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Terrorismus

Bis zu 100 Tote bei Anschlag auf Friedensmarsch in Ankara: «Ihr seid Mörder, an euren Händen klebt Blut.»

Bis zu 100 Tote bei Anschlag auf Friedensmarsch in Ankara: «Ihr seid Mörder, an euren Händen klebt Blut.»

10.10.2015, 22:0511.10.2015, 10:37
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Drei Wochen vor der Parlamentswahl in der Türkei sind bei einem Bombenanschlag am Samstag in Ankara mindestens 86 Menschen getötet worden – die Kurdenpartei HDP geht von 97 Todesopfern aus. Bei dem Doppelanschlag auf eine regierungskritische Friedensdemonstration wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums ausserdem mindestens 186 Menschen verletzt. Die HDP war nach eigener Einschätzung Ziel des Terroraktes und machte der politischen Führung des Landes schwere Vorwürfe.

«Das ist kein Angriff auf die Einheit unseres Landes oder dergleichen, sondern ein Angriff des Staates auf das Volk», sagte der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas. «Ihr seid Mörder. An Euren Händen klebt Blut.»

So friedlich waren diese Demonstranten, als hinter ihnen eine Bombe hochging (auf dem Video sind KEINE Toten oder Verletzten zu sehen).
YouTube/Al Jazeera Turk

Demirtas kritisierte, die AKP-Regierung habe weder den Anschlag auf pro-kurdische Aktivisten im Juli im südtürkischen Suruç noch jenen auf eine HDP-Wahlveranstaltung im Juni in der Kurdenmetropole Diyarbakir aufgeklärt.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte: «Ich verurteile diesen abscheulichen Angriff zutiefst, dessen Ziel die Einheit, Solidarität und der Frieden unseres Landes gewesen ist.» Erdogan versprach eine Aufklärung des Anschlags, zu dem sich zunächst niemand bekannte.

Wahrscheinlich Selbstmordattentäter

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte: «Es gibt sehr starke Hinweise darauf, dass dieser Anschlag von zwei Selbstmordattentätern verübt worden ist.»

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Bild: Getty Images Europe

Als mögliche Urheber der Tat nannte Davutoglu die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und zwei linksextremistische Terrorgruppen. Anschläge der PKK auf eine pro-kurdische Demonstration wie die in Ankara erscheinen allerdings unwahrscheinlich. Die Gewalt zwischen der PKK und der Regierung eskaliert seit Juli.

Tausende demonstrieren gegen Erdogan

Nach dem Anschlag in Ankara demonstrierten am Samstagabend in der Millionenmetropole Istanbul Tausende Menschen gegen die Regierung. Sie skandierten «Dieb – Mörder – Erdogan».

In Sprechchören wurde die in der Türkei verbotene kurdische Arbeiterpartei zu Vergeltungsaktionen aufgefordert. «Rache – PKK», riefen Teilnehmer. Internetnutzer berichteten, der Zugang zu sozialen Medien wie Twitter sei erschwert oder ganz unmöglich.

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Bild: STRINGER/TURKEY/REUTERS

PKK stoppt alle Guerilla-Aktionen

Die PKK allerdings rief am Samstag nach den Explosionen von Ankara ihre Kämpfer auf, alle Guerilla-Aktionen in der Türkei auszusetzen. Dies solle dabei helfen, eine faire und gerechte Wahl zu ermöglichen. Bereits vor einigen Tagen hatte es Hinweise auf diese Entscheidung gegeben.

Laut Innenministerium ereigneten sich die beiden Explosionen um 10.04 Uhr (Ortszeit/09.04 MESZ) vor dem Hauptbahnhof in Ankara. Die HDP und andere regierungskritische Gruppen hatten Demonstrationsteilnehmer dazu aufgerufen, sich ab 10.00 Uhr am Bahnhof zu versammeln.

Auf Bildern waren Leichen zu sehen, die mit Flaggen und Bannern unter anderem der HDP bedeckt waren. Ein Video zeigt, wie junge Demonstranten tanzen, als hinter ihnen eine der Bomben detoniert. Die HDP teilte mit, Polizisten seien erst nach 15 Minuten am Anschlagsort eingetroffen und hätten dann Tränengas gegen Menschen eingesetzt, die Verletzten helfen wollten.

Anschlag verurteilt

Mehrere Länder, darunter die Schweiz, verurteilten den Anschlag. Die EU rief die türkische Gesellschaft zur Geschlossenheit auf. Die USA und Iran sprachen von Terrorismus.

Bei der Parlamentswahl am 7. Juni war es der HDP als erster pro-kurdischer Partei jemals gelungen, ins Parlament in Ankara einzuziehen. Dadurch verfehlte die Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit.

Nachdem Koalitionsgespräche gescheitert waren, rief Erdogan für den 1. November Neuwahlen aus. Die Opposition warf Erdogan vor, mit diesen Wahlen eine ausreichende AKP-Mehrheit für ein Verfassungsreferendum erzielen zu wollen. Erdogan will die Verfassung ändern, um ein Präsidialsystem mit sich selber an der Spitze einführen zu können. (sda/dpa/reu/afp)

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