Zolgensma wurde entwickelt, um Leben zu retten und Folgebehandlungen der seltenen Krankheit spinale Muskelatrophie (kurz SMA) zu mindern. Doch Zolgensma ist nicht nur ein Arzneimittel, mittlerweile ist es zum Politikum geworden.
Denn eine Spritze des Medikamentes, das vom Pharmariesen Novartis hergestellt wird, kostet 2,1 Millionen Dollar. Somit ist Zolgensma das teuerste Medikament der Welt.
Seit Beginn seiner Zulassung sorgt Zolgensma regelmässig für Gesprächsstoff. Die Frage, die dabei immer wieder aufkommt: Darf ein lebensrettendes Arzneimittel so viel Geld kosten?
Kürzlich bestätigte Novartis den Tod zweier Kinder, die nach der Behandlung mit Zolgensma an akutem Leberversagen gestorben sind. In der Mitteilung hiess es, dass der Pharmakonzern weiterhin an das «insgesamt günstige Nutzen-Risiko-Profil» glaube. Es sind laut Novartis die ersten tödlichen Fälle von akutem Leberversagen nach Behandlung mit dem Medikament. Weltweit seien bereits 2300 Patienten im Rahmen von klinischen Studien erfolgreich mit der Gentherapie behandelt worden.
Dass die Gentherapie Leberversagen auslösen kann, war den Herstellern bekannt. Doch dass sie tödlich enden kann, ist neu. Dies dürfte die Diskussionen um Zolgensma erneut anheizen.
Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir nachgefragt, wie viel die Entwicklung von Zolgensma gekostet hat, wie lange es im Schnitt dauert, bis ein Medikament auf den Markt kommt – und ob der Medikamentenpreis vertretbar ist.
Zolgensma wird zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA), einer Erbkrankheit, eingesetzt. SMA gehört mit einer Inzidenz von 1:10'000 Geburten zu den seltenen genetischen Erkrankungen.
Unbehandelt führt SMA meist frühzeitig zum Tod. Denn ohne Behandlung werden die Muskeln der Betroffenen so stark geschwächt oder verkrümmt, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Das führt zum Verlust der Bewegungsfreiheit und zu Schwierigkeiten beim Atmen, Schlucken und Sprechen.
Zolgensma enthält genetisch veränderte Organismen, es handelt sich darum um ein sogenanntes «gentherapeutisches» Arzneimittel. Bei Kindern, die an der Krankheit spinale Muskelatrophie leiden, fehlt dieses Gen – oder es ist verändert.
Das Präparat liefert eine Kopie zu diesem fehlenden oder veränderten Gen. Der Körper kann danach genügend SMN-Protein produzieren. Denn dieses Protein ist wichtig, dass Motoneuronen (Nervenzellen zur Kontrolle der Muskeln) nicht absterben.
Das Medikament wird einmalig und mithilfe einer Spritze in eine Vene verabreicht. Die Verabreichung der intravenösen Infusion dauert circa 60 Minuten. Die Menge an Zolgensma hängt vom Gewicht des Kindes ab.
Im Rahmen der Behandlung werden dem Patienten danach während etwa zwei Monaten täglich sogenannte Kortikosteroide (starke Entzündungshemmer) verschrieben.
Die beiden tödlichen Fälle von akutem Leberversagen traten in Russland und Kasachstan auf. Sie ereigneten sich fünf bis sechs Wochen nach der Infusion von Zolgensma und in einem Zeitraum von einem bis zehn Tagen nach Beginn der Kortikosteroid-Behandlung, sagt Novartis gegenüber watson.
Leberversagen sei eine bekannte Nebenwirkung. Dies stehe so auch in den Warnhinweisen, teilt Novartis mit. Entsprechende unerwünschte Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Medikament traten bei klinischen Studien auf, tödlich endeten die Fälle aber nie.
In der Mitteilung von Novartis heisst es, dass der Pharmakonzern weiterhin an das «insgesamt günstige Nutzen-Risiko-Profil» glaube.
Laut Einschätzungen der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK könne man derzeit noch keine qualifizierten Aussagen über die zwei Todesfälle machen. Die Einzelfälle müsse man nun genauer anschauen.
Nein. Allerdings wird der Pharmakonzern gemäss Anfrage die Kennzeichnung der Nebenwirkung nun aktualisieren, um darauf hinzuweisen, dass akutes Leberversagen mit Todesfolge gemeldet wurde.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat Zolgensma 2019 für den US-Markt zugelassen. 2022 folgte die Zulassung durch das Europäische Arzneimittelregulierungssystem (EMA). Für nächstes Jahr hat auch die Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic für Zolgensma grünes Licht gegeben.
Novartis rechtfertigt den Preis mit der Einmaligkeit des Präparats. Es gibt zwar einige wenige Alternativmedikamente, doch Zolgensma ist die einzige SMA-Behandlung, die direkt auf die genetische Ursache der Krankheit abzielt. Und: Die Gentherapie muss nur einmal verabreicht werden, während andere Präparate ein ganzes Leben lang eingenommen werden müssen.
Novartis sagt:
Neben den Vorteilen für die Patienten rechtfertigt der Hersteller Novartis den Preis auch damit, dass Zolgensma auch den Gesundheitssystemen zugutekomme. Denn: Durch die einmalige Behandlung könnten im Vergleich zu lebenslangen Behandlungen Kosten eingespart werden.
Laut Angaben von Novartis liegt der Preis unter den 10-Jahres-Behandlungskosten für die derzeitigen Standardbehandlungen von chronischer SMA.
Ein Posten, der in den Preis mit einfliesst, sind die Kosten der Entwicklung des Medikaments. Bis zur Zulassung durch die FDA im Mai 2019 habe Novartis mehr als 1 Milliarde US-Dollar in die Entwicklung von Zolgensma investiert.
Dazu gehören neben den Forschenden verschiedene klinische Entwicklungsprogramme, die Lizenzierung bestimmter Technologien sowie der Bau von Produktionsanlagen, welche den Vorschriften der FDA entsprechen müssen.
Zolgensma ist die einzige SMA-Behandlung, die direkt auf die genetische Ursache der Krankheit abzielt, indem sie die Funktion des fehlenden oder nicht funktionierenden SMN-Gens mit einer einzigen einmaligen Dosis ersetzt.
Alle anderen zugelassenen SMA-Therapien setzen an einem Ersatzgen (SMN2) an, um die Menge des SMN-Proteins zu erhöhen. Sie erfordern wiederholte Verabreichungen für den Rest des Lebens des Patienten.
Die gesetzlichen Anforderungen bis zur Markteinführung eines Medikamentes sind hoch. Im Durchschnitt dauert es 12 Jahre, bis ein neues Medikament entwickelt wird, teilt uns Interpharma, der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, mit.
Bei seltenen Krankheiten nimmt der Prozess von der klinischen Prüfung bis zur Zulassung noch mehr Zeit in Anspruch: im Durchschnitt vier Jahre länger als bei nicht-seltenen Krankheitsbildern.
Durchschnittlich liegen die Entwicklungskosten bei 2,6 Milliarden Schweizer Franken – also etwas höher, als bei Zolgensma investiert wurde. Dabei fallen fast 50 Prozent der Kosten im Bereich der klinischen Forschungen an.
«Medikamentenpreise sind keine Marktpreise», sagt Interpharma. In der Schweiz und den meisten anderen Ländern legen die Behörden (hierzulande das BAG) die Arzneimittelpreise nach gesetzlichen Vorgaben fest und überprüfen sie in regelmässigen Abständen.
Medikamentenpreise werden nach den jeweils gültigen Gesetzen und staatlich per Verfügung festgelegt und variieren demnach von Land zu Land.
Zur Preisermittlung eines Medikaments zieht das BAG in einem therapeutischen Quervergleich (TQV) zunächst die Behandlungskosten bereits zugelassener Arzneimittel für die Behandlung derselben Krankheit heran. Daraufhin wird der Auslandpreisvergleich (APV) durchgeführt. Im Preisvergleich mit dem Ausland werden Länder berücksichtigt, die mit der Schweiz im Pharmabereich wirtschaftlich vergleichbar sind.
Alle drei Jahre wird jedes Medikament einer erneuten Preisüberprüfung durch das BAG unterzogen. Ob eine Preissenkung infrage kommt, darüber entscheidet das Bundesamt für Gesundheit auf Empfehlung der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK). In der EAK sind alle wichtigen Anspruchsgruppen vertreten (Ärzte, Apotheker, Kantone, Swissmedic, Krankenversicherer, Versicherte, Fakultäten, Spitäler und Pharmaindustrie).
Der Preis der Gentherapie dürfte laut Schätzungen der Nationalen Ethikkommission aber weiterhin hoch bleiben.
Interpharma möchte im spezifischen Fall von Zolgensma keine Stellung nehmen. Generell sei die Entwicklung neuer Medikamente ein riskantes Unterfangen, das mit einem hohen Ausfallrisiko verbunden sei. Denn: Die enormen Investitionskosten stehen einer Erfolgs- und Zulassungsquote von nur rund fünf Prozent entgegen – 95 Prozent der Forschung kommen demnach nicht zu einem erfolgreichen Ende.
«Es ist wichtig, dass dieses hohe Risiko im Erfolgsfall finanziell honoriert wird, damit einerseits weiterhin Risikokapital in diesen Bereich fliesst und andererseits auch die Kosten der nicht erfolgreichen Forschung kompensiert werden können», schreibt Interpharma.
So sieht es auch das Institute for Clinical and Economic Review. Die unabhängige Non-Profit-Organisation wertete den Preis des aktuell teuersten Medikaments der Welt als vertretbar ein, da es Leben rettet und die Lebensqualität der betroffenen Familien stark verbessert.
Und auch für die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK ist der Preis nachvollziehbar, da die Gentherapie auf dem Markt derzeit einmalig sei, nur wenig angewendet werde, da nur wenige von der Krankheit betroffen sind und Alternativen lebenslang angewendet werden müssten.
Grundsätzlich werte NEK den Preis eines Medikamentes als gerecht, wenn man schaue, wie hoch der Zusatznutzen ist. Im Falle von Zolgensma sei dieser Nutzen fantastisch hoch.
Vielmehr sollte aus Sicht der Kommission über andere teure Medikamente gesprochen werden, welche von vielen Menschen angewendet werden und derentwegen selbst wohlhabende Länder wie die Schweiz an ihre finanziellen Grenzen kommen.
Andere Medikamente machen da viel mehr aus. Aber auch nur Sonnencreme, Shampoos, etc. sind viel zu teuer in der Schweiz. Deshalb sollte der Bund Parallelimporte für alles (auch Pharma) erlauben. Mehr Konkurrenz wird zu sinkenden Preisen führen.
Unbehandelt führt SMA meist frühzeitig zum Tod.
Natürlich lässt sich jetzt vorzüglich darüber streiten, ob Novartis mit diesem Medikament Geld verdienen soll und wieviel.
Grundsätzlicher wäre aber die Frage: Wie viel darf ein Leben kosten?
Doch das lässt sich nur schwer an einer Zahl festmachen. Über kurz oder lang werden wir an der Fragedtellung jedoch nicht vorbeikommen.