«Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und der den Mut zur weissen Flagge hat, zu Verhandlungen», erklärte der Papst in einem Interview mit dem italienischsprachigen Sender des Schweizer Fernsehens.
Und weiter: «Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben, zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird», betonte das katholische Kirchenoberhaupt. Zu verhandeln sei nicht mit einer Kapitulation zu verwechseln, betonte Franziskus: «Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu führen.»
Das Interview wird erst am 20. März ausgestrahlt, ist aber in Teilen bereits veröffentlicht worden.
Der Papst hat seit der russischen Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren mehrfach auf einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung gedrängt und hat sich persönlich auch als Vermittler ins Spiel gebracht. Im Interview erinnerte er daran, dass sich das Nato-Land Türkei am Freitag als Vermittler angeboten habe.
Allerdings: Es ist das erste Mal, dass Franziskus einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung angesichts einer drohenden militärischen Niederlage der Ukraine fordert - also in einer Situation der Schwäche, in welcher für Kiew das Abtreten von Teilen des eigenen Staatsgebiets mit hoher Wahrscheinlichkeit unumgänglich wäre.
Entsprechend empört sind die Reaktionen auf den Vorstoss des Pontifex ausgefallen - nicht nur in Kiew, sondern auch in anderen europäischen Hauptstädten. Es sei seltsam in Anbetracht von Zehntausenden Toten, dass «der Papst Putin nicht auffordert, aufzuhören, sondern stattdessen die Ukraine auffordert, die weisse Flagge zu hissen», erklärte der ukrainische Regierungsberater Anton Geraschtschenko.
Ins gleiche Horn blies Polens Aussenminister Radoslaw Sikorski: «Wie wäre es, wenn man zum Ausgleich Putin ermutigt, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen? Dann würde sofort Frieden einkehren, ohne dass Verhandlungen nötig wären», schrieb Sikorski am Sonntag auf X. In den sozialen Medien machten Aufrufe die Runde, wegen der Äusserungen des Papstes aus der Kirche auszutreten.
Angesichts der geballten Kritik versuchte der Vatikan am Wochenende, den Schaden zu begrenzen. Matteo Bruni, Direktor des vatikanischen Presseamtes, betonte gegenüber Journalisten, dass der Papst das Bild der weissen Fahne vom Interviewer aufgegriffen habe, «um damit die Einstellung der Feindseligkeiten, den mit dem Mut zur Verhandlung erreichten Waffenstillstand zu bezeichnen».
Franziskus wünsche sich nichts mehr als einen gerechten und dauerhaften Frieden. Er empfinde eine «sehr tiefe Zuneigung» für das ukrainische Volk, dessen schwierige Situation er praktisch bei jedem öffentlichen Auftritt anspreche, zuletzt im Angelus-Gebet nach dem zweiten Jahrestag des Kriegsausbruchs. Der Papst bete für die zahllosen unschuldigen Opfer und bitte darum, «dass ein wenig Menschlichkeit gefunden wird».
Obwohl der Papst den russischen Angriffskrieg wiederholt verurteilt hat, herrscht in der Ukraine nicht erst seit diesem Wochenende der Eindruck vor, dass der Papst mehr Verständnis für die russische Seite aufbringe als für die ukrainische.
Dies hatte sich auch bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski beim Papst im vergangenen Mai gezeigt; das Treffen im Vatikan fand in einer angespannten, beinahe frostigen Atmosphäre statt. Selenski forderte vom Papst bei dem Treffen mehr moralische Unterstützung und eine klare Verurteilung von Russlands Kriegsverbrechen. «Opfer und Aggressor können nicht gleichgesetzt werden», betonte Selenski. (aargauerzeitung.ch)
Und der Verein wundert sich, dass ihm die Mitglieder in Scharen davonlaufen.