Mehr als einen Monat nach der Bürgermeisterwahl in der Türkei hat die türkische Wahlkommission die Abstimmung in Istanbul annulliert und eine Wiederholung angeordnet. Damit gab sie am Montag einem Antrag der Regierungspartei von Präsident Recep Tayyip Erdogan statt.
Dies berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Wahlkommission hatte den Wahlsieg des Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu im April anerkannt, allerdings könnte ihm das Mandat nun wieder abgenommen werden.
#BREAKING Turkey's Supreme Election Council (YSK) announces do-over of Istanbul local elections
— ANADOLU AGENCY (ENG) (@anadoluagency) May 6, 2019
Der stellvertretende CHP-Chef Onursal Adigüzel erklärte: «Dieses Regime, das den Willen des Volkes übergeht und die Gesetze missachtet, ist weder demokratisch noch legitim. Es ist eine reine Diktatur.»
Der Europarat kritisierte die türkische Wahlbehörde YSK für ihre Entscheidung am Montagabend. In einer Stellungnahme sagte Generalsekretär Thorbjorn Jagland: «Die Entscheidung des Hohen Wahlrates hat das Potenzial, das Vertrauen der türkischen Wähler in die Wahlbehörden schwer zu beschädigen.» Die notwendigen Voraussetzungen für freie und faire Wahlen müssten vor dem Wahltag überprüft werden und nicht danach.
Jagland bezog sich auf die zahlreichen Beschwerden der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan nach ihrer knappen Niederlage im Rennen um den wichtigsten Bürgermeisterposten des Landes. Sie hatte zum Beispiel beanstandet, dass einige Helfer an den Wahlurnen nicht wie vorgeschrieben Staatsbedienstete seien.
Der Europarat hatte zur Wahl am 31. März eine Beobachterdelegation geschickt. Angesichts der Konflikte um die äusserst knapp ausgegangene Kommunalwahl hatte er Anfang April in einem «aussergewöhnlichen Schritt» das Mandat seiner Wahlbeobachter verlängert.
Imamoglu hatte die Kommunalwahl in Istanbul am 31. März mit einem Vorsprung von nur rund 24'000 Stimmen vor Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim gewonnen. Nach dem Einspruch der Regierungspartei AKP und einer Neuauszählung in mehreren Bezirken schrumpfte der Unterschied zwar, konnte von der AKP aber nicht mehr aufgeholt werden. Die AKP beantragte daraufhin eine Wiederholung der Abstimmung in Istanbul und forderte unter anderem eine Überprüfung der Wahlhelfer.
Die Hauptstadt Ankara, die ebenfalls an die Opposition ging, und die Wirtschaftsmetropole Istanbul wurden 25 Jahre lang von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert. Die Niederlage für die AKP in diesen Städten war ein Gesichtsverlust für Erdogan, der selbst einst Bürgermeister von Istanbul war.
Die AKP beantragte daraufhin eine Wiederholung der Abstimmung in Istanbul und forderte unter anderem eine Überprüfung der Wahlhelfer. Staatsanwälte haben danach Ermittlungen wegen des Vorwurfs von Unregelmässigkeiten bei der Wahl eingeleitet.
Die staatliche Agentur berichtete, dabei habe sich herausgestellt, dass 43 Behördenmitarbeiter in Verbindung mit dem Netzwerk des im US-Exil lebenden Predigers Fetullah Gülen stünden. Erdogan sieht in Gülen den Strippenzieher hinter dem gescheiterten Militärputsch von 2016. Gülen weist diesen Vorwurf zurück.
Das wochenlange Gezerre um das Ergebnis in der grössten Stadt der Türkei wurde auch international aufmerksam verfolgt. Die Lira gab unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung des Gremiums nach. Die Türkei befindet sich seit Ende des Jahres in der Rezession. Die Inflation liegt konstant hoch bei rund 20 Prozent. Vor allem Lebensmittel werden immer teurer.
Der Präsident und AKP-Chef hatte schon kurz nach der Wahl von Regelwidrigkeiten und «Diebstahl an den Urnen» gesprochen. Am vergangenen Samstag hatte er erneut deutlich gemacht, dass er die Abstimmung in Istanbul für unrechtmässig hält. Damit erhöhte er auch den Druck auf die Hohe Wahlkommission, dem Antrag auf Annullierung stattzugeben.
Landesweit wurde Erdogans AKP bei der Kommunalwahl stärkste Partei. Allerdings verlor sie in Metropolen Zuspruch. Vier der fünf grössten Städte des Landes gingen an die Opposition.
Rund 57 Millionen Türken waren am 31. März dazu aufgerufen, in 81 Provinzen Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 84 Prozent. (cma/sda/dpa/afp)