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Südkorea

4B-Bewegung: Wieso Südkoreanerinnen nicht mehr heiraten wollen

SEOUL CITY;SOUTH KOREA - AUGUST 25: 20,000 couples join in a Mass Wedding at Seoul Olympic Stadium on August 25, 1992 in Seoul,South Korea. (Photo by Kurita KAKU/Gamma-Rapho via Getty Images)
Massenhochzeit mit 20'000 Menschen in Südkorea im Jahr 1992.Bild: Gamma-Rapho

Keine Männer, kein Sex, keine Kinder: Wieso sich Südkoreanerinnen gegen die Ehe auflehnen

In Südkorea weigern sich Feministinnen seit Jahren, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Das steckt dahinter.
23.03.2024, 17:3525.03.2024, 12:51
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Sexismus ist in Südkorea tief verwurzelt. Von den Frauen wird erwartet, dass sie nicht arbeiten, früh heiraten und Kinder bekommen. Wenn sie dieser Erwartung nicht entsprechen, werden sie als minderwertig in der Gesellschaft angesehen. Seit Jahren lehnen sich nun die Feministinnen des Landes gegen die Unterdrückung auf – und nutzen dazu jetzt auch TikTok.

Im Jahr 2016 wurden die Umstände in Südkorea von Cho Nam-Joo in ihrem Roman «Kim Jiyoung, geboren 1982» beleuchtet. Das Buch wurde zum internationalen Bestseller und sorgte für ein erstes Aufhorchen. Es erzählt die fiktive, aber sehr alltagsnahe Geschichte von Kim Jiyoung. Diese wird Mutter, Hausfrau und schliesslich depressiv – immer begleitet vom zermürbenden Sexismus der koreanischen Gesellschaft.

Im selben Jahr wurde in Südkorea eine Frau in einer U-Bahnstation brutal von einem Mann ermordet. Daraufhin entbrannten Proteste. Südkoreanerinnen machten die frauenfeindliche Gesellschaft im Land dafür verantwortlich. Die allgemeine Frustration und das weltweite #MeToo-Movement führte dann schlussendlich zur sogenannten 4B-Bewegung in Südkorea.

SEOUL, SOUTH KOREA - OCTOBER 06: (SOUTH KOREA OUT) South Korean women protest against sexism and hidden camera pornography on October 6, 2018 in Seoul, South Korea. Thousands of women rallied in South ...
Frauen protestieren in Südkorea gegen Sexismus.Bild: Getty Images AsiaPac

Kein Sex, keine Kinder, keine Ehe

Die 4B-Bewegung ist eine radikalfeministische Initiative, die im Jahr 2019 entstand. Die vier B's bedeuten: Bihon (Nein zur heterosexuellen Ehe), Bichulsan (Nein zum Kinderkriegen), Biyeonae (Nein zum Dating von Männern) und Bisekseu (Nein zu Sex mit Männern). 2019 soll die Bewegung 4000 Mitglieder gehabt haben. Heute ist die genaue Zahl undefiniert, man geht jedoch von einer Spanne von 5000 bis 50'000 Teilnehmerinnen aus.

Die Bewegung zeigt sich in vielen Bereichen.Immer mehr junge Frauen verzichten auf Make-up und schneiden sich die Haare kurz, um gegen das Schönheitsideal im Land vorzugehen. So wird von Frauen in Südkorea erwartet, dass sie sich für ihren Partner schön machen. Dazu gehören Haare und Make-up, aber manchmal auch Schönheitseingriffe.

Fertilitätsrate sinkt weiterhin

Die Proteste führten dazu, dass die Fertilitätsrate in Südkorea weiterhin sinkt. Im Jahr 2008 bekamen noch 62 Prozent der Frauen Kinder. 2018 sank diese auf 44 Prozent. 1950 gebaren die Frauen in Südkorea durchschnittlich 5,97 Kinder, letzten Monat waren es 0,71. Somit liegt südkoreanische Fruchtbarkeitsrate weit unter dem Wert von 2,1 pro Frau, der nötig wäre, damit die Bevölkerungszahl stabil bleibt. So ist Südkorea laut «SRF» das Land mit der geringsten Fertilitätsrate. Zudem machen allein lebende Menschen ein Drittel der Haushalte aus.

Die Proteste finden offline, wie auch online statt. Auf TikTok gibt eine ganze Nische von Frauen, die über die 4B-Bewegung berichten. «Koreanische Frauen sind so frustriert von den Männern, dass sie lieber aussterben, als zu heiraten», sagt etwa die koreanische Creatorin Jeanine in einem ihrer Videos.

@denimchromosome also hilarious that the govt thinks just throwing money at pregnant ppl is gonna fix the problem instead of addressing the cutthroat lvls of competition, insane housing prices, misogyny, and the worst gender gap in OCED 😌 #fypシ #korea #4b ♬ original sound - jeanie 🍉

Der Clip hat fast fünf Millionen Aufrufe und viele in den Kommentaren unterstützen sie. «Wir Frauen in Südafrika brauchen diese Bewegung auch», schreibt etwa eine Userin, während eine andere meint:

«Respekt an alle Frauen, die protestieren!»

«Gebärmutterproteste»

Viele Frauen, die sich öffentlich zur Bewegung äussern, bekommen aber auch starke Gegenreaktionen. Der Feminismus wird als «Gebärmutterprotest» bezeichnet und Creatorinnen online gemobbt.

Trotzdem beginnen die Auflehnungen erste Früchte zu tragen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters hat die Regierung eine Reihe kostspieliger Massnahmen ergriffen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Darunter die Verbesserung der Elternurlaubsregelungen und das Angebot von Fruchtbarkeitsbehandlungen für Paare und alleinstehende Frauen. Alleinerziehende Mütter dürfen zudem ihre Kinder mit ihrem Nachnamen registrieren lassen, um die Stigmatisierung zu verringern, mit der unverheiratete Frauen häufig konfrontiert sind.

Ein Ende der Auflehnung ist aber trotzdem nicht zu erwarten. Wie Expertinnen und Experten laut ntv meinen, reicht diese Finanzspritze allein nicht. So müsse die Regierung bei ihren Programmen nicht so sehr die Geburtenrate im Blick haben, sondern sich mehr um das Leben der jungen Menschen kümmern.

Geburtenrate sinkt auch in der Schweiz
Dieser Trend gibt es übrigens auch in der Schweiz. So wollen immer mehr Menschen keinen Nachwuchs mehr. Wie die Zahlen des Bundesamts für Statistik Ende 2023 zeigte, gab es 2022 82'371 Lebendgeburten in der Schweiz, im Jahr davor waren es 89'644. Junge Menschen entscheiden sich unter anderem wegen der aktuellen Weltlage und der Klimakrise gegen die Familiengründung.
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117 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ichsagstrotzdem
23.03.2024 18:25registriert Juni 2016
Ich finds mutig und eine gute Entwicklung.
Sozusagen der Gegenpol zu den tradwives. Wird ja auch Zeit, dass der Mensch andere Lebensziele als die eigene Fortpflanzung entdeckt (bei 8 Mia. menschen auf diesem Planeten).
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Yunnan
23.03.2024 18:24registriert Oktober 2019
Naja, fehlende Frauenrechte sind sonst eher ein Faktor für eine hohe Geburtenrate. In Ostasien haben Frauen einen ähnlichen beruflichen Leistungsdruck wie Männer. Das und die fehlenden Institutionen wie Elternurlaub etc haben die tiefe Geburtenrate zur Folge.
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Mama Jo
23.03.2024 22:07registriert November 2022
Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Frau in Südkorea, die ein paar wenige Pfund mehr als das Schönheitsideal (also superdünn und zierlich) hat, im Restaurant von Fremden darauf hingewiesen wird, nicht zu viel zu essen. Eine einzelne Frau beim Essen wird fast sicher mit sexistischen Sprüchen eingedeckt, von Männern an den Nachbartischen. Mitten am Tag und nicht etwas im Ausgang in einer berüchtigten gefährlichen Strasse.
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