Dass 2023 ein ausgesprochen schlechtes Jahr für die BBC ist, dürfte deutlich untertrieben sein.
Einer der bekanntesten Sender der Welt taumelt seit Monaten von Krise zu Krise - und nun erschüttert ein neuer Skandal die mehr als 100 Jahre alte britische Institution in ihren Grundfesten.
Kurz gesagt geht es um Vorwürfe gegen einen prominenten, namentlich nicht bekannten Moderator, der einem Teenager über drei Jahre hinweg insgesamt 35 000 Pfund (ca. 40 000 Franken) für sexuell explizite Fotos und Videos gezahlt haben soll. Am Montag wollte sich die BBC-Spitze mit der Londoner Polizei treffen. «Die BBC ruft die Cops», titelten mehrere Zeitungen. Doch der Skandal um mutmasslichen Missbrauch ist längst zu einem Fall BBC geworden.
Bereits Mitte Mai will die Mutter des mutmasslichen Opfers - damals 17 Jahre jung und drogenabhängig - den öffentlich-rechtlichen Sender mit den Vorwürfen konfrontiert haben. Die BBC aber habe nicht reagiert, klagte die Frau nun in der Zeitung «Sun on Sunday». Übers Wochenende wurde der Druck immer grösser, bis «Auntie» - das Tantchen, wie Briten die Anstalt liebevoll nennen - schliesslich reagieren musste.
Damit steht nun vor allem Intendant Tim Davie im Mittelpunkt. Mal wieder. Noch nicht einmal drei Jahre ist der Generaldirektor im Amt, doch seitdem ist der 56-Jährige fast immer im Verteidigungsmodus.
Ohnehin gilt der Posten als der schwierigste der polarisierten britischen Medienlandschaft. Die BBC hat sich einem radikalen Neutralitätskurs verschrieben und wird damit beinahe täglich Ziel von Vorwürfen einer Parteinahme. «Die BBC zu leiten, gleicht dem Versuch, einen Öltanker mit verbundenen Augen und blockierter Steuerung durch eine enge Meerenge zu lenken», schrieb die Zeitung «Guardian».
Doch Davie macht sich das Leben nach Ansicht von Kommentatoren teils selbst schwer. Beispiel Gary Lineker. Der Ex-Fussballstar ist nicht nur einer der beliebtesten BBC-Moderatoren und der am besten bezahlte. Er ist auch für klare Worte bekannt. Als Lineker im März die migrationsfeindliche Rhetorik der konservativen Regierung in der Asylpolitik mit der Sprache im Deutschland der 1930er Jahre verglich, wurde er suspendiert. Lineker habe die Neutralitätsregeln gebrochen, hiess es. Doch andere Moderatoren solidarisierten sich mit Lineker und streikten - und Davie musste eine peinliche Kehrtwende hinlegen. Lineker durfte ohne Strafe wieder auf Sendung gehen.
Nun wird Davie Doppelmoral vorgeworfen. Denn der beschuldigte Moderator im aktuellen Fall blieb nach den ersten Vorwürfen im Mai noch sieben Wochen im Dienst, bis er dann am Sonntag doch suspendiert wurde. Zwar mahnen Regierungspolitiker wie die zuständige Kulturministerin Lucy Frazer zu Sorgfalt bei der Aufklärung. Doch machen sie klar, dass die Reaktion viel zu langsam gewesen sei.
Der neue Skandal beim «Beeb» - ein weiterer Spitzname des Senders - ist vor allem Munition für diejenigen, die das Finanzierungsmodell der British Broadcasting Corporation immer lauter in Frage stellen.
Plänen der Regierung des konservativen Ex-Premiers Boris Johnson zufolge soll die Beitragsfinanzierung 2027 komplett abgeschafft werden. Vor allem Rechtspopulisten wollen die BBC zu einem gewöhnlichen Sender herabstufen, den man wie Netflix bei Bedarf abonnieren und kündigen kann. In ihren Augen ist die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt durchsetzt mit linkslastigen Journalisten, die eine urbane Elite repräsentieren.
Für viele war die BBC seit ihrer Gründung vor gut 100 Jahren ein Leuchtturm der Demokratie, eine unabhängige Quelle der Einordnung. Britische «Soft power», die das Ansehen des Vereinigten Königreichs stärkte. Doch noch immer hat der Sender keine Antwort auf die veränderte Mediennutzung gefunden. Der Spardruck nimmt auch wegen sinkender Beiträge stetig zu. Programme in Fremdsprachen wurden ebenso Opfer wie beliebte Sendungen und einzelne Wellen. Wegen Kürzungen beim Lokalradio kam es jüngst zu Streiks.
An diesem Dienstag legt die BBC ihren Jahresbericht vor. Angesichts des jüngsten Skandals dürften hohe Gehälter für Moderatoren zu einem noch grösseren Aufschrei führen als ohnehin. Der Zeitpunkt könnte für Intendant Davie kaum schlechter sein. Zumal er die BBC weitestgehend alleine durch ihre grösste Krise seit Jahrzehnten steuern muss. Der in der Politik gut vernetzte Aufsichtsratschef Richard Sharp musste im Frühling zurücktreten. Er hatte dem damaligen Premier Boris Johnson geholfen, einen Privatkredit über 800 000 Pfund an Land zu ziehen - kurz vor seiner Ernennung durch den Regierungschef selbst. (aeg/sda/dpa)