Die prokurdische Oppositionspartei HDP in der Türkei wehrt sich gegen ein drohendes Verbot und wirft der Regierung eine Abschaffung der Demokratie vor.
Die türkische Führung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan betreibe seit Jahren eine «Gewalt- und Unterdrückungspolitik» gegen die Partei, sagte die Co-Parteichefin der zweitgrössten Oppositionspartei, Pervin Buldan, am Donnerstag in Ankara.
Ihr Co-Vorsitzender Mithat Sancar sagte, das wahre Ziel des Verbotsantrags sei die Abschaffung der Hoffnung auf Demokratie und die «Institutionalisierung des Faschismus». Die USA und die Europäische Union reagierten besorgt.
Die türkische Führung übt immer wieder Druck auf die Oppositionspartei aus. Am Mittwoch folgte der grösste Schlag seit Langem gegen die Partei – die Ereignisse überschlugen sich: HDP-Politiker Ömer Faruk Gergerlioglu – bekannt für seinen unermüdlichen Einsatz für Menschenrechte – verlor sein Mandat als Abgeordneter wegen eines rechtskräftigen Urteils.
Kurz darauf beantragte der von Erdogan eingesetzte Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs unter anderem wegen Terrorvorwürfen beim Verfassungsgericht das Verbot der HDP. Präsident Erdogan wirft der HDP vor, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein, was die HDP zurückweist.
Der Generalstaatsanwalt verlangte zudem ein fünfjähriges Politikverbot für mehr als 680 HDP-Politiker, unter anderem für die Parteichefs Buldan und Sancar sowie für den seit 2016 inhaftierten ehemaligen Vorsitzenden Selahattin Demirtas. Damit dürfte im Fall eines Verbots eine Parteineugründung unter neuem Namen erschwert werden.
Das Verfassungsgericht muss die Klage noch annehmen. Am Ende entscheidet das Gremium Anadolu zufolge mit einer Zweidrittelmehrheit – es müssten also 10 von 15 Richtern für ein Verbot stimmen. Statt die Partei komplett zu schliessen, kann das Gericht der Partei auch staatliche Unterstützung entziehen.
Die aktuellen Entwicklungen werfen auch einen Schatten auf Erdogans angekündigte Reformpolitik. Der 67-Jährige strebt eine Annäherung an den Westen an, die unter anderem mit der wirtschaftlichen Situation der Türkei und dem Regierungswechsel in den USA zusammenhängen dürfte.
In einer ersten Reaktion teilte das US-Aussenministerium mit, eine Auflösung der HDP würde den Willen der türkischen Wähler untergraben. Man fordere Ankara auf, die Meinungsfreiheit im Sinne der türkischen Verfassung und gemäss internationaler Verpflichtungen zu respektieren. Die EU äusserte sich ähnlich und erklärte zudem, die Entwicklungen nährten Bedenken an der Glaubwürdigkeit von Reformversprechen.
Das angestrebte HDP-Verbot wird auch als ein Zugeständnis an die ultranationalistische MHP gewertet, mit der die AKP von Erdogan eine Allianz eingegangen ist. MHP-Chef Devlet Bahceli forderte wiederholt die Schliessung der HDP. Erdogan dürfte daran gelegen sein, den Partner nicht zu vergraulen. Ohne die MHP hat er keine Mehrheit im türkischen Parlament, Umfragen zufolge verliert der Präsident an Unterstützung in der Bevölkerung. Die nächsten regulären Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stehen zwar erst 2023 an, doch es wird über vorgezogene Wahlen spekuliert.
Die Regierung verfolge eine «Zermürbungsoperation» gegen seine Partei, sagte Gergerlioglu der Deutschen Presse-Agentur. Der Politiker harrt seit Mittwoch im Parlament aus. Er hat die Nacht auf einer Couch im Raum seiner Partei verbracht. Gergerlioglu hat gegen seine Verurteilung Klage beim Verfassungsgericht in Ankara eingereicht. Er weigert sich, das Parlamentsgebäude zu verlassen, bis darüber entschieden ist. Die Regierung sei hilflos und versetze der Opposition deshalb Schläge unter der Gürtellinie, sagte er. Von Deutschland erwartet der Politiker Unterstützung: «Wir warten darauf!»
Der Versuch, die HDP ins Abseits schieben zu wollen, dürfte von Erdogan berechnet sein. Schon in der Vergangenheit war die Partei das Zünglein an der Wage. Im Jahr 2012 gegründet, schaffte die HDP 2015 unter dem damaligen Vorsitzenden Demirtas erstmals den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde und damit den Einzug ins Parlament. Rund sechs Millionen Menschen stimmten für die Partei. Erdogans AKP kostete das damals die absolute Mehrheit.
Bei der Kommunalwahl 2019 dann wurde deutlich, wie gefährlich die Opposition der Regierung werden kann, wenn sie zusammenarbeitet. Unter anderem in Istanbul stellte die HDP keinen eigenen Kandidaten auf und gab eine Wahlempfehlung für die Mitte-Links-Partei CHP ab, die das Bürgermeisteramt auch dadurch gewann.
Parteiverbote sind in der Türkei nichts Ungewöhnliches. Seit Beginn der 1960er Jahre wurden mehr als 20 Parteien vom Verfassungsgericht aufgelöst. Betroffen waren vor allem islamistische und prokurdische Parteien. Erdogan selbst gilt eigentlich nicht als Freund von Parteischliessungen. Auch gegen seine AKP lief 2008 ein Verbotsverfahren – es wurde am Ende vom Verfassungsgericht abgelehnt.
Trotz eines drohenden Verbots gibt sich die HDP kämpferisch. Erst kürzlich sagte Parteichef Sancar, man habe im Fall eines Verbots «nicht nur einen Plan B oder C, sondern auch einen Plan D». (sda/dpa)
Würde mich schämen so ein Regime indirekt zu unterstützen.