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Biden schlägt Schutzmandat statt NATO-Beitritt für die Ukraine vor

Israel-Modell für die Ukraine – Biden geht vor NATO-Gipfel in die Offensive

Im Falle eines Waffenstillstands soll der Ukraine vor einem NATO-Beitritt ein Schutzmandat gewährt werden – basierend auf dem Israel-Modell. Dies schlägt Biden kurz vor dem Gipfeltreffen in Litauen vor. Die Details.
10.07.2023, 19:3615.07.2023, 10:17
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Während die ukrainische Gegenoffensive läuft, findet in der litauischen Hauptstadt Vilnius am 11. und 12. Juli das jährliche NATO-Gipfeltreffen statt. Ein zentraler Punkt wird die Lieferung von Streumunition sein, die auf Kritik gestossen ist, sowie die Position der Ukraine im Sicherheitsbündnis.

Die Ukraine fordert eine Sicherheitsgarantie, solange ihr der Beitritt verwehrt bleibt. Joe Biden hat im Vorfeld nun eine Übergangslösung vorgeschlagen: ein Israel-Modell, das die Souveränität des Landes langfristig sicherstellen soll.

Es ist nicht das einzige Thema, das bereits vor dem Gipfeltreffen für Gesprächsstoff sorgt:

Israel-Modell

Nach Angaben von Präsident Biden sind die USA bereit, der Ukraine einen ähnlichen Schutz zu bieten wie Israel – allerdings erst nach einem Friedensabkommen oder Waffenstillstand.

Die Vereinigten Staaten unterstützen Israel jährlich mit rund 3,8 Milliarden US-Dollar – davon geht ein beachtlicher Teil in die Abwehr von Raketen und in die Militärtechnik. Seit 1948 sind rund 121 Milliarden Dollar geflossen. Kein anderes Land hat von der Supermacht seit dem Zweiten Weltkrieg mehr Unterstützung erhalten.

Präsident John F. Kennedys Bemerkung gegenüber Israels Aussenministerin Golda Meir im Jahr 1962 hat sich demnach bewahrheitet:

«Die Vereinigten Staaten haben im Nahen Osten eine besondere Beziehung zu Israel, die wirklich nur mit der vergleichbar ist, die sie in einem breiten Spektrum von globalen Dingen zu Grossbritannien haben.»

Das Modell ist im Falle eines Angriffs keine Sicherheitsgarantie, doch die finanzielle Militärhilfe hat erheblich dazu beigetragen, dass die einzige (noch) Demokratie im Nahen Osten eine der weltweit führenden Verteidigungsarmeen aufbauen konnte.

Damit nicht genug. Im letzten Jahr bewilligte der US-Kongress zusätzliche Mittel in Milliardenhöhe für das Raketenabwehrsystem Iron Dome, das die USA mitentwickelt haben und das seit 2011 eingesetzt wird. Die «Eisenkuppel» gilt auch als Symbol für die Rolle der USA als Schutzmacht Israels. Das Abwehrsystem zerstört etwa Kurzstreckenraketen in der Luft.

NATO-Beitritt

Ein NATO-Beitritt rückt weiter in die Ferne. «Ich denke nicht, dass es innerhalb der NATO Einigkeit darüber gibt, ob die Ukraine jetzt, mitten im Krieg, Mitglied werden soll», sagt Joe Biden gegenüber CNN. Der Prozess brauche Zeit.

FILE - President Joe Biden, left, walks with Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy ahead of a working session on Ukraine during the G7 Summit in Hiroshima, Japan, on May 21, 2023. A dash of pomp and ...
Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj am G7-Gipfel in Hiroshima im Mai.Bild: keystone

In der Zwischenzeit könnten die USA die Ukraine mit Waffen versorgen, um sich selbst zu verteidigen. Sie sind mit Abstand die grössten Unterstützer der Ukraine. Bislang haben die USA rund 71 Milliarden Euro in Form von militärischer, finanzieller und humanitärer Unterstützung bereitgestellt.

«Es ist verfrüht, jetzt zu einer Abstimmung aufzurufen.»
Joe Biden

Weiter sagt Biden, dass man nun einen rationalen Weg aufzeigen solle, damit die Ukraine sich für einen möglichen Beitritt qualifizieren könne. Die Ukraine sei derzeit noch nicht bereit dafür. Das Land müsse erst die Reformen, darunter die Demokratisierung sowie «einige dieser Themen», umsetzen.

Vor- und Nachteile des Israel-Modells

Nach Bidens Ankündigung drängt sich die Frage auf, wie sinnvoll ein Sicherheitsversprechen à la Israel ist. Schliesslich sind Israels Nachbarn keine Grossmächte und keiner davon ist in Besitz von Atomwaffen, Israel hingegen schon. Und: Auch das israelische Modell konnte Angriffe nicht verhindern.

Dennoch könnte ein Israel-Sicherheitsmodell «eine der besten der schlechten Optionen sein», um die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten, wie US-Medien berichten. Eine Zusage könne jetzt schon als Abschreckung dienen.

Die Ukraine weiterhin in der NATO-Frage im Regen stehenzulassen, findet auch Claudia Major, Expertin für Internationale Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, keine gute Idee. «Dies könnte den Anreiz für Russland schaffen, den Krieg in die Länge zu ziehen – ein faktisches Vetorecht auf dem Schlachtfeld», sagt sie gegenüber SRF. Bidens Idee sei im Prinzip ein guter Lösungsansatz, der aber vorsichtig überarbeitet werden müsse.

Für die Ukraine heisse die optimale Sicherheitsvereinbarung nach einem Waffenstillstand demnach: NATO-Beitritt, wie Peter Douglas Feaver, US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Theoretiker, im Magazin «Foreign Policy» schreibt. Putin ziehe klare Grenzen zwischen den ehemaligen Teilen der Sowjetunion, die zur NATO-Allianz gehören: Während Putin die Souveränität von Ländern wie Georgien, Moldawien und der Ukraine verletzt, hält er sich von den baltischen Staaten fern.

Neben der Türkei sprechen sich die baltischen Staaten sowie Frankreich und Polen klar für einen Beitritt der Ukraine aus.

Erdogans Vermittlerrolle

Eine unerwartete Ankündigung vor dem Gipfeltreffen erfolgte aus der Türkei: Das einzige NATO-Land, das bei den Sanktionen ausschert, spricht sich für eine Mitgliedschaft nach Kriegsende aus. «Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO verdient», sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Russian President Vladimir Putin, right, speaks to Turkey's President Recep Tayyip Erdogan during their talks on the sidelines of the Shanghai Cooperation Organisation (SCO) summit in Samarkand,  ...
Bild: keystone

Die Aussage überrascht, da sich Erdogan erstmals auf eine Seite schlägt – und sich gleichzeitig als Vermittler aufdrängt. Er verurteilte zwar den Krieg, beteiligte sich aber nicht am Sanktionspaket der NATO. Der Grund: Erdogan möchte die Gesprächskanäle zu Moskau und Kiew offen halten. Im August wird ihn Putin zum ersten Mal seit Beginn des Ukrainekriegs in der Türkei besuchen – sofern er das Treffen nun nicht abbläst.

Mit Material der Nachrichtenagentur sda.

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1949: In Washington wird am 4. April der Nordatlantikvertrag unterzeichnet. Das Bündnis hat anfangs zwölf Mitglieder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA.
quelle: epa/u.s. national archives / u.s. national archives and records administration / handout
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24 Kommentare
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Lafayet johnson
10.07.2023 21:28registriert Juli 2020
Ironischerweise war ja stalins irrsinnige Aussenpolitik eigentlich der Grund für die Geburt der NATO.
Und jetzt hat sein Nachfolger noch einen draufgelegt, so dass bald auch Schweden und die Ukraine NATO-Mitglieder werden .. well done 😂
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