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USA: Kein Shutdown, aber viele Verlierer – der Streit in 3 Punkten

Fehlende Ukraine-Hilfe und McCarthys Posten in Gefahr – so wurde der Shutdown abgewendet

02.10.2023, 06:3702.10.2023, 11:10
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Der US-Kongress hat am Wochenende im letzten Moment einen drohenden Stillstand der Regierung verhindert: Nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist stimmte der Senat nach dem Repräsentantenhaus mit überparteilicher Mehrheit für den Gesetzesentwurf und wendete damit einen sogenannten Shutdown ab. Den Preis für die Einigung zahlt allerdings die Ukraine. Der am Samstagabend verabschiedete Übergangshaushalt enthält keine weitere Unterstützung für Kiew.

Der Republikaner Kevin McCarthy muss derweil nach der vorläufigen Einigung nun um sein Spitzenamt fürchten. Sein radikaler Parteikollege Matt Gaetz kündigte am Sonntag an, ihn aus dem Vorsitz des US-Repräsentantenhauses jagen zu wollen. Für den ohnehin geschwächten McCarthy geht es nun ums politische Überleben. Beim Streit um die weitere Unterstützung für die Ukraine dürfte er erneut in die Zwickmühle geraten.

Die Geschehnisse vom Wochenende im Überblick:

Die Shutdown-Abwendung

Nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist stimmte der Senat nach dem Repräsentantenhaus mit überparteilicher Mehrheit für den Gesetzesentwurf und wendete damit einen sogenannten Shutdown ab.

Der Haushalt gewährt allerdings nur einen kurzen Aufschub bis Mitte November – der Streit um einen neuen Bundeshaushalt zwischen den Demokraten und den Republikanern ist damit nur verschoben. Für die Ukraine hat der Krimi im US-Kongress aber schon jetzt Konsequenzen.

US-Präsident Joe Biden unterzeichnete das Gesetz nur kurz nach der Abstimmung. Doch der Demokrat fand zugleich mahnende Worte: «Wir können unter keinen Umständen zulassen, dass die amerikanische Unterstützung für die Ukraine unterbrochen wird.» Er versicherte der Ukraine am Sonntag, auch weiterhin auf die Unterstützung der USA zählen zu können. Die Einigung bringt nun zwar eine Galgenfrist – aber vor allem auch viele Verlierer. Sie könnte den republikanischen Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, das Amt kosten.

Bei einem Shutdown steht viel auf dem Spiel

Die Laufzeit des Ende vergangenen Jahres vom US-Kongress beschlossenen Haushalts endete mit Ablauf dieses Monats – also in der Nacht zu Sonntag. Bis dahin musste ein neuer Bundeshaushalt beschlossen werden, um die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Das politische Gezerre wiederholt sich jedes Jahr. In der Regel behilft sich der Kongress mit der Verabschiedung eines Übergangshaushalts – so auch dieses Mal. Ein Shutdown bedeutet, dass Millionen Angestellte der Regierung kein Gehalt mehr bekommen – viele von ihnen müssen dann in Zwangsurlaub gehen. Etliche leben von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck und haben keine grossen Rücklagen.

Die Ukraine-Hilfe

Die Vereinigten Staaten gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Seit Kriegsbeginn hat Bidens Regierung allein an Militärhilfe deutlich mehr als 40 Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Biden bat den Kongress im Sommer um weitere Milliardensummen für die Ukraine – er forderte allein rund 13 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe, um bis Anfang 2024 die Unterstützung für Kiew sicherzustellen. Hinzu kamen weitere Milliarden für wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung.

Dass in dem Übergangshaushalt keine Hilfe für die Ukraine enthalten ist, bedeutet nicht, dass Kiew sofort keine Unterstützung mehr von den USA bekommt. Allerdings gehen die bisher genehmigten Mittel langsam zur Neige. Folgen hat der Showdown im US-Kongress dennoch schon jetzt – denn er sendet eine Botschaft an Russland.

Es handle sich um ein Signal der Schwäche, der mangelnden Entschlossenheit seitens der USA, warnte der Militäranalyst des US-Senders CNN, Cedric Leighton. In den USA fürchtet man auch, dass die Europäer ihre Unterstützung herunterfahren könnten, wenn die USA nur zögerlich handeln. Gut ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl zeigt sich, wie kontrovers das Thema Ukraine mittlerweile in den USA diskutiert wird – und dass die bedingungslose Unterstützung der Amerikaner keineswegs selbstverständlich ist.

Der Antrag zur Absetzung McCarthys

Am Sonntag verkündete der strammrechte Republikaner Matt Gaetz an, Kevin McCarthy aus dem Vorsitz des US-Repräsentantenhauses jagen zu wollen.

Im Gespräch mit CNN sagte der Republikaner aus Florida am Sonntag, dass er beabsichtige, kommende Woche einen Antrag auf Amtsenthebung einzureichen. Dieser würde eine Abstimmung darüber erzwingen, ob McCarthy seinen Posten behalten darf.

«Speaker McCarthy hat im Januar eine Vereinbarung mit den Konservativen im Repräsentantenhaus getroffen, und seither hat er diese Vereinbarung dreist und wiederholt gebrochen», sagte Gaetz im Interview. «Diese Vereinbarung, die er mit den Demokraten getroffen hat, um viele der von uns aufgestellten Ausgaben-Leitplanken zu durchbrechen, war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.»

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Der republikanische Abgeordnete Matt Gaetz aus Florida kündigte am Sonntag an, Kevin McCarthy aus dem Vorsitz des US-Repräsentantenhauses jagen zu wollen.Bild: keystone

Die Republikaner haben im Repräsentantenhaus nur eine sehr knappe Mehrheit. Das hat zur Folge, dass ein kleinerer Kreis an extremen Abgeordneten den Vorsitzenden McCarthy vor sich hertreiben kann. Gaetz gehört seit geraumer Zeit zu den erbittertsten Gegnern McCarthys. Der 41 Jahre alte Anwalt aus Florida ist glühender Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump und sitzt seit 2017 als Abgeordneter im Repräsentantenhaus. Beim Streit um den neuen Übergangshaushalt hat McCarthy den rechten Rand seiner Fraktion vor den Kopf gestossen, um sich in letzter Minuten doch mit den Demokraten einigen zu können.

Sollte der Hardliner Gaetz einen historischen Antrag zur Absetzung McCarthys wirklich einbringen, bedeutet dies noch nicht automatisch, dass dieser seinen Posten verliert. Eine Abstimmung kann mit Anträgen verhindert werden. Noch nie ist ein Vorsitzender des Repräsentantenhauses durch einen solchen Schritt seines Amtes enthoben worden. Ein solcher Antrag ist äussert ungewöhnlich und in der Geschichte der USA sehr selten. McCarthy jedenfalls gab sich am Wochenende siegesgewiss, forderte seine Gegner heraus und und sagte: «Ich werde überleben.»

McCarthy: Ein Fähnchen im Wind?

McCarthy hat nie einen Hehl daraus gemacht, Vorsitzender des Repräsentantenhauses werden zu wollen. Im Januar löste der Abgeordnete aus Kalifornien schliesslich die Demokratin Nancy Pelosi auf dem Posten ab. Allerdings brauchte es dafür 15 Wahlgänge, weil ihm Teile seiner Partei die Gefolgschaft verwehrten – darunter Gaetz. Es war eine Schmach historischen Ausmasses. Viele glaubte damals gar nicht mehr daran, dass McCarthy noch genug Stimmen zusammenbekommen würde. Doch der 58-Jährige machte grosse Zugeständnisse an die Hardliner in seiner Partei.

Tatsächlich hat es McCarthy in der Vergangenheit immer wieder geschafft, sich aus scheinbar ausweglosen politischen Situationen herauszulavieren. Gegner werfen ihm vor, keine Prinzipien zu haben. Das mache es ihm leicht, politische Überzeugungen über Bord zu werfen, wenn es ihm nütze. So soll der Republikaner nach der Attacke auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 geplant haben, den damaligen US-Präsidenten Trump zum Rücktritt aufzufordern. Als deutlich wurde, dass ein beachtlicher Teil der Partei weiter zu Trump steht, verwarf McCarthy seine Pläne und stellte sich offensiv hinter Trump.

McCarthy: In der eigenen Partei umstritten

Auch von anderen Hardlinern kam am Wochenende heftige Kritik an McCarthy und seinem parteiübergreifenden Haushaltsgesetz, das anders als von ihnen gefordert keine weitgehenden Einsparungen enthält. Der Republikaner Ken Buck warf McCarthy vor, Versprechen gebrochen zu haben: «McCarthy und andere im Repräsentantenhaus warten ständig bis zur letzten Minute, um die Abgeordneten mit schlechten Haushaltsgesetzen zu erdrücken.»

Offen ist, wie viele der Radikalen sich letztlich Gaetz anschliessen und gegen McCarthy stimmen würden – oder ob Gaetz sich verkalkuliert hat. Es gibt auch bisher keinen Gegenkandidaten, auf den sich die unterschiedlichen Flügel der Partei einigen könnten. Doch die Unzufriedenheit mit McCarthy ist nicht neu. Schon nach der Einigung im Schuldenstreit im Sommer bekam dieser Gegenwind von rechts. Auch damals hatte er letztlich in Zusammenarbeit mit den Demokraten eine Pleite der USA verhindert.

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Kevin McCarthy weht ein rauer Wind entgegen. Bild: keystone

Seinen Gegnern scheint es häufig in erster Linie darum zu gehen, das politische System in den USA an seine Grenze zu bringen. Kompromissbereitschaft ist dabei nicht vorgesehen – vielmehr geht es um das Durchsetzen der extremsten Positionen. Diese lassen sich im Kongress, wo im Senat die Demokraten von US-Präsident Joe Biden die Mehrheit haben, aber so gar nicht durchsetzen. Einzig bei der Ukraine haben die ultraradikalen Republikaner nun ihren Willen bekommen.

Biden deutete derweil an, sich mit McCarthy auf neue Ukraine-Hilfen geeinigt zu haben. Wie vertrauenswürdig der Republikaner sei, werde sich nun zeigen, sagte Biden. Fakt ist, dass McCarthy die Demokraten noch brauchen könnte. Wenn es wirklich zu einer Abstimmung über den Spitzenposten kommen sollte, hätte McCarthy wohl deren Stimmen nötig, um im Amt zu bleiben. Die linke Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez machte deutlich, dass es diese nicht «umsonst» gebe. Denn es sei nicht Aufgabe der Demokraten, den Republikaner im Amt zu halten.

(lak/sda/dpa)

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13 Kommentare
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Pat da Rat
02.10.2023 05:41registriert Mai 2022
Gaetz ist ein ekliger, doppelmoralischer Schmutzfink und Trump-Muppet. Einfach mal nachsehen, was der Typ schon aufm Kerbholz hat resp wo er direkt involviert war. Hätte seine Haut eine dunklere Hautpigmentierung, wäre Gaetz schon 2008 für Jahre im Knast verschwunden... Dass die Republikaner resp die GOP von so nem Typen de facto angeführt werden sagt einiges über den Zustand der Partei aus.
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Frankygoes
02.10.2023 07:12registriert März 2019
Der rechte Flügel verarscht seine Wähler so dermassen. "Wir würden nie mit den Demokraten stimmen!" Der Haushaltsentwurf war so konservativ und republikanisch wie noch nie. Wer von den Republikanern hat ihn abgelehnt (und somit mit den Demokraten gestimmt)? Genau, der rechte Flügel, der nie gemeinsame Sache mit den Demokraten machen würde.

Jetzt sehen sie ihre Felle davonschwimmen, weil die restlichen Republikaner langsam merken, dass sie sich nicht immer den Willen der Rechtsaussen-Idioten aufzwingen lassen müssen.
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