Die Türkei hat nach Luftangriffen und Artilleriefeuer gegen kurdische Milizen in Nordsyrien nun auch mit einer Bodenoffensive begonnen. Das bestätigte das türkische Verteidigungsministerium in Ankara am späten Mittwochabend über Twitter.
«Unsere heldenhaften türkischen Streitkräfte und die Nationale Syrische Armee haben im Rahmen der »Operation Friedensquelle« ihre Bodenoffensive im Osten des (Flusses) Euphrat begonnen», hiess es im Text. Mit der Nationalen Syrischen Armee sind von der Türkei unterstützte syrische Rebellen gemeint. Wo die Soldaten die Grenze überquerten und wie viele Truppen verlegt wurden, blieb zunächst unklar.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte den Start des lange geplanten Militäreinsatzes am Mittwochnachmittag per Twitter bekanntgegeben. Ziel der Offensive ist die kurdische YPG-Miliz, die auf syrischer Seite der Grenze ein grosses Gebiet kontrolliert. Die Türkei sieht in ihr einen Ableger der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit eine Terrororganisation.
Erdogan schrieb am Nachmittag auf Twitter: «Unser Ziel ist, den Terrorkorridor, den man an unserer südlichen Grenze aufbauen will, zu zerstören und Frieden und Ruhe in die Region zu bringen.»
Am Nachmittag und Abend waren die türkischen Streitkräfte mit Luftangriffen und Artilleriefeuer zunächst vor allem an zwei Standorten vorgegangen: Tal Abad und Ras al-Ain. Ras al-Ain liegt gegenüber dem türkischen Ort Ceylanpinar in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa. Tal Abiad liegt nahe der türkischen Grenzstadt Akcakale.
In den ersten Stunden der Angriffe, die um 16 Uhr Ortszeit begannen, seien mindestens 15 Menschen getötet worden, sagten Aktivisten. Unter den acht zivilen Opfern seien auch zwei Kinder, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Bei den anderen Toten handele es sich um Kämpfer der von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Die Menschenrechtler berichteten zudem von mehr als 40 Verletzten, darunter 13 Zivilisten.
Die Offensive türkischer Truppen auf Kurdengebiete in Nordsyrien hat nach Augenzeugenberichten die Flucht Tausender Menschen ausgelöst. Massen von Zivilisten würden die Stadt Tel Abyad, die auf der syrischen Seite der Grenze genau gegenüber der türkischen Stadt Akcakale liegt, verlassen, sagte ein Zeuge am Telefon.
Auch aus der ebenfalls unmittelbar an der Landesgrenze gelegenen Stadt Ras al Ain flohen Tausende Menschen. Nach SDF-Angaben wurden bei Luftangriffen mindestens fünf Zivilisten und drei SDF-Kämpfer getötet, Dutzende Menschen seien verletzt worden.
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete heftige Kämpfe zwischen türkischen Truppen und Einheiten der von Kurdenmilizen angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) am Eingang und in der Umgebung der Stadt Tall Abjad nahe der türkischen Grenzstadt Akcakale.
Der Sprecher der SDF, Mustafa Bali, wies Meldungen syrischer Rebellen zurück, wonach diese gemeinsm mit der türkischen Armee in Tall Abjad eingerückt seien. Die Angriff der türkischen Kräfte am Boden sei zurückgeschlagen worden, schrieb er auf Twitter.
Bali erklärte über Twitter auch, die türkische Armee habe die Umgebung eines Gefängnisses beschossen, in dem die «gefährlichsten Dschihadisten» der IS-Terrormiliz festgehalten würden. Die SDF-Truppen hatten bei ihren Operationen gegen die Extremisten Tausende IS-Anhänger gefangen genommen.
Die Offensive löste international scharfe Kritik aus. Senatoren im US-Kongress bereiteten eine parteiübergreifende Resolution für Sanktionen gegen die Türkei vor. Viele Regierungen und internationale Institutionen drangen auf einen sofortigen Stopp der Offensive.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas sagte in Berlin: «Die Türkei nimmt damit in Kauf, die Region weiter zu destabilisieren und riskiert ein Wiedererstarken des IS.» Es drohe eine weitere humanitäre Katastrophe sowie eine neue Fluchtbewegung.
Auch die EU-Staaten haben die Türkei in einer gemeinsamen Erklärung zum Abbruch der Militäroffensive aufgefordert. «Erneute bewaffnete Auseinandersetzungen im Nordosten werden die Stabilität in der ganzen Region weiter untergraben, das Leiden der Zivilisten verschlimmern und zusätzliche Vertreibungen provozieren», heisst es in dem am Mittwochabend veröffentlichten Text. Die Türkei gefährde zudem die Erfolge der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, die Türkei müsse sicherstellen, dass ihr Vorgehen verhältnismässig und massvoll sei. Er will am Freitag in Istanbul mit Präsident Erdogan zusammenkommen und auch über die Militäroffensive sprechen.
Zu Vorhaltungen aus der eigenen Partei, einige inhaftierte Kämpfer des islamischen Staats (IS) könnten im Chaos der türkischen Angriffe entkommen und woanders eine Bedrohung darstellen, spielte Trump eine Gefahr für die USA herunter. «Nun, sie werden nach Europa fliehen. Dort wollen sie hin», sagte er am Mittwoch.
Senator Lindsey Graham – einer der engsten Vertrauten von Trump im Kongress und Republikaner wie er – hatte den Präsidenten offen kritisiert: «Dies ist die Mentalität vor dem 11. September, die den Weg für den 11. September ebnete: Was in Afghanistan passiert, geht uns nichts an. Wenn er damit weitermacht, ist dies der grösste Fehler seiner Präsidentschaft», sagte Graham dem Sender «Fox News» mit Blick auf die Angriffe von Islamisten in den USA mit vier gekaperten Flugzeugen im Jahr 2001.
America is better than this. Please stand up to Turkey, Mr. President.
— Lindsey Graham (@LindseyGrahamSC) October 9, 2019
US-Präsident Donald Trump hatte dem türkischen Einmarsch am Mittwoch mit dem Rückzug von US-Truppen aus dem syrischen Grenzgebiet zur Türkei den Weg geebnet. Angefeuert durch die internationale Kritik, sieht sich Trump gezwungen, seine Entscheidung zu verteidigen.
Mit einem seltsamen historischen Vergleich hat US-Präsident Donald Trump den Abzug von US-Soldaten aus Nordsyrien verteidigt: Die jetzt von einer türkischen Militäroffensive betroffenen Kurden hätten die USA schliesslich nicht im Zweiten Weltkrieg unterstützt.
«Sie haben uns nicht im Zweiten Weltkrieg geholfen, sie haben uns beispielsweise nicht mit der Normandie geholfen», sagte Trump am Mittwoch in Washington. Die Kurden würden vielmehr für «ihr Land» kämpfen.
Der US-Präsident verwies bei seiner Argumentation auf einen «sehr, sehr starken Artikel» vom Mittwoch. Offenbar meinte Trump damit einen Kommentar auf der konservativen Website Townhall, in dem seine Entscheidung zum Abzug der US-Truppen aus Nordsyrien verteidigt wurde.
Trump hat sich gegen die Kritik aus der eigenen Partei verteidigt und drohte Erdogan am Mittwoch mit ökonomischen Konsequenzen, sollte dieser in Syrien nicht «so human wie möglich» vorgehen. Er äusserte sich nicht dazu, wie er das definieren würde.
Auf die Frage eines Reporters, ob er besorgt sei, dass Erdogan die Kurden «auslöschen» könnte, antwortete Trump: «Wenn das passiert, werde ich seine Wirtschaft auslöschen.» Die Strafen gegen die Türkei würden dann weit über Sanktionen hinausgehen.
Senatoren im US-Kongress wollen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan persönlich mit Sanktionen belegen. Das geht aus dem Entwurf für eine parteiübergreifende Resolution der Senatoren Lindsey Graham (Republikaner) und Chris Van Hollen (Demokraten) hervor, den Graham am Mittwoch auf Twitter veröffentlichte.
Der Entwurf sieht vor, dass etwaiger Besitz Erdogans, des türkischen Vizepräsidenten und mehrerer Minister in den USA eingefroren würde. Ausserdem würden Visabestimmungen für die politische Führung des Landes verschärft.
I am pleased to have reached a bipartisan agreement with Senator @ChrisVanHollen on severe sanctions against Turkey for their invasion of Syria.
— Lindsey Graham (@LindseyGrahamSC) October 9, 2019
While the Administration refuses to act against Turkey, I expect strong bipartisan support. pic.twitter.com/Ph5fIVt7k3
Das US-Militär hat angesichts des türkischen Einmarschs in Nordsyrien mehrere Kämpfer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) aus den Händen der Kurdenmilizen übernommen.
Trump sagte am Mittwoch im Weissen Haus, die USA hätten wegen des türkischen Einmarschs einige der gefährlichsten IS-Kämpfer in ihre Obhut genommen und «herausgebracht».
Trump kritisierte erneut, dass sich europäische Staaten wie Deutschland und Frankreich geweigert hätten, eigene Staatsbürger zurückzunehmen, die als IS-Kämpfer in Syrien gefangen genommen worden waren. Er deutete an, dass diese Kämpfer «nach Europa fliehen» würden, falls sie freikommen sollten. (mim/sda/afp/reu/dpa)
Arneis
Was für ein Idiot.
Franz v.A.
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