Wer sich mit der amerikanischen Politik – insbesondere mit der republikanischen Seite – befasst und einen Social-Media-Account hat, ist früher oder später mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über Charlie Kirk gestolpert. Kein Wunder; der 31-Jährige war vermutlich DIE digitale Stimme der amerikanischen Konservativen.
Kaum einer hatte eine solche Online-Präsenz wie Charlie Kirk. Über 5 Millionen Follower auf X, über 7 Millionen auf TikTok. Sein Podcast «The Charlie Kirk Show» erreicht täglich Millionen Hörer auf Apple Music. Doch wie wurde Kirk so populär?
Im Gegensatz zu seinen (konservativen, aber politisch passiven) Eltern betätigte sich Charlie Kirk schon früh aktivistisch. Bereits als 11-Jähriger unterstützte er den Wahlkampf des republikanischen Repräsentanten Mark Kirk (der nicht mit ihm verwandt ist).
Noch in der High School schrieb Charlie Kirk bereits für das alternativ-rechte Onlinemedium Breitbart-News. Wie die New York Times (NYT) schrieb, schaffte er es wegen eines Artikels über «Indoktrination an Schulen durch linke Bücher» für einen Auftritt in das Programm von Fox News.
Dadurch erreichte er, dass er zu einer Redeveranstaltung an ein lokales College eingeladen wurde. Dort kam ein gewisser Bill Montgomery, ein ehemaliger Unternehmer, auf ihn zu. Kirk hatte mit seiner sprachlichen Gewandtheit mächtig Eindruck auf Montgomery gemacht, wie dieser später dem Magazin The Atlantic verriet. Er riet dem damals 18-Jährigen:
Und genau das tat er: einen Monat später gründete Kirk mit Montgomerys Unterstützung Turning Point USA (TPUSA).
Kirk beschrieb TPUSA als «konservative Aktivismus-Organisation», die insbesondere junge Amerikanerinnen und Amerikaner für konservativ-marktwirtschaftliche Ideale begeistern soll. Mit dieser Idee konnte er nach und nach mehr Spender finden, die die Nonprofit-Organisation finanzierten.
Das Rezept von TPUSA, um Aufmerksamkeit zu generieren und Reichweite zu gewinnen, war im Grunde simpel. Charlie Kirk trat als redegewandter Frontmann an diversen Colleges auf und stellte sich den Fragen von (häufig politisch linksstehenden) Studentinnen und Studenten. Das Ganze wurde in der Regel aufgezeichnet und anschliessend in gekürzte und/oder zusammengeschnittene Formen verarbeitet. Für Kirk vorteilhafte Szenen wurden dann in kurzen Videos auf Social Media publiziert.
Ein exemplarisches Beispiel:
Bis heute trat Kirk regelmässig an Universitäten und bei anderen Veranstaltungen auf. Letztes Jahr veröffentlichte der Kanal «Jubilee» ein Video, in dem der 30-jährige Kirk mit 25 College-Studenten debattiert. Kirks Diskussionen mit politischen Gegnern wurden zu publikumsstarken Events, auch weil im Laufe der Zeit einige «Gegenspieler» mit liberalen Ansichten ebenfalls populär wurden und er sich regelmässig Wortgefechte mit diesen lieferte.
Mit seinem kämpferischen Ansatz beim Debattieren und durch die teilweise aufgeheizte Atmosphäre an den Veranstaltungen generierte Kirk extrem viel Aufmerksamkeit. Während er bei Konservativen bestens ankam, vermochte er politisch Linksstehende zu triggern. Als Resultat verzeichnete er Millionen Klicks auf Social Media. Während der Corona-Pandemie hatten Kirks Posts auf Twitter laut NYT teils mehr Engagement als grosse US-Medien.
Mit seiner Organisation veranstaltete er auch ausserhalb des universitären Rahmens diverse Events. An jährlichen Veranstaltungen wie dem Young Women's Leadership Summit oder dem AmericaFest lud die Organisation prominente Köpfe der amerikanischen Konservativen wie Steve Bannon und Tucker Carlson ein, um ihre Ideen dem Publikum näherzubringen. Auch bei diesen Events war die Zielgruppe zumeist amerikanisch, jung und universitär.
Mit dem US-Präsidenten Donald Trump hatte Kirk ein besonderes Verhältnis. Noch 2016 sagte er zwar, dass er «nicht der grösste Trump-Fan» sei, aber trotzdem für ihn stimmen würde. Doch über den Filius des Präsidenten, Donald Junior, kam Kirk häufiger in Kontakt mit Donald Senior, und fand starken Gefallen an ihm.
So stark, dass daraus eine fast schon symbiotische Beziehung entstand. Trump konnte dank der Online-Präsenz von TPUSA die junge Wählerschaft im Wahlkampf erreichen; Kirk konnte TPUSA über Trump und dessen Netzwerk älteren Republikanern näherbringen – und damit weiter an Reichweite und Einfluss gewinnen.
2015 wies TPUSA noch einen Umsatz von 78'000 US-Dollar aus, 2023 waren es über 81 Millionen. Die Nonprofit-Organisation finanziert sich weiterhin zu den allergrössten Teilen aus Spenden weniger, vermögender Akteure. NBC machte 2020 publik, dass mehr als die Hälfte der Einnahmen TPUSAs von zehn anonymen Spendern stammten.
Natürlich standen sich Kirk und Trump nicht nur geschäftlich, sondern auch politisch nahe. Nach Trumps Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2020 verbreitete Kirk die Verschwörungstheorie der «Stolen Election». Am 4. Januar 2021 tweetete er, dass TPUSA über 80 Busse nach Washington D.C. an die «Stop the Steal»-Demonstration schicken werde. Am Ende waren es zwar nur deren sieben, doch Kirks Anhänger trugen ihren Teil zum geschichtsträchtigen 6. Januar und dem Kapitol-Sturm bei. Nach den Ausschreitungen löschte Kirk seinen Tweet und gab an, gegen politische Gewalt zu sein.
Kirk vertrat rechtskonservative, teils radikale Positionen, mit welchen er stark polarisierte. Beispielsweise bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen: Für den 31-Jährigen war Abtreibung mit Mord am ungeborenen Kind gleichzustellen. Auch für Frauen, die durch eine Vergewaltigung schwanger wurden, sollte es in Kirks Welt keine Ausnahmen geben.
Gegenüber dem Coronavirus war Kirk – analog zu Trump – skeptisch eingestellt. So wurde sein Tweet, in welchem er den Erreger als «China Virus» bezeichnete, von Trump persönlich retweetet. Die Massnahme des Social Distancing bezeichnete er als «demokratische Verschwörung gegen das Christentum».
Auch Kirks Positionen zu den Waffengesetzen in den USA waren radikal. Während einer Rede an einem TPUSA Faith Event im April 2023 sprach Kirk über den Wert des «Second Amendments», das US-amerikanischen Staatsbürgern den Besitz einer Waffe zusichert:
Seine Aussagen erhalten im Kontext seines Todes eine bedauerliche Ironie: Am 10. September wurde Kirk bei einer Veranstaltung auf der Utah-Valley-Universität in der Ortschaft Orem auf der Bühne erschossen.
Der Täter ist noch unbekannt und flüchtig. Die Ermittlungen durch das FBI laufen. Der Gouverneur von Utah sprach von einem «politischen Mord». Die aktuellsten Informationen findest du hier.
Kirk hinterlässt eine Ehefrau und zwei kleine Kinder. Die drei sollen anwesend gewesen sein, als Kirk erschossen wurde.