Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sind in der Ukraine auf ihrem Weg zum russisch besetzten Kernkraftwerk Saporischschja. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selesnkyj empfing die Delegation um IAEA-Chef Rafael Grossi am Dienstag in Kiew. Am Mittwochmorgen sollten die 14 Experten nach einem kurzen Pressetermin aufbrechen in den Süden des Landes. Begleitet wird ihre Reise von russischen und ukrainischen Vorwürfen, dass die jeweils andere Seite die Route beschiesse, um eine Inspektion von Europas grösstem AKW zu verhindern. Zu überprüfen waren die Angaben nicht.
Für die Ukraine ist am Mittwoch der 189. Kriegstag seit Beginn der russischen Invasion. Über den Fortgang einer seit Wochenbeginn laufenden ukrainischen Offensive im Süden gab es weiter nur wenig Informationen. In der Nacht auf Mittwoch meldete die russische Besatzungsmacht zahlreiche schwere Explosionen in der Stadt Cherson.
Die Aussenminister der EU wollen am Mittwoch in Prag über den Krieg und mögliche neue Sanktionen gegen Russland beraten. Derweil stellt der russische Gazprom die Lieferung von Erdgas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 wegen angeblicher Wartungsarbeiten für drei Tage ein.
Selenskyj gab den Experten die Forderung mit auf den Weg, das besetzte AKW Saporischschja solle demilitarisiert und wieder ukrainischer Kontrolle unterstellt werden. Nur so seien Risiken für die nukleare Sicherheit auszuschliessen, sagte er. Die Aufgabe der Mission ist aber enger gesteckt. Sie soll die Sicherheit der Anlage begutachten, mögliche Schäden feststellen, die Arbeitsbedingungen der ukrainischen Kraftwerksmannschaft erkunden und überprüfen, ob alles Nuklearmaterial an seinem Platz ist. Die IAEA mit Sitz in Wien hat seit über 60 Jahren Erfahrung in der weltweiten Kontrolle von Sicherheitsstandards in Atomanlagen.
Die russische Besatzungsverwaltung in dem teilweise eroberten Gebiet Saporischschja schränkte die Aussichten auf eine gründliche Erkundung des AKW von vornherein ein. Die Experten sollten «an einem Tag anschauen, wie das Werk arbeitet», sagte Verwaltungschef Jewgeni Balizki in Melitopol. «Die Elemente, die sie nennen, wird man im Verlauf ansehen können.»
Balizki sagte, der Übertritt der Gruppe von ukrainischem Territorium auf russisch kontrolliertes Gebiet solle bei Wassyliwka südlich der Gebietshauptstadt Saporischschja erfolgen. Die Experten müssten noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder abreisen. Bei dem Besuch wolle man vorführen, mit welchen Waffen die Ukraine das AKW beschossen habe. Kiew beschuldigt russische Truppen, selbst geschossen zu haben, um einen möglichen Schaden der Ukraine in die Schuhe zu schieben. Genaue Angaben über die Reiseroute und das Eintreffen der Experten in dem AKW gab es nicht. Die russische Agentur Tass nannte ohne Angabe von Quellen den Mittwoch.
Für drei Tage soll von diesem Mittwoch an kein Gas mehr über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland kommen. Der Staatskonzern Gazprom hatte angekündigt, dass die Lieferungen über die in der Vergangenheit wichtigste Route nach Deutschland für russisches Gas wegen Wartungsarbeiten ab 3.00 Uhr deutscher Zeit eingestellt werden. Demnach sollen die Lieferungen am frühen Samstagmorgen wieder aufgenommen werden.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte gesagt, die Wartungsarbeiten seien technisch nicht nachvollziehbar. Zuletzt kamen über die Pipeline nur noch etwa 20 Prozent der maximal möglichen Menge. Nach Aussage Gazproms gibt es auch dafür technische Gründe, was unter anderem die Bundesregierung anzweifelt.
Ein erster Frachter mit Getreide aus der Ukraine erreichte das ostafrikanische Land Dschibuti. Es handle sich um das erste Schiff des UN-Welternährungsprogramms mit diesem Ziel seit Beginn des russischen Angriffskriegs, schrieb WFP-Geschäftsführer David Beasley auf Twitter. Die Ladung ist laut dem WFP für Äthiopien bestimmt, wo mehr als 20 Millionen Menschen an Hunger leiden. Das Schiff hat 23 000 Tonnen Weizen geladen. Die UN und die Türkei hatten Ende Juli Vereinbarungen vermittelt, dass die Ukraine trotz der russischen Blockade wieder Getreide über ihre Schwarzmeerhäfen ausführen kann.
Die EU-Aussenminister beraten bei ihrem informellen Treffen in Prag über die Auswirkungen des Krieges auf die Sicherheit der Europäischen Union. Eine weitere Sanktion gegen Russland könnte sein, dass die Einreisemöglichkeiten für russische Staatsbürger eingeschränkt werden. Nachdem die Bundesregierung solche Massnahmen lange abgelehnt hatte, spricht sie sich jetzt dafür aus, das europäische Visa-Abkommen mit Moskau für eine leichtere Einreise auszusetzen. (saw/sda/dpa)