International
Umwelt

Die Weltmeere sind ein rechtsfreier Raum

Aus für historisches Abkommen: Die Weltmeere sind ein rechtsfreier Raum

Ein Grossteil der Weltmeere gehört niemandem. Umso stärker werden sie ausgebeutet. Der vorerst letzte Versuch, die Hohe See zu schützen, ist nun gescheitert.
30.08.2022, 21:5730.08.2022, 21:57
Theresa Crysmann / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Endlose Weite, unendlich weit weg: Egal, an welcher Küste man steht, die Hohe See lässt sich nicht erspähen. Sie beginnt erst 200 Seemeilen, rund 370 Kilometer, ins Meer hinein und ist grösser als alles andere auf der Welt. Ihre Gewässer bedecken mehr als die Hälfte der Erdkugel und haben ihr den Beinamen beschert, der inzwischen fast schon abgedroschen klingt: der blaue Planet.

Deep-sea fishing in the Norwegian Sea on board the trawler Grande Hermine in 2011 Deep-sea fishing in the Norwegian Sea on board the trawler Grande Hermine in 2011. La Grande Hermine, factory trawler  ...
Es gibt noch keine Artenschutzabkommen für die Hochsee. Bild: imago

Die meisten Menschen bekommen die Hochsee nie zu Gesicht. Und doch: Ohne sie könntest du nicht existieren. In den Weltmeeren entstehen mehr als 50 Prozent des Sauerstoffs, der sich in der Atmosphäre findet. Sie kühlen den Planeten, nehmen Treibhausgase auf, sind Nahrungslieferanten und ein Zuhause für mehr Tiere und Pflanzen, als auf der Landfläche aller Kontinente leben. Doch auf der Hochsee lastet ein Fluch.

Keine Rücksicht auf Verluste

Die Hohe See gehört niemandem. Ihre Gewässer liegen ausserhalb staatlicher Hoheitsgebiete. Gerade deshalb wird dieser Teil der Weltmeere ausgebeutet wie kaum ein anderer. Sie ist ein nahezu rechtsfreier Raum.

Das UN-Seerechtsabkommen von 1980 regelt zwar die Nutzung der Hohen See und ihrer Ressourcen. Der Schutz des Ökosystems, von Tieren und Pflanzen, spielt dort aber keine Rolle. Über andere Wege ist bisher gerade einmal 1 Prozent der Hochseegebiete vor menschlicher Nutzung geschützt.

Überall sonst gilt: Jeder nimmt, so viel er will. Ohne Rücksicht auf Verluste, schon gar nicht auf jene der Allgemeinheit. Und das trotz begrenzter Ressourcen. Die Konsequenzen zeigen sich besonders deutlich an den weltweiten Fischbeständen.

Deep-sea fishing in the Norwegian Sea on board the trawler Grande Hermine in 2011 Deep-sea fishing in the Norwegian Sea on board the trawler Grande Hermine in 2011. La Grande Hermine, factory trawler  ...
Trotz Überfischung steigt der Fischverzehr an. Bild: imago

Mehr als ein Drittel aller Fischbestände gelten inzwischen als überfischt – Tendenz steigend, warnt die Welternährungsorganisation. Gleichzeitig landet immer mehr Plastikmüll in den Ozeanen. Geschätzt sind es jährlich bis zu 12.7 Millionen Tonnen, jede Stunde eine Lkw-Ladung. Geht es so weiter, könnte das Gewicht des Meeresplastiks bis 2050 die Gesamtmasse aller Fische übersteigen.

Den Arten, die sich noch halten können, machen die Klimakrise und der zunehmende Unterwasserlärm zu schaffen. Die Hohe See wird wärmer, saurer, lauter. Es gibt nur noch wenige Rückzugsgebiete, die nicht vom Menschen belastet sind. Und auch dort droht ein Ende der Unberührtheit.

Bergbau als nächstes grosses Risiko

Denn die Tiefsee ist vielerorts reich an Kobalt und anderen seltenen Erden. Eine Tatsache, die immer mehr Bergbaufirmen in Verzückung geraten lässt. Wo die Vorkommen an Land zur Neige gehen und die Förderung stets teurer wird, spitzen sie die Bohrer für den Unterwasserbergbau.

In vielen Gebieten der Hohen See sind Rohstoffvorkommen bestätigt.
In vielen Gebieten der Hohen See sind Rohstoffvorkommen bestätigt.Bild: Meeresatlas 2017 / Heinrich-Böll-Stiftung

Von der Wasseroberfläche bis in die Tiefsee stehen die Weltmeere inzwischen unter Druck. Es scheint wenig verwunderlich, dass UN-Generalsekretär Antonio Gutérres im Juni den «Notstand der Ozeane» ausrief. So wie er hofften viele, dass es noch vor Ende des Sommers erstmals ein rechtsverbindliches UN-Abkommen für den Schutz der Hohen See geben würde.

Seit mehr als 20 Jahren ringen die Vereinten Nationen schon um einen solchen Vertrag. Denn Plastik-, Chemie- und Lärmverschmutzung wirken sich, ebenso wie die Ausbeutung von Fischgründen und Rohstoffen, nicht nur lokal aus: Die Weltmeere sind eng verwoben. Werden sie an einer Stelle belastet oder überstrapaziert, hat das Konsequenzen für das ganze Ökosystem.

Am frühen Samstagmorgen deutscher Zeit ging die jüngste und vorerst letzte Verhandlungsrunde der UN über den Schutz der Biodiversität in internationalen Gewässern zu Ende. So wie bereits vier Mal zuvor: ohne Einigung.

Wieder kein Umwelt-TÜV für das Meer

«Dieser Ausgang der Konferenz ist bedauerlich, denn der katastrophale Zustand der Meere ist allen bekannt und verschlimmert sich rasant», sagt Fabienne McLellan, Geschäftsführerin der Meeresschutzorganisation Oceancare. Sie war für die Verhandlungen nach New York gereist, im Gepäck die Hoffnung auf Meeresschutzzonen, ein Moratorium für den Tiefseebergbau und vor allem einen «Umwelt-TÜV» für die Hohe See.

«Das klingt etwas trocken, aber es ist ein umweltpolitisches Instrument, das ermöglicht, Projekte und Zulassungen auf ihre Auswirkungen für das Ökosystem der Hohen See zu prüfen», so McLellan. Der «Umwelt-TÜV» sei ein systematisches Kontrollinstrument mit verbindlichen Standards für die gesamte Hochsee.

Aktivitäten, die es nicht durch den TÜV schafften, würden nicht genehmigt. Die Idee ist zwar im jüngsten Vertragsentwurf enthalten, doch an praktischen Details fehlt es noch.

«Der Anwendungsbereich ist im Textentwurf aktuell nicht festgelegt, ebenso offen ist die Frage, ob die Entscheidungsbefugnis bei einem gemeinsamen Gremium liegt oder einzelnen Ländern überlassen wird», heisst es von Oceancare. Doch man bleibe optimistisch. Angesichts des erneuten Scheiterns der Verhandlungen ohnehin wohl die einzige Option.

Detailfragen und Zeitnot

Wie – und ob – das Abkommen bald doch noch in Kraft treten kann, hängt von der UN-Generalversammlung ab. Hier muss es grünes Licht für eine weitere Verhandlungsrunde geben. Und auch dann braucht es mindestens 60 Staaten, die unterzeichnen.

«Einerseits haben wir wohlhabende Länder, die in grossem Stil fischen, Bodenressourcen fördern, für die Vermüllung der Meere verantwortlich sind und das Ökosystem der Hochsee destabilisieren. Da kann man bei den Verhandlungen durchaus von Bremsern sprechen. Und denen gegenüber stehen Entwicklungsländer, die die Auswirkungen am stärksten spüren», sagt McLellan von Oceancare.

June 26, 2022, Mombasa, Kenya: Plastic trash is seen on the shores of the Indian Ocean in Lamu Old Town. Pollution from human activities has negatively impacted the oceans. Kenyan President Uhuru Keny ...
Meeresströmungen schwemmen jährlich 50 Tonnen Plastikmüll an. Bild: imago

Hier Kompromisse zu finden sei nicht einfach. Die nationalistischen Interessen der einzelnen Delegationen seien im Verhandlungsraum deutlich zu spüren gewesen. Zuletzt sei es zwar nur noch an Detailfragen und der begrenzten Zeit gescheitert. Man sei auf der Zielgeraden, beim nächsten Versuch müsse es jedoch klappen. Auch im Interesse des Klimaschutzes.

«Die Meere sind unsere besten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel», so McLellan. «Ihre Funktion als Klimaregulierer können sie nur wahrnehmen, wenn sie gesund und resilient sind. Jede Meerestierart spielt in diesem fragilen ökologischen Gleichgewicht eine wichtige Rolle. Die Erhaltung der Biodiversität gehört deshalb ins Zentrum des Hochseeabkommens. Dafür müssen die Regierungen sorgen.»

Verwendete Quellen:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Rätselhaftes Fischsterben in der Oder
1 / 11
Rätselhaftes Fischsterben in der Oder
Seit dem 9. August ist ein Fischsterben im Fluss Oder bekannt. Die Oder bildet in ihrem Unterlauf die Grenze zwischen Polen und Deutschland.
quelle: imago
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Get off the shore!» – riesiger Hammerhai tobt am Strand
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
109 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Hiker
30.08.2022 22:44registriert Januar 2017
Immer und immer wieder dasselbe. Ich lebe jetzt seit 66 Jahren auf diesem wunderschönen Planeten. Und seit dieser Zeit muss ich immer wieder erleben wie die Masse der geldgierigen Hyänen ungehindert dieses Paradies Stück für Stück zerstören. Und wofür? Ich verstehe es heute noch genauso wenig wie früher.
1755
Melden
Zum Kommentar
avatar
Lowend
30.08.2022 22:22registriert Februar 2014
Der Mensch verhält sich echt wie der grösste Parasit der Erde.
1036
Melden
Zum Kommentar
avatar
Firefly
30.08.2022 22:26registriert April 2016
Super, hervorragende Leistung wirklich. Alles Egoisten an der Macht. Aber leider kommt man nur so dahin.
943
Melden
Zum Kommentar
109
Erdbeben in Neapel – Bewohner flüchten auf Strasse
Die italienische Grossstadt Neapel und ihre Umgebung sind von einem Erdbeben erschüttert worden. Aus Sorge vor grösseren Schäden flüchteten am Vormittag zahlreiche Bewohner auf die Strassen.
Zur Story