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Erdbeben Istanbul: Der Schock sitzt noch tief

People gather outdoors following an earthquake shock with a preliminary magnitude of 6.2, in Istanbul, Turkey, Wednesday, April 23, 2025. (AP Photo/Khalil Hamra)
Turkey Earthquake
Die Einwohner von Istanbul versammeln sich nach dem Erdbeben draussen.Bild: keystone

Erdbeben in Istanbul – sehenden Auges in die Katastrophe?

24.04.2025, 07:1224.04.2025, 10:15
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Nach den Erdbeben in der türkischen Millionenmetropole Istanbul steht die Bevölkerung weiter unter Schock. Zahlreiche Menschen verbrachten die Nächte im Freien und schlugen etwa in Parks oder auf anderen Grünflächen Zelte auf, wie türkische Medien berichteten. Das Beben hat keinen grösseren Schaden angerichtet – aber die Angst vor einer laut Experten unabwendbaren Katastrophe befeuert.

Istanbul wurde am Mittwoch von mehreren Erdbeben erschüttert. Um 12.49 Uhr Ortszeit registrierte der Katastrophendienst Afad das bislang stärkste Beben der Stärke 6,2 mit einem Epizentrum im vor der Stadt gelegenen Marmarameer. Zahlreiche weitere Erdstösse der Stärken 4 bis 5 folgten. Bis zum Abend meldete Afad 184 Nachbeben.

Erdbeben der Stärke 6,2 erschüttert Istanbul

Video: watson/Emanuella Kälin

Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Mittwochabend: «Unsere Bürger können beruhigt sein. Als Staat werden wir weiterhin rund um die Uhr mit allen unseren Einheiten in Alarmbereitschaft bleiben und für unsere Nation arbeiten, die Situation unter Kontrolle zu haben.»

Istanbul nicht erdbebensicher

Beruhigt sind aber wohl die wenigsten der Bewohner. Obwohl Experten seit Jahrzehnten vor einem grossen Erdbeben warnen, gilt die Metropole am Bosporus – das am dichtesten besiedelten Gebiet des Landes – nicht als erdbebensicher. Zwar wurde in den vergangenen Jahren auch vor dem Hintergrund der verheerenden Erdbebenkatastrophe im Südosten des Landes 2023 Programme zur Erneuerung gefährdeter Gebäude vorangetrieben. Mehr als eine Million Gebäude gelten aber immer noch als nicht sicher.

Experten gehen davon aus, dass das befürchtete Grossbeben mit einer Stärke von etwa 7 Zehntausende Menschen töten könnte. Als Grund wird etwa die schlechte Bausubstanz genannt. Die Türkei liegt in einer der seismisch aktivsten Gegenden der Welt.

epa11973060 (FILE) Istanbul Mayor Ekrem Imamoglu speaks to supporters gathered in front of the Istanbul Courthouse, in Istanbul, Turkey, 31 January 2025 (re-issued 19 March 2025). One day after Imamog ...
Ekrem Imamoglu.Bild: keystone

Der inhaftierte und abgesetzte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu kritisierte die Regierung am Mittwoch dafür, eine Erneuerung der Stadt versäumt zu haben. Imamoglu gilt aus aussichtsreichster Konkurrent Erdogans bei einer zukünftigen Wahl. Seine Verhaftung im Zusammenhang mit Terror- und Korruptionsvorwürfen wird weithin als politisch motiviert eingestuft. Er sitzt derzeit im Marmaragefängnis in Silivri, wenige Kilometer vom Epizentrum des stärksten Bebens entfernt.

Zwölf Gebäude vorsorglich evakuiert

Laut dem Istanbuler Gouverneursamt gab es zunächst keine Berichte über eingestürzte Gebäude. Die Bürger wurden gebeten, Ruhe zu bewahren und sich beschädigten Gebäuden nicht zu nähern. Der Minister für Verkehr und Infrastruktur, Abdulkadir Uraloglu, schrieb auf der Plattform X, es seien bei einer ersten Bestandsaufnahme keine Schäden an Strassen, Flughäfen, Zügen und U-Bahnen festgestellt worden. Laut Städtebauminister Murat Kurum (AKP) wurden zwölf Gebäude vorsorglich evakuiert.

Das Beben hatte zahlreiche Menschen in der Stadt auf die Strasse stürmen lassen. Berichten des Staatssenders TRT zufolge holten Menschen ihre Angehörigen aus Krankenhäusern. Teilweise waren Telefonnetz und Internet gestört. Viele Flüge aus Istanbul waren am Mittwochabend ausgebucht, auch auf den Strassen hatten sich über Stunden Autos gestaut.

Experten warnen vor möglichem weiteren Beben

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein weiteres starkes Beben folge, sagte der Geologe Okan Tüysüz dem Sender NTV. Das Hauptbeben werde noch kommen, schrieb Erdbebenforscher Naci Görür auf der Plattform X. Die Region ist Teil des Nordanatolischen Verwerfungssystems, einer grossen tektonischen Plattengrenze, die für zerstörerische Erdbeben mit vielen Opfern bekannt ist. Die Verwerfung verläuft nur wenige Kilometer vor der Stadt im Marmarameer. Hinzu kommt, dass die Stadt teilweise auf ungünstigem Untergrund liegt: Der südwestliche Teil etwa liegt nicht auf festem Grund wie Granit, sondern auf einer ausgetrockneten Lagune.

Das Erdbeben war auch in Teilen des Nachbarlands Griechenland deutlich zu spüren. Vor allem im Nordosten am Grenzfluss Evros zur Türkei hin wurden die Menschen in Angst versetzt, berichteten griechische Medien. Meldungen über die Erdstösse gab es ausserdem von etlichen Ägäisinseln, darunter Chios und Lesbos. Schäden habe es jedoch nicht gegeben.

Auch im nordwestlich angrenzenden Bulgarien wurde das Beben gespürt, am stärksten im südöstlichen Grenzgebiet und in der Region Burgas am Schwarzen Meer, wie das Geophysische Institut in Sofia mitteilte. (sda/dpa)

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