympiahalle in München angesagt. Und der Oberbürgermeister scheint es sich zur Mission gemacht zu haben, das Konzert zu vereiteln.

«Ich kann die Olympiapark GmbH nur bitten, nochmal zu prüfen, ob dieses Konzert tatsächlich stattfinden muss.»

In Hinblick auf das Konzert von Roger Waters in der Schweiz am 24. April 2023 im Hallenstadion stellt Hallenstadion-CEO Philipp Musshafen gegenüber watson klar: «Wir sind nicht der Veranstalter des Konzerts. Wir vermieten nur die Location.» Er ergänzt:

«Solange Veranstaltungen weder strafrechtlich relevant sind, gegen das Gesetz oder unsere in den AGBs festgehaltenen Grundsätze verstossen noch unsere Hausordnung krass verletzen, sehen wir keinen Anlass, gegen Veranstaltungen im Hallenstadion einzuschreiten oder diese nicht zu akzeptieren.»

Stephanie Graetz, Geschäftsleiterin der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, spricht im «Tages-Anzeiger» dezidiert: Man müsse die Konzerttournee jetzt beobachten, und rechtliche Schritte einleiten, sollte sich Waters auf der Bühne rassistisch oder antisemitisch äussern. Der «Tages-Anzeiger» zitiert Graetz: «Ohne Distanzierung von den problematischen Aussagen gibt es keinen Auftritt.»

Ist Waters ein Putin-Sympathisant?

Neben seinen anti-israelischen Kommentaren hat der Musiker in der jüngsten Vergangenheit auch mit Kommentaren zum Ukraine-Krieg irritiert.

So schrieb er zwei offene Briefe an die ukrainische First Lady Olena Selenska. Zwar schreibt Waters, dass er Frieden wolle in der Ukraine, aber er gibt dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine grobe Mitschuld am Krieg:

«Sie haben seither auch eine Reihe von roten Linien überschritten, die von Ihren Nachbarn, der Russischen Föderation, über Jahre hinweg ganz klar festgelegt worden waren, und infolgedessen haben sie, die extremen Nationalisten, Ihr Land auf den Weg zu diesem verhängnisvollen Krieg gebracht.»

Zudem habe Selenskyj als Wahlversprechen angekündigt, den seit 2014 schwelenden Konflikt in der Ukraine zu beenden – und zwar wenn nötig mit einer «Teilautonomie für die Gebiete Donezk und Luhansk», behauptet Waters weiter. Er beendet den offenen Brief an Selenska mit:

«Wäre es nicht besser, die Umsetzung der Wahlversprechen Ihres Mannes zu fordern und diesem tödlichen Krieg ein Ende zu setzen?»

Tatsächlich hat Selenskyj während des Wahlkampfs mehrfach davon gesprochen, dass der Konflikt im Osten der Ukraine unbedingt und mit allen Mitteln beendet werden müsse. Deutschlandfunk analysierte kurz nach der Wahl von Selenskyj zum Präsidenten der Ukraine, dass dies womöglich nur umsetzbar sein werde, wenn Zugeständnisse an Russland gemacht würden. Doch «welcher Art diese Zugeständnisse sein könnten, das ist bisher unklar.»

Nachdem Waters auf den sozialen Medien Kritik entgegengeschlagen war, veröffentlichte er am 25. September einen dritten Brief – diesmal an Putin. Der Brief ist auf Waters' Facebook-Seite nicht mehr abrufbar, das Musik-Magazin NMW archiviert einen Screenshot:

Roger Waters, offener Brief an Putin, Screenshot Facebook
Bild: screenshot NME

Auch in diesem Brief impliziert Waters, dass Russland nur die Sicherheit der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine garantieren wolle. Er macht darum den Lösungsvorschlag: Einen Neutralitätsstatus für die Ukraine aushandeln.

Im Anschluss schreibt er – notabene an Putin gerichtet – dass der Einmarsch Russlands in die Ukraine zwar zu verurteilen sei, dass die USA und die Nato allerdings auch in souveräne Länder einmarschieren würden – für «ein paar Barrel Öl»:

«Ich weiss, ich weiss, die USA und die NATO marschieren in andere souveräne Länder ein, wenn es darauf ankommt, oder für ein paar Barrel Öl. Aber das bedeutet nicht, dass Sie das auch tun sollten, Ihr Einmarsch in die Ukraine hat mich völlig überrascht, es war ein abscheulicher Angriffskrieg, ob provoziert oder nicht.»

Das renommierte Musikmagazin «Rolling Stone» hat mit Waters über seine Aussagen gesprochen. Im Gespräch bedient er sich der Tonalität der Verschwörungsmystiker. Er raunt:

«Ich kann mit dem Wissen leben und nachts schlafen gehen, dass die Geschichte, die von den westlichen Medien verkauft wird, Propaganda ist und nicht der Wahrheit entspricht. Ich kenne die Wahrheit.»

Im Gegensatz zu Waters positionieren sich die übrigen Mitglieder von Pink Floyd klar für die Ukraine. Im April kam die Single «Hey, Hey, Rise Up!» – die erste wirklich neue Pink-Floyd-Aufnahme seit 1994 heraus. Alle Einnahmen unterstützen die Ukraine.

Das sagt Roger Waters

Waters' Meinung ist klar und zeigt sich im Einspieler, der vor seinen Shows über die Screens flackert:

«Wenn du zu den Leuten gehörst, die sagen: ‹Ich liebe Pink Floyd, aber ich kann Rogers Politik nicht ausstehen›, dann solltest du dich am besten gleich an die Bar verpissen.»

An anderer Stelle blendet er ein:

«You can't have occupation and human rights.»

Der Veranstalter des Konzerts in der Schweiz, die Gadget abc Entertainment Group AG, hat noch nicht auf die Anfrage reagiert, wie viele Tickets für das Konzert in der Schweiz bereits verkauft wurden.

Soll Roger Waters in Zürich auftreten?
* Transparenzhinweis: Das Statement von BDS wurde am 2. Januar 2023 ergänzt.
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214 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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azoui
21.10.2022 15:28registriert Oktober 2015
Wer den Staat Israel kritisiert, ist noch lange kein Antisemit.
Wer dem Statt Israel jedoch die Existenz abspricht, ist ein grosser Depp.
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Jürg Aeschbach
21.10.2022 15:13registriert Mai 2018
Pink Floyd hatten in den 60 bis Ende 80ziger eine gewaltige Mystk. Danach wurde es mit Waters nur noch wirr und ist Heute leider nur noch ein verbitterter frustrierter alter Mann. Ein Mann der mehrfach verheiratet war und sich mit seinen Bandkollegen bis heute zerschnitten hat. Dieser Mann will wissen was richtig ist im Ukraine Konflikt? Er hat längst auch Diktatorische Züge angenommen!
Ich habe Waters stets für seine Musik bewundert. Schade er hat meinen Respekt verloren!
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Patho
21.10.2022 15:26registriert März 2017
Man darf, soll und muss einen Staat kritisieren können, wenn dieser Scheisse baut.
Man darf, soll und muss Religionen kritisieren können, wenn diese Grenzen des Tolerierbaren überschreiten.
Man darf, soll und muss mit dem Finger darauf halten können, wenn Religionen für politische Zwecke missbraucht werden.
Man darf aber nicht auf den Menschen zielen, WEIL dieser eine bestimmte Religion ausübt. Man ist nicht "scheisse", weil man Jude ist (DAS wäre Antisemitismus), man mag aber "scheisse" sein, wenn man unter dem Deckmäntelchen der Religion Dinge tut, die schlicht nicht okay sind...
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